Der Tenor der leitmedialen und politischen Reaktionen auf Trumps Sieg entsprach dem Tenor der Berichterstattung über seinen Wahlkampf: Der Mann galt als eine Gefahr für die demokratische Weltordnung – und die sei nun eingetreten. Trump also als der große Zerstörer des Wahren, Guten und Schönen. Bernd Ulrich rückt Trump in der ZEIT gar in die Nähe von „faschistischen Führern“ und ruft „eine Zeit des Kampfes“ aus. Europa, so fordert der stellvertretende Chefredakteur, sei nun mit Merkel an der Spitze dazu berufen, dieser Zerstörung entgegen zu treten, um westliche Werte zu verteidigen.
Dieser Tenor leistet wenig zur Erkenntnis der gegenwärtigen Lage in den USA, Europa und der westlichen Welt. Und zur Lösung von Problemen trägt er schon gar nichts bei. Er ist im Gegenteil, sogar selbst ein großes Problem, weil er erstens Ursache und Wirkung verwechselt. Zweitens zu einem Konflikt aufruft, an dem niemandem gelegen sein kann. Abgesehen davon, dass man solchen Furor zur Verteidigung westlicher Werte vermisste, als der Islamist Recep Tayyip Erdogan 2003 die türkischen Parlamentswahlen gewann.
Noch weniger tragen solche Reaktionen wie die der Minister Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier zu irgendeiner Besserung der Lage bei. Im Gegensatz zur diplomatisch klugen Bundeskanzlerin, die dem Wahlsieger gratulierte und ihre Zusammenarbeit ankündigte, poltern der Vizekanzler und der Außenminister (und künftige Bundespräsident?) in einer selbstzerstörerischen Weise, die man sonst eher von ihrem berüchtigten Parteifreund Ralf Stegner gewöhnt ist. Gabriel nennt den gewählten, künftigen US-Präsidenten einen "Vorreiter einer neuen autoritären und chauvinistischen Internationalen", der deutsche Außenminister verweigert ihm die Gratulation.
Das ist nicht nur undiplomatisch, es offenbart auch den Unwillen oder die Unfähigkeit, die tieferen Ursachen dieses epochalen Ereignisses zu ergründen. Angesichts der verheerenden eigenen Wahlergebnisse in jüngster Zeit offenbart sich da ein erstaunliches Maß an Uneinsichtigkeit.
Wie kann ein SPD-Vorsitzender glauben, dadurch verlorene Wählersympathien zurückgewinnen? Trump wird von seinen Wählern in den USA und Sympathisanten in Europa gerade nicht als autoritär und chauvinistisch wahrgenommen, sondern eher als das Gegenteil: als ein Rebell, der ein allmächtiges Kartell der politischen Klasse durchbricht. Einer politischen Klasse, die sich dem Volk jahrzehntelang als alternativlos präsentierte.
Trumps wirtschaftspolitische Pläne
Trump will für mehr Wachstum in der US-Wirtschaft sorgen. „Bessere Jobs und höhere Löhne“, lautet eines seiner Kernziele. Der Immobilien-Unternehmer will die Staatsschuldenlast der USA von fast 19 Billionen Dollar abbauen. Er bezeichnet die Schuldenlast als unfair gegenüber der jungen Generation und verspricht: „Wir werden Euch nicht damit alleine lassen“. Defiziten im Staatshaushalt will er ein Ende bereiten.
Trump hat umfangreiche Steuersenkungen sowohl für die Konzerne als auch für Familien und Normalverdiener angekündigt. Er spricht von der größten „Steuer-Revolution“ seit der Reform von Präsident Ronald Reagan in den 1980er Jahren. Wer weniger als 25.000 Dollar im Jahr verdient, soll dank eines Freibetrages künftig gar keine Einkommensteuer mehr zahlen. Den Höchstsatz in der Einkommensteuer will er von momentan 39,6 Prozent auf 33 Prozent kappen. Ursprünglich hatte er eine Absenkung auf 25 Prozent in Aussicht gestellt. Die steuerliche Belastung für Unternehmen will Trump auf 15 Prozent von bislang 35 Prozent vermindern. Das soll US-Firmen im internationalen Wettbewerb stärken. Firmen, die profitable Aktivitäten aus dem Ausland nach Amerika zurückholen, sollen darauf eine Steuerermäßigung erhalten. Die Erbschaftsteuer will der Republikaner ganz abschaffen. Eltern sollen in größerem Umfang Kinderbetreuungs-Ausgaben steuerlich absetzen können.
Trump verspricht, der „größte Job-produzierende Präsident“ der USA zu werden, „den Gott jemals geschaffen hat“. Bereits als Unternehmer habe er Zehntausende neue Stellen geschaffen.
