Katar Der Öl-Scheich hinter der arabischen Revolution

Der steinreiche Kleinstaat wird im Inneren konservativ und autoritär regiert. Doch in anderen arabischen Ländern fördert Scheich al-Thani den revolutionären Wandel.

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Katarer am Uferboulevard in Doha Quelle: Laif

Der große Wandel in der arabischen Welt geht in eine neue, vielleicht entscheidende Phase. In Syrien hat Präsident Baschar al-Assad die Kontrolle über 70 Prozent der bewohnten Gebiete des Landes verloren, behaupten seine zunehmend besser bewaffneten und organisierten Gegner. In Ägypten hat der islamistische Präsident Mohammed Mursi überraschend die bisherigen Spitzenleute des Militärrats entlassen und damit der vor Kurzem noch fast allmächtigen Generalität einen schweren Schlag versetzt. Ein tollkühner Akt, weil die hohen Offiziere nicht nur die Streitkräfte, sondern weitgehend auch das Wirtschaftsleben kontrollieren. Und Mursis Staatskasse ist leer, die Devisenbestände haben sich halbiert, die Versprechen des Präsidenten an seine zumeist armen Wähler sind illusorisch.

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht – die Stärke der syrischen Rebellen und Mursis Schlag gegen die Militärs haben etwas gemein: das Wohlwollen eines starken Herrschers aus einem kleinen Land.

Nur einen Tag vor der Entlassung des Feldmarschalls Hussein Tantawi verabschiedete Mursi einen außerordentlich wichtigen Staatsgast: Scheich Hamad bin Chalifa al-Thani, Emir von Katar, hatte dem ägyptischen Präsidenten ein Gastgeschenk mitgebracht, das die politische Lage im größten arabischen Land grundlegend ändert. Der Staat Katar wird zwei Milliarden Dollar bei der ägyptischen Zentralbank deponieren, praktisch ein zinsloser Kredit mit unbeschränkter Laufzeit, jedenfalls solange die Ereignisse am Nil dem reichen Herrscher von Katar in den Kram passen. Ein Viertel des Geldes, 500 Millionen Dollar, würden schon Mitte August nach Kairo fließen, teilte Mursis Finanzminister Mumtaz al-Saeed glücklich mit.

Das Jahr der Proteste
Arabischer Frühling Quelle: dpa
Occupy Wall Street Quelle: REUTERS
Stuttgart 21 Quelle: REUTERS
Euro (gegen Sparmaßnahmen) Quelle: dpa
Euro (gegen Euro-Rettung) Quelle: dapd
Tottenham Quelle: Reuters
Camila Vallejo Quelle: REUTERS

Ganz anders als die Hilfszusagen der westlichen Industrieländer an die Länder des arabischen Frühlings, die ein Jahr nach der Begeisterungswoge von 2011 immer noch Ankündigungen sind. Anders auch als die finanzielle Unterstützung Ägyptens durch den großen und reichen Nachbarn Saudi-Arabien: Die Saudis haben den Ägyptern im Frühjahr 430 Millionen Dollar für konkrete Entwicklungsprojekte spendiert und außerdem einen 750-MillionenDollar-Kredit für Erdöleinkäufe gewährt. Nicht so schrecklich viel Geld für die arabische und islamische Solidarität angesichts eines saudischen Bruttoinlandprodukts (BIP) von fast 580 Milliarden Dollar im Jahr; das im Vergleich winzige Katar vermeldet ein jährliches BIP von 174 Milliarden Dollar.

Doch Katars gigantische Rolle im Umbruch der arabischen Welt wird gerade dadurch erleichtert, dass es klein ist. „Saudi-Arabien ist wie ein riesiges Schlachtschiff, das sich nur schwer und langsam umsteuern lässt“, sagt Volker Perthes, Kenner der arabischen Welt und Direktor der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, „die kleinen Ölmonarchien sind dagegen so etwas wie Schnellboote, die sofort auf veränderte Situationen reagieren können.“ Ganz besonders, wenn für die Munitionierung des Schnellboots Geld keine Rolle spielt. Und das ist in Katar der Fall.

