Kongress der Kommunistischen Partei „Peking will eine internationale Neuordnung, in der autoritäre Mächte das Sagen haben“

Bütikofer spricht offen über die Verhältnisse in China – das hat ihm Sanktionen seitens des Staates eingebracht. Quelle: Imago

Reinhard Bütikofer, Vorsitzender der China-Delegation im Europäischen Parlament, warnt vor neuen Abhängigkeiten von China. Er verlangt von der Ampelkoalition in Berlin, gegenüber China härter aufzutreten als die Vorgängerregierung unter Angela Merkel.

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WirtschaftsWoche: Herr Bütikofer, am Wochenende hat der 20. Parteitag der Kommunistischen Partei (KP) Chinas begonnen, Staatschef Xi Jinping stellt sich zur vermeintlich offenen Wiederwahl. Wie ist dieses Theater einzuordnen?
Reinhard Bütikofer: Das ist ganz großes Illusionstheater. Alle wichtigen Personalentscheidungen sind längst getroffen. Parteikaiser Xi Jinping hat die neue Führung handverlesen. Die politische Richtung, die Xi vorgibt, wird 99,9 Prozent Zustimmung finden. Es läuft ähnlich wie damals in der DDR, nur eben in einer totalitären XXL-Variante. Wer nicht garantiert mitklatscht, hat dort nichts verloren.

Welches Signal will Peking damit in die Welt senden?
Adressat ist nicht das Ausland, sondern Chinas Bevölkerung. Die will die KP einschwören. Nach innen geht es um eine Mischung aus Han-Nationalismus und autoritärer Formierung aller Lebensbereiche unter immer mehr High-tech-Kontrolle der Partei. Nach außen fühlt sich Pekings Führung stark wie nie. Dort ist man inzwischen dabei, offen globale Hegemonie anzustreben. Peking will eine internationale Neuordnung, in der autoritäre Mächte das Sagen haben. Beide Dimensionen müssen wir ernst nehmen.

Was meinen Sie damit genau?
China stellt das Prinzip, dass alle Länder das gleiche Recht auf Souveränität haben, wie es die Uno-Charta vorsieht, grundsätzlich in Frage. Aus Chinas Sicht dürfen Großmächte von schwächeren Ländern einen Souveränitäts-Rabatt verlangen. China demonstriert das aktuell, indem es die russische Aggression gegen die Ukraine deutlich unterstützt.

Braucht Chinas Präsident Xi Jinping die große Inszenierung auch, um von Problemen in der Wirtschaft abzulenken? Das Wachstum stockt, im Immobiliensektor häufen sich die Probleme, die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch.
Es läuft gerade nicht richtig gut für Xi Jinping. Umso mehr wird er auf die diktatorische Umsetzung seines Willens pochen. Und das ist weltweit relevant. Seine Politik bedroht unsere Werte, unsere Interessen und unsere demokratische Lebensweise. Die deutsche China-Politik muss demgegenüber in europäischer Solidarität gestaltet werden und auch in Partnerschaft mit den USA und anderen gleichgesinnten Ländern.

Ist es vor diesem Hintergrund das richtige Signal, wenn Bundeskanzler Olaf Scholz kurz nach dem Parteitag als erster westlicher Politiker seit dem Ausbruch der Pandemie nach China reisen will?
Ich kenne in Brüssel niemanden, der das für ein richtiges Signal hält. Aber nun stellt sich zusätzlich die Frage, wie Scholz seinen Besuch gestaltet. Die Koalition hat in Abgrenzung zu Frau Merkels Übung eine neue China-Politik versprochen. Das muss sichtbar werden. Angela Merkel war zu nah an den kurzsichtigen Interessen bestimmter Chefs von Großunternehmen. So eine China-Politik würde uns immer weiter in gefährliche Abhängigkeiten bringen. Ich hoffe deshalb auf einen neuen Aufbruch. Viele in Europa und gerade unter unseren Verbündeten hoffen das auch.

