Knauß kontert

Ein "Mutmacher" und andere Hasenfüße

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

Angela Merkel wird zur Retterin des Westens erklärt, Frank-Walter Steinmeier nennt sich selbst einen "Mutmacher". Tatsächlich wird in Berlin und anderen Hauptstädten nichts gerettet und von Mut kann keine Rede sein.

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Politik der Angsthasen. Quelle: Montage

Obamas Abschiedsbesuch in Berlin und Steinmeiers de-facto-Kür zum Bundespräsidenten boten die Bühne einer rhetorischen Rüstzeit für die deutsche Bundesregierung.

Nachdem schon Journalisten in Reaktion auf die Trump-Wahl die deutsche Bundeskanzlerin zur wichtigsten Säule des Westens erklärt hatten, tat das nun auch Barack Obama. Mehr Lob war kaum möglich. Merkel sei „bereit, für ihre Werte zu kämpfen“, behauptete Obama. Er bestätigte in Berlin mit seinem Segen, was die New York Times und deutsche Leitmedien schon unmittelbar nach dem Trump-Sieg akklamiert hatten: Er beförderte seine „wunderbare Freundin“, die vor nicht allzu langer Zeit noch von seinem Geheimdienst abgehört wurde, zu seiner Nachfolgerin als moralische Führungsgestalt der freien Welt.

Sicher kein Zufall, dass Merkel kurz nach diesem Besuch, am heutigen Sonntag, verkünden wird, dass sie noch weitere vier Jahre regieren will. Die überschäumenden Zuneigungsbekundungen des von den Deutschen so geliebten Obama sollen ihrem Wahlvolk und vor allem der verunsicherten CDU-Basis noch in den Ohren klingen. Botschaft: Zur Wahl steht keine Geringere als die Retterin des Westens.

Der demnächst erste Mann im Staat, Noch-Außenminister Frank-Walter Steinmeier, hat derweil angekündigt, er werde als Bundespräsident „kein Vereinfacher“ sein, sondern „ein Mutmacher“. Also: Merkel kämpft für ihre Werte und rettet den Westen – während Steinmeier für den Mut sorgt, der zu diesem Einsatz nötig ist. Diese Botschaft soll der Bürger vermutlich aus der vergangenen Woche mitnehmen.

Dass man nicht „vereinfachen“ dürfe, ist eine der verbreitetsten Phrasen im deutschen Politikbetrieb. Die Vereinfacher sind nach diesem Narrativ stets die „Rechten“, konkreter die AfD.

Aber natürlich muss jeder Politiker vereinfachen, auch ein Sozialdemokrat. Denn jeder Politiker muss die eigentlich unendlich komplexe soziale und politische Wirklichkeit verdichten. Ohne zu vereinfachen kann man nicht politisch debattieren, nicht entscheiden und schon gar keinen Wahlkampf machen. „Das Wir entscheidet“, so das Motto der SPD 2013, war auch nicht gerade komplex. Letztlich geht der Vorwurf gegen die Vereinfacher nach hinten los, denn er umgarnt abtrünnige Wähler nicht, sondern verkauft sie für blöd: Ihr kapiert nicht, wie unendlich kompliziert und schwierig es ist, so ein Land zu regieren. Darum müssen das Fachleute machen. Der Vorwurf des Vereinfachens ist eine Variante der Behauptung von Alternativlosigkeit.

Auch das „Mutmachen“ gehört zu den beliebtesten Politphrasen. Es ist verwandt mit der Behauptung, Angst sei nie ein guter Ratgeber. Das ist nun wirklich eine unzulässige Vereinfachung: Angst hat sich in der Evolutionsgeschichte des Menschen immer dann bewährt, wenn das Kämpfen aussichtslos und Flucht oder Verstecken das Überleben sicherte – darum ist die Angst auch nie ausgestorben.

Aber es stimmt schon: Unsere Gesellschaft hat tatsächlich eine „Kultur der Ängstlichkeit“ (Wolfgang Sofsky) entwickelt, gegen die eine Portion mehr Mut gut täte. Mut, bedeutet laut Wikipedia, „dass man sich traut und fähig ist, etwas zu wagen, das heißt, sich in eine gefahrenhaltige, mit Unsicherheiten verbundene Situation zu begeben.“

Wo die Kultur der Ängstlichkeit nistet

In keiner gesellschaftlichen Nische nistet die Kultur der Ängstlichkeit so erfolgreich wie in der Politik. Die meisten Angehörigen der hauptstädtischen Eliten sind finanziell gut abgesichert, niemandem droht eine Gefahr für Freiheit oder Leben bei Machtwechseln – wie in Afrika oder den meisten muslimischen Ländern inklusive Türkei. Und dennoch (oder gerade deswegen?) regiert die Angst in Deutschland mit.  

Die Ängstlichkeit äußert sich in einer immer weiter voranschreitenden Entschärfung von Machtfragen. In der deutschen Politik wird der einstige Gegner immer mehr zum möglichen oder tatsächlichen (Koalitions)Partner uminterpretiert. Man hat, wie Sofsky in seinem Buch „Prinzip Sicherheit“  feststellt, „das Vermeiden von Entscheidungen kultiviert. Entschlüsse werden verschoben,  …. oder bis zur Unwirksamkeit verwässert. Reformen, die auf Widerspruch treffen könnten, bleiben liegen. … Der Wunsch nach Autorität und Geborgenheit verdrängt die Bereitschaft zu Initiative und Konflikt“.

