
WirtschaftsWoche: Herr Aslund, das ukrainische Parlament hat den besetzten Gebieten im Osten des Landes kürzlich mehr Autonomie gewährt. Ist der Friedensprozess doch noch zu retten?
Nein, der Friedensprozess ist tot. Wenn der Krieg endet, dann weil Russland keine Kraft mehr hat. Der Kreml hat sich von Anfang an nicht an die Vereinbarungen des Minsker Abkommens gehalten und unterstützt weiterhin die Separatisten. Der Krieg köchelt weiter vor sich hin. Zugleich hat die russische Führung keine Ahnung, was sie mit den eroberten Gebieten anstellen sollen. Weite Teile der Infrastruktur sind zerstört, sie wollen die Regionen Donezk und Lugansk nicht annektieren und sie könnten es sich auch nicht leisten.

Welche Schritte wären denn nötig, damit dauerhaft Frieden einkehrt?
Am Wichtigsten ist es jetzt, die Wirtschaft zum Laufen zu bringen. Im umkämpften „Donbass“ versuchen das die ukrainischen Unternehmen, nicht aber die Russen. Oligarch Rinat Achmetow hat zum Beispiel drei Kohleminen und ein Kraftwerk wieder in Betrieb genommen, andere ukrainische Unternehmen kehren ebenfalls in die Region zurück. In den vergangenen beiden Monaten ist die Industrieproduktion in den besetzten Gebieten dadurch zweistellig gewachsen. Vor allem arbeiten die großen Unternehmen nach ukrainischem Recht, zahlen Steuern an Kiew und überweisen die Löhne auf ukrainische Bankkonten. Die Arbeiter müssen sich aber ihre Gehälter außerhalb der besetzten Gebiete an den Geldautomaten abholen...
...und stellen dort fest, wie der ukrainische Staat noch funktioniert.
Genau. Und was sie außerhalb der so genannten „Volksrepubliken“ sehen, steht im Kontrast zum anarchischen Chaos zuhause. Aber das wird nicht ausreichen, um die Ukraine wieder zu einigen. Vermutlich die Hälfte der Einwohner hat den Donbass verlassen. Und auch wenn die dort Verbliebenen die Separatisten mehrheitlich nicht unterstütze, heißt noch lange nicht, dass sie sich gegen sie auflehnen werden.
Zur Person
Anders Aslund, 63, ist ein schwedischer Ökonom und ein weltweit anerkanntester Experte zur Wirtschaftslage im postsowjetischen Raum. Er beriet unter anderem den russischen Ex-Präsidenten Boris Jelzin und forscht heute am Atlantic Council, einer Denkfabrik in Washington.
Mehr als 15 Monate tobt der Krieg zwischen der Regierung und den von Russland unterstützen Separatisten. Was bedeutet das für die Wirtschaft der Ukraine?
Wegen der Besatzung von Donbass und Krim verliert die Ukraine etwa sieben Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP). Weitere sechs Prozent brechen dem Land durch den Ausfall der Exporte nach Russland weg, die bis zur Krise für 25 Prozent aller Ausfuhren standen. Überdies ziehen sich ausländische Investitionen zurück oder meiden das Land. Russland richtet die Ukraine zugrunde. Ich schätze, dass die Ukraine insgesamt 16 Prozent ihrer Wirtschaftskraft infolge des Kriegs der Russen eingebüßt hat.
Das denken die Deutschen in Bezug auf die Ukraine über...
19 Prozent der Deutschen befürworten Waffenlieferungen an die Ukraine. Das ist der absolute Tiefstwert aller Befragten. Die höchste Befürworter-Quote verzeichnet Polen. Hier sind es 50 Prozent der Bürger.
Nur jeder dritte Deutsche ist dafür, dass die Ukraine der Nato beitritt. In Kanada und Amerika sind es jeweils mehr als zwei Drittel.
Für 41 Prozent der Deutschen ist ein EU-Beitritt der Ukraine wünschenswert. Nach Italien (37 Prozent) ist das der Tiefstwert.
71 Prozent sprechen sich für finanzielle Hilfe aus. Das ist ein Prozent mehr als der Nato-Schnitt.
Gibt es trotz des dramatischen Niedergangs Sektoren, in denen die Ukraine floriert?
Es wäre übertrieben, von blühenden Wirtschaftszweigen zu sprechen. Aber in der Landwirtschaft läuft es recht gut, hier wird es dieses Jahr nur einen Produktions- und Exportrückgang von wenigen Prozent geben. In der Stahl- und Kohleindustrie sind die Rückgänge viel dramatischer.
Angenommen, die Ukraine stabilisiert sich in den kommenden Jahren: Welche Rolle könnte das Land als Wirtschaftspartner für Europa spielen?
Erstens kann die Ukraine zum bedeutenden Exporteur von Agrarprodukten werden, die in puncto Qualität und Quantität rasch den Anforderungen der EU entsprechen. Dazu müsste Brüssel aber die Märkte weiter öffnen und die Importquoten erhöhen. Zweitens empfiehlt sich die Ukraine als Hightech-Lieferant, gerade in der Software-Entwicklung sind die Ingenieure stark. Drittens könnte das Land eine Rolle als Lohnfertiger übernehmen, zum Beispiel für deutsche Autohersteller. Das Lohnniveau ist niedrig, das Ausbildungsniveau hoch.