Um amerikanische Arbeitsplätze zu sichern, will Trump die Zölle auf im Ausland hergestellte Produkte anheben und die US-Wirtschaft insgesamt stärker gegen Konkurrenz aus dem Ausland schützen. China, aber auch Mexiko, Japan, Vietnam und Indien wirft Trump beispielsweise vor, die Amerikaner „auszubeuten“, indem sie ihre Währungen zum Schaden von US-Exporten abwerten und manipulieren.
Das angestrebte transatlantische Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (TTIP) lehnt Trump ab. Für ihn schadet ein freierer Zugang der Europäer zum US-Markt – vor allem zum staatlichen Beschaffungsmarkt – den amerikanischen Firmen. Das geltende Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta will er neu verhandeln, die TPP-Handelsvereinbarung mit asiatischen Staaten aufkündigen. Trump setzt generell anstatt auf multilaterale Handelsabkommen, etwa im Rahmen der Welthandelsorganisation, auf bilaterale Vereinbarungen mit einzelnen Staaten und Wirtschaftsräumen.
Die Handelsbeziehungen zu China, der nach den USA zweitgrößten Wirtschaftsmacht weltweit, will Trump grundlegend überarbeiten. Er wirft der Volksrepublik vor, ihre Währung künstlich zu drücken, um im Handel Vorteile zu erlangen. Er will das Land daher in Verhandlungen zwingen, damit Schluss zu machen. Auch „illegale“ Exportsubventionen soll die Volksrepublik nicht mehr zahlen dürfen. Verstöße gegen internationale Standards in China sollen der Vergangenheit angehören. Mit all diesen Maßnahmen hofft er, Millionen von Arbeitsplätzen in der US-Industrie zurückzugewinnen.
In der Energie- und Klimapolitik hat Trump eine Kehrtwende angekündigt. Er will die USA von den ehrgeizigen Klimaschutzvereinbarungen von Paris abkoppeln, die Umwelt- und Emissionsvorschriften lockern und eine Rückbesinnung auf fossile Energieträger einläuten: „Wir werden die Kohle retten.“ Die umstrittene Fracking-Energiegewinnung sieht Trump positiv.
Trump verspricht der Wirtschaft eine umfassende Vereinfachung bei den staatlichen Vorschriften. Er werde ein Moratorium für jede weitere Regulierung durch die Behörden verhängen, kündigte er an. Trump will Milliarden in die Hand nehmen, um Straßen, Brücken, Flughäfen und Häfen zu bauen und zu modernisieren. Finanzieren will er das unter anderem dadurch, dass die US-Verbündeten einen größeren Teil an den Kosten für Sicherheit und Verteidigung in der Welt übernehmen sollen.
Der Vorwurf, einen „Rollback in die alten, schlechten Zeiten" zu planen (Gabriel über Trumps angebliches Ziel), ist nichts, was einem Trump-Wähler oder einem deutschen AfD-Anhänger Angst macht. Gabriel gewinnt damit keine Sympathien unter Menschen mit Abstiegsängsten. Denn die „alten Zeiten“ sind für sie nicht Krieg und Elend der ersten Jahrhunderthälfte, sondern die nivellierte Mittelstandsgesellschaft der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit sicheren Jobs, steigenden Realeinkommen und der Aussicht auf Renten, die den gewohnten Lebensstandard garantieren. Und daran erinnert man sich unter Trumps Wählern vermutlich ebenso gerne, wie unter AfD-Wählern (von der DDR-Vergangenheit vielleicht abgesehen). Der Versuch der Reanimation eines altlinken Hasses auf die „Reaktion“ erscheint im Jahre 2016 völlig aus der Zeit gefallen.
Nicht die alten, angeblich schlechten Zeiten erfüllen den abtrünnig gewordenen Wähler der Volksparteien mit Schrecken, sondern die Angst vor der Zukunft. Einer Zukunft, in der die Früchte des ökonomischen Wachstums nur denen zugute kommen, die bereits am meisten haben und sich der ebenso wachsenden Last der ökonomischen, ökologischen und sozialen Risiken und Schäden entziehen können. Einer Zukunft, in der die Aussicht auf bestenfalls stagnierenden Wohlstand mit dem Verlust aller kulturellen und lebensweltlichen Gewissheiten der Vergangenheit einhergehen wird.
Die Lehre aus der Trump-Wahl
Zu dieser ökonomischen Unsicherheit kommt noch die Verunsicherung durch die Einwanderung. Der Zorn richtet sich übrigens weniger gegen die Einwanderer selbst als vielmehr gegen einwanderungsfreundliche Politiker oder Intellektuelle. Die Politik der Offenheit für Migration bei weitgehender Geschlossenheit der politischen Elite in dieser Frage offenbart fundamentale Gegensätze innerhalb der Gesellschaft. Sie gibt einem Großteil der Deutschen das Gefühl, dass ihre Überzeugungen und Interessen nicht mehr politisch vertreten werden. Weshalb sie sich alternative Repräsentanten wählen - müssen. Deren persönliche Eignung erscheint da von sekundärer Bedeutung.
