
WirtschaftsWoche: Herr Rogoff, mögen Sie Krisen?
Kenneth Rogoff: Wie meinen Sie das?
Ihre Reputation beruht maßgeblich darauf, dass Sie als einer der wenigen Ökonomen die Euro-Krise vorhergesagt haben. Seit Jahren warnen Sie auch vor einem Abschwung in China. Und erneut scheinen Sie recht zu behalten.
Ich mag einen Satz des MIT-Ökonomen Rudi Dornbusch, der einst sagte, in der Ökonomie dauerten Dinge immer länger, als man denkt – aber wenn sie passierten, käme alles schneller als gedacht.
Gefragter Vordenker
Kenneth Rogoff, 62, gehört zu den Ökonomen, die längst die Enge der Denkstube hinter sich gelassen haben und deren Thesen weltweite Resonanz finden. Nicht, dass Rogoff in der Denkstube unbegabt wäre, er ist immerhin Thomas D. Cabot Professor of Public Policy an der Harvard Universität. Doch der Amerikaner hat zudem schon als IWF-Chefökonom aktiv Krisenmanagement betrieben – und sein Buch „Dieses Mal ist alles anders. Acht Jahrhunderte Finanzkrisen“ traf zum Ausbruch der jüngsten Weltfinanzkrise so einen Nerv, dass Rogoff danach bei US-Präsident Barack Obama und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ein- und ausging. Ist der leidenschaftliche Schachspieler bei Mächtigen zu Mittagsterminen geladen, befolgt er einen einfachen Trick. Er isst vorher: „Ich will nicht mit Obama zusammensitzen und nur an das Essen denken“, sagt Rogoff.
Das müssen Sie uns erklären.
Gerade vor Finanzkrisen sind die möglichen Gründe dafür ja oft nicht unbekannt. Viele denken dann, es müsse schon früher krachen, aber dann passiert lange doch nichts. Dann steht man als Krisenprophet ziemlich alleine. Wenn dann aber was passiert, verläuft die Reaktion besonders heftig. Auch weil Leute geneigt sind zu sagen: War ja glasklar, dass es dazu kommen musste, also reagieren wir nun besonders extrem.
Gilt der Satz nun auch für China, wo die Aktienkurse ins Bodenlose taumeln?
einer anderen verbreiteten These: dass dieses eine Mal ausnahmsweise alles anders ist und es nicht zu einer Krise kommen wird. Argumente dafür gab es viele: Die chinesische Spitze hat die Wirtschaft lange hervorragend gemanagt. Chinesen arbeiten hart, sie sparen viel, das Land verfügt zudem über gewaltige Devisenreserven.
Und nun scheint die Party dennoch vorbei.
Ich sehe in China natürlich keine Krise wie in Griechenland voraus. Aber zu sagen, dass die Chinesen keine erhebliche Wachstumsdelle verkraften werden müssen, ist wirklich naiv. Die muss kommen. Das Land kann nicht 30 Jahre lang ohne Rückschlag wachsen. Dafür sind Verschuldung und politische Probleme dort schlicht zu groß.
Meinen Sie die Schattenbanken, die maroden Staatsbetriebe, die hohen öffentlichen Schulden?





Ich meine das eher prinzipiell. China versucht derzeit einen Kurswechsel: von einer Volkswirtschaft, die 50 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes investiert und ganz überwiegend vom Export lebt, hin zu einer, die sich eher auf heimische Konsumenten verlässt. Dieser Übergang ist extrem schwierig. Selbst wenn er gelingt, wird die chinesische Wirtschaft langsamer wachsen.
Und wenn es zu einem Zusammenbruch der Finanzmärkte käme – wäre dann auch soziales und politisches Chaos programmiert?
Chinas Präsident Xi Jinping hat so viel Macht angehäuft wie wohl keiner seiner Vorgänger seit Mao. Wir können seine starke Stellung durchaus mit der von Wladimir Putin in Russland vergleichen. Also muss die Krise nicht unbedingt zum politischen Chaos führen. Ganz sicher wird es aber zu gewaltigen sozialen Spannungen kommen, sollte die Wirtschaft langsamer wachsen.
Weil die Partei schnelles Wachstum garantiert hat?
Darauf beruht die Glaubwürdigkeit der Kommunistischen Partei. Sie liefert ja auch Wachstum, aber in einer Weise, die auf keinen Fall aufrechtzuerhalten ist. Das würden Parteifunktionäre selber zugeben.