Katholische Kirche Papst erntet Gegenwind für Tribunal gegen Missbrauch

Franziskus hat sich den Kampf gegen sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche auf seine Fahnen geschrieben. Doch das von ihm angekündigte Tribunal, das vertuschte Fälle aufklären soll, gibt es immer noch nicht.

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Der Start der Initiative gegen sexuellen Missbrauch in der Kirche verlief aus der Perspektive vieler Experten mehr als holprig. Quelle: dpa

Vatikanstadt Das Thema ist äußerst heikel, fand kürzlich aber größte Aufmerksamkeit in Hollywood. Dort wurde der Film „Spotlight“ über die systematische Vertuschung von sexuellem Missbrauch im Erzbistum Boston mit einem Oscar ausgezeichnet. Wesentlich weniger Erfolg hat Papst Franziskus mit seiner Initiative, ein Tribunal für vertuschte Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche zu schaffen: Rechtliche und administrative Fragen, aber auch Widerstand innerhalb und außerhalb des Heiligen Stuhls blockieren den päpstlichen Plan.

Dabei hatte Franziskus noch im Juni 2015 für Schlagzeilen gesorgt mit seiner Ankündigung, mit einer neuen Initiative gegen sexuellen Missbrauch im Amt vorgehen zu wollen. Im Fokus sollten dabei Bischöfe stehen, die es versäumt haben sollen, Kinder vor pädophilen Priestern zu beschützen. Einstimmig beschlossen Franziskus und seine neun beratenden Kardinäle damals, eine neue juristische Abteilung innerhalb der Glaubenskongregation zu gründen, die sich genau dieser Aufklärungsarbeit annehmen sollte.

Dies ließ jedoch sofort die Alarmglocken sowohl bei Kirchenrechtlern als auch bei vatikanischen Beamten schrillen. Denn die Kongregation, die seit 2001 Anlaufstelle für Missbrauchsfälle weltweit war, wurde weder zurate gezogen, noch informiert. Wie es aussieht, ist die Kongregation unterbesetzt und überlastet mit der Aufarbeitung von Hunderten zurückliegender Missbrauchsfälle durch Priester sowie mit der Beratung betroffener Diözesen.

Der Vatikan kündigte zwar an, dass ein Sekretär für die Kongregation und neue Mitarbeiter angeheuert würden. Auch stellte er weitere Hilfen in Aussicht. Aber bislang wurde nichts davon umgesetzt, wie zwei mit dem Plan beauftrage Kirchenbeamte sagen. Zwei andere meinten, sie wüssten von keinem Fortschritt seit der mit großem Pomp gemachten Ankündigung vom 10. Juni 2015.


„Ich wusste, dass es ein Problem geben würde“

Kirchenrechtsexperten wundert dies nicht unbedingt: „Als das angekündigt wurde, wusste ich, dass es ein Problem geben würde“, sagt Kurt Martens, Professor für Kirchenrecht an der katholischen Universität von Amerika in Washington. Eine Schlüsselfrage, die geklärt werden müsse, drehe sich um die Definition von Fahrlässigkeit, nach der ein Bischof verurteilt werden könnte.

Ein weiteres Problem werfen nach Meinung des Experten die Fragen nach Verjährung und rückwirkender Strafermittlung auf: Können Bischöfe,die vor 10 oder 20 Jahren Missbrauchsfälle vertuscht haben, vor das neue Gericht gestellt werden? „Das ist eine große Frage“, meint Martens. „Wo zieht man da die Linie?“

Auch fundamentale Fragen, wer wen anzeigen kann und wer entscheidet, ob dem Fall nachgegangen werden muss, blieben bislang ungeklärt. Das Kirchenrecht besagt ohnehin, nur der Papst selbst könne über einen Bischof richten. Warum sollte man also sexuellen Missbrauch davon ausnehmen, wenn ein anderer Amtsmissbrauch, etwa finanzielle Misswirtschaft, ebenfalls ein Kirchenverbrechen ist?

Anders als viele seiner Amtsvorgänger ist Franziskus der Meinung, Bischöfe müssten zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie missbrauchende Priester von Gemeinde zu Gemeinde versetzen, anstatt sie an die Kirche und staatliche Behörden zu melden. „Man darf nicht verschleiern, und selbst jene, die diese Dinge verschleiert haben, sind schuldig“, sagte der Papst bei einem Treffen mit Missbrauchsopfern.

So wurde auch seine Entscheidung, ein Gericht zu beauftragen, mit Beifall und hohen Erwartungen begrüßt – sowohl von Missbrauchsopfern, als auch von jenen, die die Missbrauchsskandale mitverfolgten. Für alle ist es enttäuschend, aber auch nicht gerade überraschend, dass diesbezüglich bisher kaum Erfolge vorzuweisen sind.

So dankten mit Wissen von Papst Franziskus zwei amerikanische Bischöfe selbst ab, nachdem sie der Missbrauchsvertuschung bezichtigt worden waren. Sie wurden nicht vor ein vatikanisches Gericht gebracht, aber vermutlich vom Vatikan zum Rücktritt gedrängt, nachdem sich offizielle Stellen eingeschaltet hatten. Das ist das übliche Verfahren, mit dem der Vatikan bloßgestellte Bischöfe verabschiedet.


Zuständiger Präfekt setzte selbst Pädophile als Pfarrer ein

Aber solch eine Art der Problemlösung bewirke wenig, um den „Skandal zu beheben und die Gerechtigkeit wieder herzustellen“, meint Martens. Dieses sollte eigentlich das kirchliche Strafsystem eigentlich sichern. „Das ist fast, als könnten sich Schuldige ihre Strafe aussuchen und sind dann aus dem Schneider“, so der Gelehrte.

Dabei sei es nicht immer so leicht, einen Bischof freiwillig zur Amtsaufgabe zu bewegen, merkt der amerikanische Kirchenrechtler Nicholas Cafardi an. In dieser Hinsicht könnte das spezielle Tribunal eingreifen, wenn der Druck aus dem Vatikan nicht ausreiche. „Die Forderung nach einem Rücktritt hat damit mehr Substanz hinter sich. Das ist ein wichtiger Effekt hinter den neuen Maßnahmen, der nicht unterschätzt werden sollte“, so Cafardi in einer E-Mail.

Problematisch ist der päpstliche Plan des Tribunals allerdings auch, weil der vom Papst beauftragte Präfekt der Glaubenskongregation selbst eine fragwürdige Vergangenheit hat. In seiner Amtszeit als Bischof von Regensburg setzte Kardinal Gerhard Ludwig Müller einen verurteilten Pädophilen als Gemeindepfarrer ein und missachtete dabei die bischöflichen Normen, nach denen Sexualstraftäter nicht in der Jugendarbeit arbeiten dürfen.

Damals verteidigte Müller seine Entscheidung. Die Kirche trage nicht die Verantwortung für das, was die Priester täten, sagte er. Wenn Jesus Sündern vergeben könne, könne ihnen die Kirche auch eine zweite Chance geben.

In einem Interview beklagte Müller kürzlich das „bittere Unrecht“, das den allermeisten Geistlichen durch die Generalisierung widerfahre. Nicht die kirchliche Gemeinschaft, sondern Individuen hätten sich schuldig gemacht – und dies auch nicht infolge ihres Amtes, sondern wegen „einer unreifen oder gestörten Persönlichkeit“.

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