Kolumbien Massiver Steinkohleexport geplant

Dass nach Russland die meiste Kohle aus Kolumbien nach Deutschland geschifft wird, ist kaum bekannt. El Cerrejón, der größte Tagebau Lateinamerikas, war schon mehrfach Thema im Bundestag. Denn er ist heftig umstritten.

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Kolumbien plant den Ausbau seines Steinkohleexports - zu Lasten der Klimabilanz der Energiewende. Cerrejon, der größte Kohletagebau Lateinamerikas, exportiert pro Jahr über 32 Millionen Tonnen Steinkohle. Quelle: dpa

Albania Dieser Zug nimmt einfach kein Ende. Wie ein unendlich langer schwarzer Wurm rattert er durch die Dörfer hier im äußersten Nordzipfel Kolumbiens, das Ziel ist der Karibikhafen Puerto Bolívar. 150 Waggons, jeweils randvoll mit 113 Tonnen Steinkohle. Ein Teil der Brennstoff-Fracht ist bestimmt für Kohlekraftwerke in Deutschland.

Linke und Grüne fordern nach dem Atomausstieg bis 2022 auch einen raschen Kohleausstieg. Doch Grundlastfähige Kraftwerke, die anders als Sonne und Wind 24 Stunden verlässlich Strom liefern, braucht man vorerst weiterhin. Auch wenn es Umweltschützer gern bestreiten, ohne Kohleimporte als „Brücke“ ist der Umbau der Energieversorgung bisher kaum zu schaffen. Es ist das Paradoxe, das CO2-Ersparnisse durch Solar- und Windenergie an anderer Stelle weiter ausgestoßen werden.

Dass nach Russland die meiste Kohle aus Kolumbien rangeschifft wird, ist kaum bekannt. Es ist eine dieser Globalisierungsgeschichten - die Zechen im Ruhrgebiet zu, stattdessen Import aus der Karibik. Schon mehrfach waren die Auswirkungen auf die Menschen durch den größten Kohletagebau Lateinamerikas, Cerrejón, sozusagen die Schattenseiten der Energiewende, Thema im Deutschen Bundestag. Wer hier unterwegs ist, sieht zwei Welten: die Cerrejón-Welt und die Welt drumherum.

Zunächst wird der Ort Cuestecitas passiert, was dort auffällt: An der Straße halten Autos, Männer füllen mit Trichtern aus Venezuela geschmuggeltes Benzin ein, es kostet nur die Hälfte im Vergleich zur Tankstelle. In dem Ort Albania ist der Haupteingang, Cerrejón gehört einem Konsortium aus Anglo American, BHP Billiton und Glencore.

Präsident Roberto Junguito weiß um die Vorbehalte, die es in Deutschland gegen Cerrejón gibt. Er holt erst einmal einen Pokal für vorbildliches ökologisches Verhalten hervor. In der Umgebung gibt es viele Kinder mit Asthma und anderen Krankheiten, Kohlestaub geht in den Dörfern herunter, verschmutzt auch die Trinkwasserstellen. Um die Staubbelastung zu mindern, setzt Cerrejón Unmengen an Wasser im Tagebau ein. „93 Prozent sind Industriegewässer“, betont Junguito.

Mehrere Millionen Liter Trinkwasser seien den umliegenden Gemeinden zuletzt während einer Dürrephase von dem Unternehmen in Tanks zur Verfügung gestellt worden. Ein Mitarbeiter zeigt später zudem eine rund 3600 Hektar große wiederaufgeforstete Fläche, es kommt fast Dschungelgefühl auf, Grillen zirpen. „Wir haben hier 458 Tierarten, auch Affen, Schlangen und drei Jaguare“, sagt der Chef des Programms für Biodiversität, Luis Francisco Madriñan. „Hier jagt sie keiner.“

Der Tagebau umfasst eine Fläche von 69 000 Hektar - fast so groß wie Berlin - derzeit wird auf 13 800 Hektar Kohle gefördert. Es gibt eine enorme Staubentwicklung, daher ist Atemschutz Pflicht. Von einem Aussichtspunkt schaut man auf eine surreale Mondlandschaft, durch die unentwegt riesige Lastwagen fahren. Um eine Tonne Kohle zu fördern, müssen sieben Tonne Erde bewegt werden. 2016 wurden 32,4 Millionen Tonnen gefördert. Präsentiert wird vorbildlicher Arbeitsschutz, gelbe Helme, Stiefel, Schutzbrillen. 12 600 Menschen arbeiten für Cerrejón.