Geld spielt keine Rolle

Diese Volkswirtschaften geben 2050 den Ton an
Skyline Berlin schön Quelle: dpa
Eine Frau verkauft Hülsenfrüchte Quelle: REUTERS
Platz 9: Russland und der IranDank erneut hoher Ölpreise und einer stark steigenden Konsumnachfrage ist das russische BIP im Jahr 2011 laut amtlicher Statistik um 4,3 Prozent gewachsen. Für die kommenden drei Jahre sagen die HSBC-Experten Wachstumsraten in ähnlicher Größenordnung voraus. Sie gehen davon aus, dass Russland bis 2050 durchschnittlich um 3,875 Prozent wächst. Damit würde das Riesenreich in der Liste der größten Volkswirtschaften der Welt von Rang 17 (2010) auf Rang 15 steigen. Ebenfalls eine durchschnittliche Wachstumsrate von 3,875 Prozent bis 2050 prophezeit die britische Großbank dem Iran. Im Jahr 2011/2012 betrug das Bruttoinlandsprodukt Schätzungen zufolge circa 480 Milliarden US-Dollar. Zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen Irans zählen die Öl- und Gasindustrie, petrochemische Industrie, Landwirtschaft, Metallindustrie und Kfz-Industrie. Die Inflationsrate wird von offizieller Seite mit 22,5 Prozent angegeben, tatsächlich liegt sie bei über 30 Prozent. Die Arbeitslosenrate beträgt offiziellen Angaben zufolge 11,8 Prozent. Quelle: dpa-tmn
Ginza-Viertel in Tokio Quelle: dpa
Mexikanische Flagge Quelle: dapd
Copacabana Quelle: AP
Baustelle in Jakarta Quelle: AP

Der Staat Katar ist mit dem Erdöl ungeheuer reich geworden. 1973 hatte die seit zwei Jahren von Großbritannien unabhängige Monarchie die Ölquellen des Landes verstaatlicht. Im Gegensatz zum großen Nachbarn Saudi-Arabien ließen die katarischen Scheichs die Produktion von Jahr zu Jahr steigen; 2011 flossen aus ihren Quellen mehr als 1700 Millionen Barrel am Tag. Das reicht zwar nur für Platz 18 im internationalen Vergleich, reicht aber, um den 1,7 Millionen Einwohnern pro Kopf das höchste Einkommen der Welt zu bescheren.

Wobei das BIP pro Kopf von 98.000 Dollar noch eine gewaltige Untertreibung ist: Nur um die 300.000 Einwohner sind Landeskinder und Staatsangehörige; die 1,6 Millionen Zuwanderer sind größtenteils Gastarbeiter mit einem sehr geringen Anteil am nationalen Wohlstand.

Doch der ist garantiert, auch wenn die Erdölreserven nach Berechnung des BP World Energy Report um das Jahr 2050 erschöpft sein sollten. Seit 1989 fördert Katar Erdgas, seit 1996 ist das Scheichtum Pionier bei der Erdgasverflüssigung (LNG-Produktion), die heute nachgewiesenen Erdgasreserven sind die drittgrößten der Welt nach Russland und dem Iran. Emir Hamad hat mehr als andere Herrscher am Golf bei der Exploration und Erschließung der Öl- und Gasfelder auf die Kooperation mit den großen amerikanischen Energieunternehmen gesetzt, am Alleinbesitz der Felder aber nicht rütteln lassen: ein Erfolgsrezept zur Mehrung des Reichtums. Für dieses Jahr sagt die katarische Regierung ein Wirtschaftswachstum von 15,7 Prozent voraus, vor allem wegen der gestiegenen Nachfrage nach Flüssiggas. Im nächsten Jahr rechnen die Wirtschaftsstrategen in der Hauptstadt Doha immerhin noch mit 7,1 Prozent Wachstum.

Öffnung zur Welt

Es war kein Zufall, dass Doha, vor 20 Jahren noch ein verschlafenes Perlentaucherstädtchen, vor gut zehn Jahren zum Schauplatz der WTO-Verhandlungen zum Ausbau des weltweiten Freihandels wurde. Viel mehr als etwa die saudischen Herrscher betrieb der katarische Emir die Öffnung seines Landes zur Welt. Dass die Doha-Runde am Egoismus vieler beteiligter Staaten scheiterte, war kein Misserfolg des Gastgebers. Der hat Internationalisierung zu seiner ersten Devise gemacht: zumindest auf ökonomischem Gebiet.

