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Kommentar Stunde Null in Athen

Der Premier fährt ein überraschendes Manöver. Jetzt werden die Karrten neu gemischt, denn ein „Ja“ der Griechen ist fraglich. Eine Zitterpartie beginnt, die im Finanzcrash enden kann.

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Der Handelsblatt-Korrespondent Gerd Höhler berichtet aus Athen. Quelle: Pablo Castagnola

Athen Gerade erst schien Griechenland gerettet – ein wenig jedenfalls: der Schuldenschnitt, auf den sich die EU-Staats- und Regierungschefs am vergangenen Mittwoch einigten, versprach dem krisengeschüttelten Land zumindest eine Atempause. Da stößt Premierminister Giorgos Papandreou plötzlich alles um: in einer Sitzung seiner sozialistischen Regierungsfraktion kündigte der Regierungschef am Montagabend völlig überraschend an, dass er die EU-Gipfelbeschlüsse, denen er selbst erst vor fünf  Tagen zugestimmt hat, nun zur Volksabstimmung stellen will.

Die Ankündigung schlug in Athen ein wie eine Bombe. Die Kommentatoren waren zunächst ratlos. Und auch Papandreous EU-Partner, die öffentlichen Gläubiger des Landes, und die Investoren, die Papandreou seit Monaten umwirbt, werden konsterniert und empört sein: Was ist das Wort des griechischen Premiers noch wert? Kann man Papandreou überhaupt noch trauen? Vieles spricht dafür, dass es das, was Papandreou zur Volksabstimmung stellen will, die Beschlüsse des EU-Gipfels der vergangenen Woche, jetzt in sich zusammenbrechen.

Unterdessen fragt man sich in Athen: Was bezweckt der Regierungschef mit diesem Manöver? Das Volk sei der Souverän, es müsse in einer „historischen Stunde“ wie dieser unmittelbar und selbst entscheiden, begründete der Premier seine Entscheidung. „Wir vertrauen den Bürgern, wir glauben an ihr Urteilsvermögen“, sagte Papandreou. Wie die Frage, auf die Griechenlands Wähler mit Ja oder Nein antworten sollen, formuliert sein soll, verriet der Premier noch nicht.

Auch den Zeitpunkt der Abstimmung ließ der Premier offen. Aber wenn es wirklich darum gehen sollte, den Schuldenschnitt vom Volk absegnen zu lassen, kann Papandreou nicht darauf hoffen, dass die Griechen zustimmen. Denn sie wissen: der Haircut wird mit neuen, noch härteren Sparmaßnahmen verbunden sein. Dabei stöhnen die Menschen jetzt unter dem Sparkurs der Regierung. Die Wirtschaft rutscht immer tiefer in die Rezession, immer mehr Jobs gehen verloren. Nach einer gestern veröffentlichten Meldung von Eurostat erreichte die Arbeitslosenquote im Juli 17,6 Prozent. In der Altersgruppe von 15 bis 24 Jahren sind schon mehr als 40 Prozent der Griechen ohne Arbeit.

Die Hoffnung, Griechenlands Wirtschaft werde im nächsten Jahr wieder zum Wachstum zurückkehren, hat sich bereits zerschlagen. Frühestens 2013 erwarten die Volkswirte ein Ende der Rezession. Sollte Papandreou wirklich erwarten, dass die Griechen unter diesen düsteren Vorzeichen dem Schuldenschnitt und weiteren Sparmaßnahmen grünes Licht geben, hätte er wohl jeden Realitätssinn verloren. Erst diesen Monat zeigte ein Meinungsumfrage: 85 Prozent sehen das Land „auf dem falschen Weg“, 92 Prozent sind mit der Regierung unzufrieden.


Schwere politische Krise in Griechenland

Was also bewegt Papandreou? Ist er amtsmüde? Kapituliert er vor den Problemen? Sucht er den Ausstieg? Manche Kommentatoren sprechen bereits von einem „politischen Selbstmord“ Papandreous. Anders lässt sich die gestrige Ankündigung tatsächlich kaum interpretieren. Schlimmer noch: der griechische Premier stürzt sein Land, das seit zwei Jahren gegen den Staatsbankrott kämpft, nun auch noch in eine schwere politische Krise.

Monate der Ungewissheit und Unsicherheit kommen auf Griechenland zu. Denn von Heute auf Morgen lässt sich diese Volksabstimmung nicht veranstalten. Dazu bedarf es zuvor eines neuen Gesetzes, über das im Parlament abgestimmt werden muss. Das kann dauern. Überdies verbietet die griechische Verfassung ausdrücklich  Volksabstimmungen über finanzpolitische Fragen. Hat Papandreou das bedacht?

Unter den Vorzeichen des politischen Chaos, das sich in Athen zu entwickeln beginnt, ist zusehends ungewiss, ob sich die privaten Gläubiger  noch zur freiwilligen Teilnahme an dem vergangene Woche beschlossenen Schuldenschnitt durchringen werden. Zumal Papandreou die Verwirrung auch noch mit einer zweiten Ankündigung vergrößerte: Am Dienstag will er im Parlament die Vertrauensfrage stellen. Drei Tage wird laut der Verfassung darüber debattiert, dann stimmen die 300 Abgeordneten ab.

Das Interesse konzentriert sich auf die Parlamentarier der regierenden Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (Pasok). 160 Sitze hatte sie nach der Wahl vom Oktober 2009. Inzwischen ist Papandreous Mehrheit auf 153 Sitze zusammengeschmolzen. Und vielleicht wird sich Ende dieser Woche zeigen, dass er nicht mal die hat. Das Vertrauensvotum, das am Freitag um Mitternacht stattfinden soll, wird für Papandreou und für sein Land zur Zitterpartie.

Verliert er es, dürfte es gar nicht zu der Volksabstimmung kommen. Dann steht Griechenland vor Neuwahlen. Die Meinungsumfragen lassen nicht erwarten, dass eine der beiden großen Parteien eine regierungsfähige Mehrheit erzielen kann. Das würde ein monatelange politische Lähmung bedeuten – und die gerade erst gebannt geglaubte Gefahr einer unkontrollierten Staatspleite wäre größer denn je.

 

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