Konferenz in Moskau Russlands unklare Strategie in Afghanistan

Vor fast 30 Jahren musst die Sowjetunion geschlagen aus Afghanistan abziehen - jetzt wird Russland wieder aktiv. Eine große Afghanistan-Konferenz in Moskau steht an. Wird Russland jetzt der neue starke Partner?

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Die Zukunft Afghanistans ist von ausländischen Mächten abhängig. Quelle: AP

Moskau/Kabul Ob beim russischen Militärchef oder beim Außenminister – für Hanif Atmar, einen hohen Berater des afghanischen Präsidenten, stehen in Moskau viele Türen offen. Russland ist besorgt über die Entwicklungen im kriegszerrissenen Afghanistan. Auffallend häufig schütteln sich Politiker aus beiden Ländern in letzter Zeit die Hand, während Afghanistans große Schutzmacht USA und die Nato sich militärisch schon 2014 weitgehend zurückgezogen haben. Löst Russland nun die USA als neuer starker Partner in Afghanistan ab?

Mit einer großen Afghanistankonferenz will Russland an diesem Freitag seinen Einfluss auf die Entwicklungen am Hindukusch festigen. Es ist schon das zweite Treffen in diesem Jahr. Experten aus zehn Staaten werden diesmal in Moskau erwartet, um über die wachsende Unsicherheit in Afghanistan und den Friedensprozess mit den radikalislamischen Taliban zu beraten. Großmächte wie Russland und China sitzen am Tisch, und sogar zerstrittene Nachbarn wie Indien und Pakistan sowie die fünf Ex-Sowjetrepubliken aus Zentralasien sind dabei.

Nur die USA haben abgesagt. Die Beziehungen zwischen Russland und den USA sind gespannt. Manche beschwören schon eine Neuauflage des sogenannten Great Game – des Großen Spiels. So wurde ein historischer Konflikt zwischen Russland und Großbritannien um die Kontrolle Zentralasiens bezeichnet. Zwischen 1813 und 1947 hatten die Großmächte ihren Zank oft auf afghanischem Boden ausgetragen. Später wurde der Begriff wieder aufgewärmt, zum Beispiel während des US-gestützten Kampfs der Afghanen gegen die Sowjetunion in den 1980er Jahren.

Nachdem die UdSSR 1979 in Afghanistan einmarschiert war, entbrannte ein verlustreicher Krieg. Er endete 1989 mit dem Rückzug der Sowjet-Armee, geschlagen von den Mudschaheddin – afghanischen Kriegern, die Pakistan ausgebildet hatte mit viel Geld aus den USA. Afghanistan gilt seitdem als Trauma für die russische Militärelite.

Die Afghanistanpolitik war lange zurückhaltend. Was bewegt Russland also dazu, sich nun doch wieder stärker zu engagieren? Zum einen sei da der massive Drogenschmuggel aus Afghanistan, dem weltgrößten Produzenten von Opium, nach Zentralasien, sagen Experten. Das Milliardengeschäft weitet sich mit dem Krieg nur weiter aus. Im „Opium-Überblick 2016“ der UN heißt es, die Schlafmohn-Anbauflächen seien innerhalb eines Jahres um zehn Prozent gewachsen. Ein großer Teil des Rauschgifts landet in Russland.

Russlands Hauptmotiv aber sei Ruhe in seinem Hinterhof, sagen Politiker. In Afghanistan gebe es eine ernste Terrorgefahr und es grenze an zentralasiatische Partnerländer, sagt der Außenpolitiker und Duma-Abgeordnete Leonid Kalaschnikow. „Deswegen ist eine Zusammenarbeit mit Kabul auf allen Ebenen sehr wichtig.“


„Waffen auf dem Schlachtfeld, die wir vorher nicht gesehen haben“

Vor allem der Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) wird in Moskau als Motivation genannt. Der IS ist in Afghanistan erst 2015 aufgekommen, lässt sich aber trotz massiver Luftangriffe der USA nicht auslöschen. Geheimdienste berichten außerdem, dass IS-Kämpfer auf der Flucht aus Syrien und dem Irak in Afghanistan und Zentralasien eine neue Basis suchen könnten.

Kritiker werfen Russland nun vor, zweigleisig zu fahren und nicht mehr nur mit der Regierung freundliche Kontakte zu pflegen, sondern auch mit deren Erzfeind, den Taliban. Denn die gelten als erbitterte Gegner des IS, sie haben sogar „Spezialkräfte“ gegen den IS. Der russische Spezialbeauftragte für Afghanistan, Samir Kabulow, hatte der Nachrichtenagentur Interfax schon Ende 2015 gesagt, dass sich die Interessen der Taliban da „objektiv mit unseren Interessen“ überschnitten. Das war von Afghanistan und den Nato-Staaten im Land mit Besorgnis wahrgenommen worden.

Eigentlich wolle Russland doch nur die Arbeit der Nato unterminieren, schimpfte der Kommandeur der US- und Nato-Streitkräfte, General John Nicholson bei einem Pentagon-Briefing im Dezember. Ende März sprach der Chef des US-Zentralkommandos, General Joseph Votel, in Washington sogar von möglichen russischen Waffenlieferungen an die Taliban. Ein westlicher Diplomat in Afghanistan bestätigt, es gebe „Waffen auf dem Schlachtfeld, die wir vorher nicht gesehen haben“.

Russland selbst sagt in den vergangenen Wochen immer wieder, die Vorwürfe seien haltlos – Ablenkungsmanöver der USA nach ihrem Totalversagen in Afghanistan. Ja, Moskau sei in Kontakt mit den Taliban, aber nur, um die Taliban zu Friedensgesprächen zu bewegen, betonte Kremlchef Wladimir Putin vor der Moskauer Konferenz.

Moskauer Militärhilfe für die Taliban wäre verheerend für die afghanische Regierung. Allein 2016 hatten die Taliban mehr als 6000 Soldaten und Polizisten getötet. In vielen Provinzen kontrollieren sie nun wieder zusammenhängendes Territorium. Und ihre nächste Frühjahrsoffensive steht kurz bevor. Vermutlich kurz nach Ende der Moskauer Friedenskonferenz.

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