In der von großer Armut gekennzeichneten Region La Guajira ist es der wichtigste Arbeitgeber. Und mittendrin im Tagebau gibt es das Dorf Mushaisa, ein indigener Begriff für „Erde der Kohle“. Parkanlagen, Schwimmbad, Schule, Restaurant - Tausende Arbeiter wohnen hier.

Die ganze Kohle geht in den Export. Kolumbien selbst setzt vor allem auf Wasserkraft. Die Regierung sieht den Kohlehandel als Schmierstoff für mehr Wachstum. Cerrejón hat einen Anteil am Weltkohlemarkt von vier Prozent. Mindestens sieben Züge bringen die Kohle jeden Tag auf einer 150 Kilometer langen Strecke zum Puerto Bolívar. Auf riesigen Frachtschiffen wird die Kohle dann zu den Hauptmärkten in Europa (39 Prozent des Exports) und dem Mittleren Osten (37 Prozent) gebracht.


Klimabelastung durch Kohleabbau

Die Cerrejón-Kohle gilt als sehr gut, wegen der Konsistenz und des geringen Aschegehalts. Dennoch bleibt die Klimabelastung - Präsident Junguito setzt auf den Durchbruch der CCS-Technologie zur Abscheidung und unterirdischen Verpressung von CO2, die in Deutschland aus Angst vor risikoreichen „Kohlendioxid-Endlagern“ nicht durchsetzbar ist.

Der Preis je Tonne Kolumbien-Kohle liegt derzeit bei rund 80 Dollar, dazu kommen Frachtraten von 6,35 US-Dollar je Tonne. Wegen einer Förderdrosselung in China aus Umweltschutzgründen hat sich der Preis erhöht, was die Verstromung zum Leidwesen der Energieunternehmen teurer macht. Trotzdem lohnt aber keine Revitalisierung des Bergbaus.

„Die geologischen Bedingungen sind in Europa weit ungünstiger, weil die am besten zugänglichen Lagerstätten schon vor 150 bis 200 Jahren abgebaut worden sind und die derzeit genutzten Lagerstätten einen Kilometer tief oder noch tiefer liegen“, betont der Geschäftsführer des Vereins der Kohleimporteure, Franz-Josef Wodopia. Von den Lieferanten der Kohle würden bestimmte Sozial- und Umweltstandards verlangt. Und wer Cerrejón besucht, denkt: alles ganz in Ordnung.

Weniger in Ordnung ist es aber draußen, zum Beispiel in der Stadt Hatonuevo, 25 000 Einwohner. Wer über Autos streicht, hat Kohlestaub am Finger, das Wasser in den Tanks ist mit einem Film überzogen. Und dann ist da das mit Rissen übersäte Haus von María Eugenia Palmezano (70). „Alles von Explosionen und Sprengungen.“ Immer wieder gingen auch Scheiben durch die Detonationen im Tagebau kaputt. Sie hustet.

Der „polvo negro“, der schwarze Staub, verursache Atembeschwerden, wegen der Mikropartikel. „Das Wasser hier kann man auch nicht trinken“, klagt Palmezano. Ob sie auch schon einmal von Cerrejón Geld oder andere Hilfe erhalten habe? „Ich? Nie, nicht einen Peso.“

Ganze Abteilungen sind laut Cerrejón aber damit beschäftigt, den Dialog mit 350 umliegenden Gemeinden zu führen, gerade auch mit den Wayuu-Indigenas, die immer wieder den Kohle-Zug blockieren, um Geld zu erpressen - oder um gegen die Folgen des Abbaus zu protestieren.

Zumindest gibt es wegen des Friedensprozesses in Kolumbien keine Attacken mehr der Farc-Guerilla, 35 Anschläge gab es seit 1991 gegen die Infrastruktur, beim schlimmsten verlor Cerrejón 42 Kohle-Waggons.

Der für den Dialog mit den Gemeinden zuständige Carlos Franco betont, jedes Jahr würden mehrere Millionen US-Dollar für eine bessere Wasserversorgung un Sozialmaßnahmen ausgegeben. Aber die Energiewelt entwickelt sich ohnehin Richtung Grünstrom, 2033 läuft die Konzession aus. Ob es dann noch so viel Steinkohle für die Welt braucht? Franco hat da so seine Zweifel. „Heute will ja auch keiner mehr ein Fax.“

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