Was man für gewöhnlich den „Vereinfachern“ und denen, die „Ängste schüren“ vorwirft, nämlich den Wunsch nach Homogenität und die Abneigung gegen Fremde, gilt bei genauerem Hinsehen auch für die Kaste der etablierten Parteien: Man will unter sich bleiben, keine Außenseiter und Neulinge hereinlassen. Was bei den einen die Angst vor dem Verlust der Sicherheiten durch Einwanderer ist, ist bei den anderen die Angst vor den neuen politischen Kräften, die an die Fleischtöpfe in der Hauptstadt drängen. In Washington nehmen in den kommenden Wochen lauter „Fremde“ den Alteingesessenen die Jobs weg. In Paris könnte bald ähnliches bevorstehen.

Steinmeier will also ein Mutmacher sein? Aber kann man sich von einem Mann Mut machen lassen, der sich gerade vor wenigen Tagen von seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu und Präsident Recep Tayyip Erdogan vor den Augen der Weltöffentlichkeit demütigen ließ. Dieser selbst erklärte Mutmacher saß auf seinem kleinen Stuhl vor dem thronenden Erdogan wie einst die Vasallen-Fürsten in Britisch-Indien vor ihrer Kaiserin Victoria. Nicht einmal eine deutsche Flagge gönnte man dem künftigen Bundespräsidenten bei seiner Audienz.

Die Retterin der freien Welt und der Mutmacher: Selten sind rhetorischer Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander gedriftet. Selten war Politik so unglaubwürdig.

Nur wer wirtschaftliche Stärke mit politischer Macht verwechselt und seinen Blick auf die Welt mit dem in Deutschland leider unausrottbaren „Pathos des Absoluten“ (Adorno) trübt, kann Merkels Deutschland den Job als „Global Savior“ zutrauen. Dazu fehlt ihm neben Entschlossenheit, Härte und Mut vor allem die militärische Kraft. Deutschland verfügt nur über eine „zahnlose Ansammlung von 180 000 Soldaten“ der Bundeswehr - „ohne Prestige und Atomwaffen“, wie die Zeitung „Politico“ spöttelt. Die Türkei ist verglichen mit Deutschland eine militärische Großmacht.

Tatsächlich wird durch Berliner Politik nichts und niemand gerettet oder verteidigt – und mit Mut schon gar nicht. Auch Griechenland oder der Euro wurden nicht wirklich gerettet. Deutschlands Regierung verpfändet das Vermögen seiner Bürger, um das endgültige Scheitern der Währungsunion hinauszuzögern und den einmal eingeschlagenen Pfad einer angeblich alternativlosen Europapolitik nicht verlassen zu müssen. Nicht Mut, sondern im Gegenteil: Angst vor den Unwägbarkeiten des Austritts Griechenlands und des daraus folgenden Legitimitätsverlustes sind vermutlich die entscheidende Motivation für die „Rettungspolitik“. Man wagt eben gerade nicht, sich in eine mit Unsicherheiten verbundene Situation zu begeben. Man ist feige.

Auch die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung hat wohl niemanden gerettet. Niemand flüchtet sich aus einer direkten Gefahr für Leib und Leben über die deutsche Grenze, alle kommen über eine ganze Reihe sicherer Drittstaaten, in denen ihnen keine Gefahr droht. Deutschland rettet nicht, sondern erfüllt den Wunsch von Einwanderern nach einer besseren Versorgung und Lebenschancen.

In der Willkommenspolitik von 2015 zeigte sich besonders deutlich, was Wolfgang Sofsky als Kennzeichen der „Kultur der Ängstlichkeit“ ausmacht: „Das Politische generell soll sich möglichst in sozialen und ökonomischen Fragen und administrativen Details auflösen.“ Vor der Entscheidung darüber, wer einwandern darf und wer nicht, drückte man sich. Stattdessen erklärte man die „Flüchtlingskrise“ zu einem fiskalischen und administrativen Problem, das Frank-Jürgen Weise in seinem Bundesamt zu managen habe.

Ob Euro-, Schulden- oder Einwanderungskrise: Fehlenden Mut zu riskanten Entscheidungen, zum entschlossenen, also mutigen Handeln versucht man durch Geld zu kompensieren. Der Preis für diese Hasenfußpolitik, die aus Feigheit die Konfrontation mit den Fehlern der Vergangenheit durch Erhöhung des finanziellen Einsatzes hinauszögert, ist der umso größere Kladderadatsch in der Zukunft. Den dann andere auszubaden haben.  

„Après nous le deluge“ – „Nach uns die Sintflut“ soll Madame de Pompadour, die Geliebte König Ludwigs XV. von Frankreich 1757 gesagt haben. Wie das ancien régime endete, ist bekannt. Der Auslöser der Revolution war eine unlösbare Schuldenkrise, die tiefere Ursache war das Versagen der adligen Elite.

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