Dabei ist allerdings auch die Wirtschaft gefragt. Russlands Aggression gegen die Ukraine hat Deutschland den Preis von Abhängigkeiten vorgeführt. Sind die Unternehmen inzwischen sensibler, was die teils noch größeren Abhängigkeiten von China angeht?
In der Tat gibt es eine wachsende Sensibilität in der Wirtschaft gegenüber China. Teilweise auch schon vor Russlands Angriffskrieg. Das wird aber überdeckt, weil eine kleine Zahl von Großkonzernen mit ihren starken Investitionen dort einen anderen Kurs fahren. Sie wollen sich die brutale Realität im China von Xi schönreden. Die Verteidigung von Menschenrechten und unserer Sicherheit in der systemischen Rivalität mit China taugen aber nicht als bloße Fassadenbegrünung für „Wandel durch Handel“.

Reinhard Bütikofer

Gilt das nur für bereits bestehende Investitionen – oder auch für Neuansiedlungen deutscher Firmen in der Volksrepublik?
Tatsächlich gibt es kaum Beispiele für Unternehmen, die neu nach China gehen. Auffällig ist, dass Firmen zunehmend Investitionen in China zurückhalten oder auf Diversifizierung anderswo setzen. Manche Konzerne, die sich von China zu abhängig gemacht haben, setzen weiter auf dasselbe Pferd. Entsprechend wollen sie auf den Kurs der Bundesregierung einwirken, nach dem Motto: Das, was für den Chef von Volkswagen gut ist, ist auch für ganz Deutschland gut. Dieser Position zu folgen, wäre verhängnisvoll.

Hören Sie im Podcast den Ex-Merkel-Berater Christoph Heusgen im Gespräch mit WiWo-Chefredakteur Beat Balzli: „Sie sehen in der chinesischen Politik eine totale Konzentration“

Wie groß der Krach um die richtige China-Politik ist, zeigt auch die Debatte um den Einstieg des chinesischen Staatsbetriebs Cosco im Hamburger Hafen. Die grünen Minister im Wirtschafts- und Außenministerium sind dagegen, die SPD mit Kanzler Scholz und dem Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher dafür. Wer wird sich durchsetzen?
Die Debatte ist nicht einfach eine zwischen Grünen und SPD. Nach meiner Kenntnis ist das Kanzleramt da in der Regierung recht allein. Olaf Scholz wollte früher als Bürgermeister dem chinesischen Staatskonzern Cosco sogar noch größere Zugeständnisse machen, als jetzt zur Debatte stehen. Ich frage mich, warum sich die Häfen Hamburg, Rotterdam und andere eigentlich gegeneinander ausspielen lassen. Die Kirchturmperspektive hilft da nicht, auch nicht die vom Hamburger Michel.

China hat Sie persönlich Anfang 2021 sanktioniert, weil Sie Menschenrechtsverletzungen deutlich angesprochen haben. Bleiben Sie für China Persona non grata?
Offiziell ja, klar. Hinter den Kulissen hat der ehemalige Botschafter Shi Mingde zu verstehen gegeben, dass man von Peking aus ein Quäntchen Flexibilität suchen könne. Die haben sich mit den Sanktionen ins Knie geschossen. Den Fehler korrigieren will Peking nicht, aber so tun, als ob. Ich würde es aber gut finden, wenn der Bundeskanzler durch die Auswahl seiner Delegationsbegleitung nach China deutlich machte, dass diese Bundesregierung auf der Seite derjenigen steht, die von China sanktioniert wurden, und dabei rede ich nicht pro domo. Das wäre eine schöne Veränderung gegenüber Frau Merkel.

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Haben Sie von der damals noch amtierenden Kanzlerin eigentlich jemals ein Signal der Solidarität bekommen?
Nie. Nicht auch nur ein einziges Telefonat.

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