Knappes Rennen um die US-Präsidentschaft Europa hat Trump unterschätzt – schon wieder

Donald Trump hat ein sehr genaues Gefühl für die Bedürfnisse seiner Basis. Er ist ideologisch nicht festgelegt. Republikanische Orthodoxie ignoriert er, wenn sie seinen Instinkten im Weg steht. Quelle: imago images

Viele Beobachter haben erwartet, dass Donald Trump bei der US-Präsidentschaftswahl schlecht abschneiden würde, ja sogar deutlich unterliegen könnte. Der Grund für diese Fehleinschätzung ist simpel.

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Als sich am frühen Dienstagabend die Wahlkarte er Vereinigten Staaten zunehmend rot verfärbte, spürten die Demokraten, dass ihnen eine lange Nacht bevorstehen würde. Die Warnsignale waren schnell sichtbar. Dass Ex-Vizepräsident Joe Biden im für den wichtigen Swing State Florida entscheidenden County Miami-Dade schlechter abzuschneiden drohte als Hillary Clinton vor vier Jahren, zeigt, wohin die Reise gehen würde. Im Wahlleutekollegium würde es nicht den ersehnten Erdrutschsieg geben, sondern im besten Fall einen knappen, hart erkämpften Vorsprung vor Amtsinhaber Donald Trump. Wenn überhaupt.

Noch ist völlig unklar, wie die amerikanische Präsidentschaftswahl ausgehen wird. Klar ist jedoch, dass zahlreiche Beobachter den Rückhalt von Donald Trump wieder einmal unterschätzt haben. Gerade in Europa gilt der Präsident vielen als pompöse Witzfigur mit schlechter Frisur und beschränktem Vokabular. Doch dieser Blick blendet aus, welche Faszination Trump auf seine Anhänger ausübt. Und warum.

Der Präsident hat ein sehr genaues Gefühl für die Bedürfnisse seiner Basis. Er ist ideologisch nicht festgelegt. Republikanische Orthodoxie ignoriert er, wenn sie seinen Instinkten im Weg steht. Trump würde nie auf ein Ausgabenprogramm verzichten, nur weil es den amerikanischen Schuldenstand in die Höhe treibt oder Sozialprogramme kürzen, um den Haushalt auszugleichen. Das verbindet sich sehr gut mit den Bedürfnissen der weißen Arbeiterschaft, denen die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der GOP in vielen Fällen eher suspekt sind.



Stattdessen vermittelt Trump seinen Anhängern den Eindruck, für ihre Anliegen zu kämpfen. Das mag nicht immer den Tatsachen entsprechen, wie etwa sein Handelskrieg mit China zeigte, der überwiegend Wähler traf, die dem Präsidenten zuneigen. Doch die Kämpferpose rechnen sie ihm an. Der Glaube, dass der aktuelle Schmerz notwendig ist, um langfristig ein besseres Ergebnis zu erzielen, sitzt an der Basis tief. Allerdings nicht nur das.

Denn man kann nicht über Trump sprechen, ohne seinen kaum verhohlenen Rassismus zu benennen. Die Grundlage für seine erfolgreiche erste Präsidentschaftskandidatur schuf er als lautstärkster Verfechter der rassistischen Verschwörungstheorie, sein Vorgänge Barack Obama sei nicht in den USA geboren und entsprechend kein legitimer Präsident. Er versprach den Bau einer Mauer an der Südgrenze der USA und hetzte immer wieder gegen Einwanderer und Flüchtlinge. Damit ist es ihm nie gelungen, die Mehrheit der Amerikaner hinter sich zu versammeln, doch es reichte, um ihn einmal ins Weiße Haus zu bringen und auch die aktuelle Wahl knapper zu machen, als es viele erwartet hatten.


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Zusammenfassen lässt sich diese Strategie als weiße Identitätspolitik. Trump streichelt die Seele der ländlichen Regionen der Vereinigten Staaten, die sich von den Metropolen zunehmend ignoriert, wenn nicht gar verlacht, fühlen. Eine Stimme für den Präsidenten ist für diese Wähler auch ein Mittelfinger in Richtung des Establishments. Dass sie damit einen Populisten unterstützen, der demokratische Normen bricht und die Grenze zur Xenophobie regelmäßig überschreitet, ist kein Widerspruch. Für viele ist es der Punkt.

Hinzu kommt, dass Trump für einen Teil seiner Anhänger durchaus liefert. Die Evangelikalen bekommen ihre konservativen Richter, für die Industriearbeiter streicht er Umweltauflagen. Natürlich klappt nicht alles. Die versprochene Rückkehr der Kohlejobs fiel aus, die Steuersenkung ging vor allem an die Besserverdienenden. Trotzdem bleibt bei vielen Trump-Fans das Gefühl, dass jemand ihre Interessen in Auge hat – auch wenn dieser Eindruck oftmals vor allem auf Habitus beruht. Trotzdem danken sie es dem Präsidenten. Und gehen für ihn in die Wahlkabine, wenn es darauf ankommt.

Mehr zum Thema: Die US-Wahl gerät zum Kopf-an-Kopf-Rennen. Für die Wirtschaft ist die Unsicherheit toxisch.

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