Am deutlichsten zeigen das die Aktivitäten der Qatar Holding. Später als die entsprechenden Investitionsfonds der Nachbarstaaten, dafür aber viel energischer hat der katarische Staatsfonds in den vergangenen Jahren seine Milliarden strategisch eingesetzt. Manche Investitionen deuten darauf, dass Scheich Hamad und seine Berater von Anfang an optimistisch auf ein Ende der Weltfinanzkrise setzten: Seit 2007 halten sie 20 Prozent an der London Stock Exchange, seit 2010 mehr als sechs Prozent an der Schweizer Großbank Credit Suisse und seit diesem Sommer elf Prozent des internationalen Bergbaukonzerns XStrata.

Neue Aktivitäten

Scheicha Mozah Quelle: REUTERS

Alles Unternehmen, deren Wohlergehen und Aktienkurs stark von der Weltkonjunktur abhängt. Gleiches gilt für die katarischen Investitionen in Deutschland, allen voran für die 17 Prozent Stammaktien von Volkswagen, die Katar Ende 2009 übernommen hat. Der Erfolgskurs des Emirs lässt sich so beschreiben: Mit den eigenen Rohstoffvorkommen und den Investitionen in Europa wird Geld verdient, und in den arabischen Bruderländern wird ein Teil dieses Geld ausgegeben.

Fragt sich nur, wofür. Seit vielen Jahren beobachten Kenner des Nahen Ostens ein Paradox: Katar ist ein konservatives islamisches Land, mit verschleierten Frauen, mit Alkoholverbot außerhalb der von Ausländern frequentierten Hotels und einer Herrscherfamilie, die Meinungsfreiheit im eigenen Land unterdrückt und mit überreichen Geldgeschenken an die Landeskinder die Opposition zum Schweigen bringt. Aber außerhalb der Landesgrenzen befördert Katar die arabischen Revolutionen, jedenfalls einige davon.

Gekaufte Freunde

Geld aus Katar fließt auch an die syrischen Aufständischen. Der von Doha aus operierende Fernsehsender Al-Jazeera hat seit Jahren die Informationsmonopole der Diktatoren und Könige von Marokko über Ägypten bis Damaskus unterminiert. Die einzige arabische Regierung, die nie kritisiert wurde, war die von Katar selbst.

Es ist auch kein Zufall, dass der Emir jetzt ausgerechnet den ägyptischen Moslembruder Mursi so generös unterstützt. Und in Tunesien klagen Gegner der regierenden Islamisten über geheime Geldflüsse aus Katar an die intoleranten Frommen. Nachgewiesen ist da freilich nichts.

Scheich Hamad, so viel ist sicher, handelt dabei nicht nur aus altruistischen Motiven. Er versucht, sich auch Freunde zu kaufen. Sein potenzieller Gegner befindet sich auf der anderen Seite des Persischen Golfes: Katar fürchtet den Griff des Iran nach seinen Gasfeldern unter dem Meer und hat vor allem darum das eigene Staatsgebiet der amerikanischen Luftwaffe und Marine zur Verfügung gestellt – allen islamistischen Sympathien zum Trotz.

Die sind sowieso viel schwächer als im großen Nachbarland Saudi-Arabien. Im Frühjahr hatte der Prediger einer großen Moschee in Doha gefordert, das Alkoholverbot endlich auch gegen ungläubige Gäste des Landes durchzusetzen. Ein paar Wochen herrschte Aufregung bei Hoteliers und Restaurantbetreibern, dann blieb es bei der heutigen relativ toleranten Regelung. Anderes traute dem Herrscher auch keiner zu.

Und erst recht nicht der Herrscherin. Hamads Gattin Scheicha Mozah, die Mutter des Thronfolgers, dementiert schon durch ihr Auftreten alles Gerede über Fortschrittsfeindlichkeit im eigenen Land. Bei Terminen mit wichtigen ausländischen Geschäftsleuten pflegt der Emir seine sprachkundige Gattin mitzunehmen. Und wenn es ums Finanzielle geht, überlässt er der Scheicha oft die Gesprächsführung.

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