Kommunalwahlen Italien Forza Virginia

Die Ergebnisse der Stichwahlen in Italien zeigen: Renzis sensationeller Wahlsieg bei den Europawahlen vor einem Jahr ist Geschichte. In Rom siegt eine Frau mit Rekordergebnis ohne politische Erfahrung. Ein Kommentar.

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Virginia Raggi während einer Pressekonferenz: Sie holte in Rom 67 Prozent der Stimmen. Quelle: AFP

Rom Es hat alles nichts genützt. Bei den Stichwahlen zwei Wochen nach den Kommunalwahlen in Italien hat Strahlemann Matteo Renzi mit seiner Partito Democratico (PD) eine bittere Niederlage erlitten – die erste, seit er vor zwei Jahren ins Amt kam. Nur in Mailand kam sein Kandidat durch, in Turin unterlag der PD-Bürgermeister und in Neapel hatte es der PD-Kandidat gar nicht erst in die Stichwahl geschafft.

Doch am Schlimmsten ist es in Rom. Ein Erdrutsch. Virginia Raggi, die junge Kandidatin der Protestbewegung 5 Stelle, hat Renzis Kandidaten Roberto Giachetti aus dem Rennen geworfen – mit einem historischen Rekordergebnis von 67 Prozent und wird die neue Bürgermeisterin der Ewigen Stadt. Sie ist eine Augenweide, die 37jährige Mutter eines kleinen Jungen, und die erste Frau auf dem Kapitol in der Geschichte der Stadt.

Aber sie ist ein Neuling in der Politik, hat keine Verwaltungserfahrung, und gehört einer Partei an, die zentral vom Gründer des Movimento 5 Stelle, dem Komiker Beppe Grillo gesteuert und kontrolliert wird.

Immer wieder hatte Renzi in den vergangene Tagen gesagt: Das sind regionale Entscheidungen, das hat nichts mit nationaler Politik zu tun. Hat es aber doch. Vor allem in Rom, wo Virginia Raggi mehr als doppelt so viele Stimmen holte wie Giachetti. Es war aber, darin sind sich alle Kommentatoren am Morgen danach einig, nicht ein Votum für, sondern eine Abstimmung gegen. Das war eine Protestwahl.

Vor allem die Römer waren die etablierten Parteien und ihr Missmanagement leid, rechts wie links. Jetzt also Rexit. Rom raus aus dem italienischen Gefüge. So wird spöttisch die Zukunft Roms bezeichnet. Die hoch verschuldete Hauptstadt geht auf neuen Kurs, der nicht ohne Klippen ist. Zur politischen Unerfahrenheit Raggis kommt das politische Programm ihrer Partei, das sich vor allem durch ein „Nein“ gegen alles auszeichnet, gegen den Euro, gegen „die da oben“ und auch gegen die Olympia-Bewerbung für 2024.

Raggi muss jetzt die Feuerprobe bestehen und zeigen, dass sie die Stadt regieren kann, an der schon viele gescheitert sind. Die Stadt hat Schulden, ein Problem mit dem Nahverkehr, kann den Tourismus nicht richtig managen und noch liegt der Schatten von „Mafia Capitale“ über Rom. Der Prozess läuft noch gegen die Angeklagten im Bestechungsskandal mit ihren Verbindungen von Unterwelt, Baulöwen und städtische Beamten. Den ganzen Wahlkampf über hatte man den Eindruck, dass eigentlich keiner wirklich die Stadt regieren wollte.

„Bald werden die Protestwähler merken, dass dahinter nichts steckt“, sagt der Politikwissenschaftler Paolo Becchi, der selbst einst Grillos zentral gesteuerter Bewegung angehörte. In anderen Städten sind 5stelle-Bürgermeister an der Realität gescheitert. Raggis Partei, die Renzi gerne ablösen möchte, muss nun beweisen, dass sie konstruktiv regieren kann. Am Übergang vom grundsätzlichen „Nein“ zu allem zur aktiven Politik sind schon andere gescheitert, man denke nur an die Piraten.

Für Renzi wird es ungemütlich, auch wenn landesweit gesehen seine PD nach wie vor an erster Stelle liegt und die Kommentatoren in der Wahlnacht übereinstimmend betonten, dass der Zuspruch für das Movimento 5 Stelle reiner Protest war. So sagten viele Römer noch im Wahllokal, dass sie bei Parlamentswahlen nie für die Grillo-Partei wählen würden.

Renzis sensationeller Wahlsieg bei den Europawahlen vor einem Jahr, als er ein Traumergebnis von 40 Prozent einfuhr, ist Geschichte. Verliert er weiter an Rückhalt im Land, wird es noch schwieriger als es ist, sein Reformprogramm weiter durchzuziehen. Dann droht Reformstau in einem wirtschaftlich noch nicht stabilen Umfeld, schließlich ist das Land erst 2015 aus einer dreijährigen Rezession gekommen. Ab heute muss sich Renzi noch mehr anstrengen.

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