Kanzlerin in Georgien Auf Angela Merkels Südkaukasus-Reise lauern überall „eingefrorene Konflikte“

Angela Merkels Ausflug in den Südkaukasus wirft Licht auf ihr verändertes Verhältnis zu Russland – und manchen fast schon vergessenen Konflikt.

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Die Reise der Kanzlerin ist auch eine Auseinandersetzung mit den früheren Jahren ihrer Amtszeit. Quelle: dpa

Tiflis/Odzisi Am Schluss tritt Angela Merkel an der Demarkationslinie ein paar Schritte vor, neigt den Kopf und schaut durch das Fernglas. Sie steht auf georgischem Boden. Aber vor ihr liegt ein Hang, der schon zu Südossetien gehört, das sich mit russischer militärischer Hilfe 2008 von Georgien abgespalten hat.

Nahe des Kontrollpunkts Odzisi lässt sich Merkel über die Lage informieren – auch um die öffentliche Aufmerksamkeit auf diesen fast schon vergessenen Konflikt zu lenken. Aber schon in der georgischen Hauptstadt Tiflis hat sie nur wenige Stunden zuvor in einer Diskussion mit Studenten zu spüren bekommen, wie allgegenwärtig die Teilung des Landes und die gefühlte Bedrohung durch Russland in dem Südkaukasus-Land selbst ist.

„Ich habe keine Sorge zu sagen, dass das eine Besatzung ist. Es handelt sich um eine grobe Ungerechtigkeit“, sagte Merkel auf die entsprechende Aufforderung einer georgischen Studentin, klar Stellung zu beziehen. Und damit dreht die Kanzlerin gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin letztlich den Spieß um.

Denn Putin stichelt gerne mit seinen Kontakten zu europakritischen EU-Regierungen. Ausgerechnet vor dem Treffen mit Merkel in Meseberg besuchte er am vergangenen Samstag die Hochzeit der von der rechtspopulistischen FPÖ nominierten österreichischen Außenministerin.

Reise in Russlands Hinterhof

Jetzt reist Merkel in den Hinterhof Russlands. Und ganz nebenbei lenkt sie damit den Blick darauf, dass die ehemaligen Sowjetrepubliken Georgien, Armenien und Aserbaidschan sich gerne etwas mehr aus der früheren Umklammerung und dem Druck Moskaus befreien würden. Die viel geschmähte EU wird hier als willkommener Partner angesehen. Georgiens Ministerpräsident Mamuka Bachtadse wiederholt sogar den klaren Wunsch nach einem EU- und Nato-Beitritt.

Der Abstecher an die Demarkationslinie wirft aber auch ein Licht auf Merkels veränderten Umgang mit Russland. 2008 war die Kanzlerin zwar nach Tiflis geflogen, um dem kleinen Land im Krieg gegen Russland Solidarität zu versichern. Aber obwohl russische Truppen den Separatisten halfen, fast 20 Prozent des georgischen Staatsgebiets abzuspalten, gab es damals keine Sanktionen.

Als Putin 2014 in der Ostukraine und mit der Annexion der Halbinsel Krim dann das Vorgehen von 2008 kopierte, folgten schließlich Sanktionen der EU und der USA. Denn spätestens dann war nach Angaben von EU-Diplomaten klar, dass Russlands Intervention in Georgien kein Einzelfall, sondern Teil einer größeren Strategie war, die anderen ehemaligen Sowjetrepubliken durch schwelende Konflikte dauerhaft zu destabilisieren.

Und was „dauerhaft“ heißt, kann Merkel auch erkennen, als sie durch das Fernglas auf die Einrichtungen der immerhin 4500 in Südossetien stationierten russischen Soldaten blickt. Der Leiter der EU-Beobachtermission EUMM, Eric Hoeg, erklärt der Kanzlerin die Lage. Die EUMM sieht die Entwicklung in Südossetien demnach zwar nicht als „eingefrorenen Konflikt“, weil sich immer noch etwas verändere – allerdings eben in die aus Georgiens Sicht falsche Richtung.

So wird die Grenze zu dem nur von fünf Staaten weltweit anerkannten Zwerggebilde Südossetien mit geschätzten 30.000 bis 50.000 Einwohnern immer stärker befestigt. Gerade erst hat Georgien beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof unter anderem wegen der Befestigung der Grenze mit Stacheldraht Klage gegen Russland eingereicht.

In den vergangenen Monaten wurde den Russen vorgeworfen, den Grenzverlauf still und heimlich immer weiter auf die georgische Seite zu verschieben. Dies führte zu zahlreichen Festnahmen von Bauern, die bei der Bestellung ihrer Felder plötzlich wegen angeblich illegalen Grenzübertritts festgenommen worden waren.

„Nicht zu viel zu schnell versprechen“

Überhaupt ist das Thema der „frozen conflicts“ einer der roten Fäden auf Merkels Südkaukasus-Reise. Denn auch in Aserbaidschan und Armenien, wo die Kanzlerin am Freitagnachmittag landete, gibt es seit dem Zerfall der Sowjetunion und der Unabhängigkeit Anfang der 90er Jahre Spannungen – hier um die von Armeniern bewohnte Exklave Bergkarabach. Zwar streiten die Regierungen in Baku und Eriwan untereinander. Aber Russland beliefert beide Seiten mit Waffen. EU-Diplomaten werfen Moskau seit langem vor, kein Interesse an einer Einigung zu haben.

Nur spürt Merkel schon in der georgischen Hauptstadt Tiflis, der ersten Station ihrer Reise, auf welchen Spagat sie sich eingelassen hat. Einerseits will sie Solidarität zeigen, andererseits muss und will sie bremsen.
Nur will dies eine drängende Studentin in der Iwane-Dschawachischwili-Universität nicht einsehen – schließlich gehöre Georgien doch zur europäischen Familie, teile dieselben Werte – und es sei sehr wohl eine Beitrittsperspektive ausgesprochen worden.

Merkel nickt, bleibt ruhig. Aber sie selbst hatte schon im Fall der Ukraine argumentiert, man müsse aufpassen, mit einer Aufnahme in die Nato nicht für zusätzliche Spannungen mit Moskau zu sorgen – zumal schon aus geographischen Gründen ein Beistandsversprechen im Falle Georgiens nicht einzuhalten wäre.

Und auch bei dem gewünschten EU-Beitritt bremst sie die Studentin. "Wir dürfen auch von europäischer Seite nicht zu viel zu schnell versprechen", antwortet sie. Auch diese Botschaft dürfte in Moskau gehört werden.

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