Darum hat Trump gewonnen
Clinton schnitt trotz Trumps frauenfeindlicher Äußerungen in der Wählergruppe deutlich schwächer ab als im Vorfeld erwartet. Zwar erhielt sie von Frauen zwischen 18 und 34 Jahren deutlich mehr Unterstützung als Trump, insgesamt aber betrug ihr Vorsprung bei Frauen mit 49 Prozent nur zwei Prozentpunkte. Zum Vergleich: Der scheidende Präsident Barack Obama schnitt 2012 bei Frauen sieben Prozentpunkte besser ab als sein damaliger Herausforderer.
Clinton kam Umfragen zufolge deutlich besser bei Amerikanern mit spanischen Wurzeln, Afroamerikanern, und Amerikanern mit asiatischen Wurzeln an. Allerdings erhielt sie nicht so viel Rückhalt wie Obama vor vier Jahren, der seine Wiederwahl besonders den Stimmen der Minderheiten verdankte.
Trump punktete besonders bei Wählern ohne College-Ausbildung. Insgesamt betrug sein Vorsprung auf Clinton in dieser Gruppe zwölf Prozentpunkte. Bei weißen Männern ohne höheren Bildungsabschluss schnitt er sogar um 31 Prozentpunkte besser ab, bei weißen Frauen ohne Abschluss waren es 27 Prozentpunkte.
Streng gläubige weiße Amerikaner haben Trump die Treue gehalten - trotz der sexuellen Missbrauchsvorwürfe, die gegen den Milliardär im Wahlkampf erhoben wurden. Etwa 76 Prozent der Evangelikalen gaben an, für Trump gestimmt zu haben.
Clinton tat sich in Ballungsräumen schwer, obwohl dort in der Regel viele Anhänger der Demokraten leben. Ihr Vorsprung auf Trump betrug dort gerade einmal sechs Prozentpunkte. In ländlichen Regionen schnitt Trump dagegen um 27 Prozentpunkte besser ab.
Der Mangel der bisherigen politischen Elite an Einsicht in die fundamentale Unzufriedenheit weiter Bevölkerungsschichten steht am Anfang des Entstehens und Aufstiegs der Trump-Bewegung in den USA und der Anti-Establishment-Parteien in Europa. Diese sind also Folgen einer Fehlentwicklung innerhalb des politischen Systems, und nicht Ursachen einer Krise des Systems. Doch offenbar fehlt auch nach dem Trump-Erdbeben bei deutschen Politikern die Bereitschaft zu ernsthafter und fundamentaler Selbstkritik.
Anstatt sich selbstkritisch zu fragen, wie es dazu kommen kann, dass sich ganze Bevölkerungsschichten von den Parteien abwenden, die sich einst gründeten, um die Interessen genau dieser Menschen zu vertreten, ruft man im Chor mit den meisten Leitmedien lieber zum „Kampf“ (Bernd Ulrich ) auf. Womit wohl die kollektive Zurschaustellung von Rechtschaffenheit gemeint ist, zu der der Kampf gegen den Rechtsradikalismus in den letzten Jahren verkommen ist. Vordergründige Maßnahmen gegen die Symptome – statt schmerzhafte Diagnose der Ursachen. Das ist das Rezept der politischen Elite.
Da ist was faul im gesamten Westen. Aber im Gegensatz zur Türkei und Russland steht nicht die Demokratie an sich in Frage. Sie ist nicht gescheitert und steht auch nicht zur Disposition. Weder will noch kann Trump sie abschaffen. Ebenso wenig wie der Front National oder die AfD. Wer diese Parteien mit den Regimen Putins oder Erdogans gleichsetzt, verharmlost letztere. Auch wenn Putin und Erdogan an der politischen und gesellschaftlichen Destabilisierung der westlichen Länder sicher ihre Freude haben und sie nach Kräften befördern.
Morsch geworden ist nicht die Demokratie selbst, sondern die (partei)politischen Strukturen, die jahrzehntelang stabil waren. Die Destabilisierung ist aber nicht aus heiterem Himmel durch Trump und Konsorten verursacht. Er und die neuen „populistischen“ Parteien sind nicht Ursachen, sondern Folgen eines Unwillens des politischen Establishments, die Interessen großer Bevölkerungsteile zu repräsentieren. Trumps Sieg ist weniger sein Verdienst, als vielmehr eine Niederlage des Establishments, für das Hillary Clinton stand.
In Amerika wird dieses Establishment nun kräftig durchgeschüttelt und zumindest teilweise entmachtet. In Europa und Deutschland könnte das noch bevorstehen. Die Lehre aus dem amerikanischen Wahlergebnis kann nur sein: Es gibt keine Pflicht des Volkes, seine Eliten zu stützen. Aber es gibt eine Pflicht der Eliten, die Interessen des Volkes zu vertreten – so verächtlich die auch erscheinen. Wenn die Eliten das nicht einsehen, wird das Volk sie ersetzen.