Kongresswahlen in den USA Wahl-Schlappe für Obama

Die US-Wirtschaft wächst, die Börse boomt, die Arbeitslosigkeit sinkt. Trotzdem haben die Wähler US-Präsident Barack Obama und seine Demokratische Partei bei den Wahlen am Dienstag herb abgestraft.

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Quelle: Bloomberg

It’s the economy, stupid. Es sind Wirtschaftsfragen, die Wahlen entscheiden. Die 1992 im US-Präsidentschaftswahlkampf vom demokratischen Strategen James Carville geborene Losung gilt heute als das weltweit wichtigste Wahlkampf-Gebot. In entwickelten und friedlichen Demokratien bekommt derjenige das Kreuzchen, der für Aufstiegschancen und gut gefüllte Portemonnaies sorgt.

Bloß für Barack Obama, der eigentlich mit Fug und Recht behaupten kann, die USA umsichtig und nachhaltig aus der wirtschaftlichen Krise geführt zu haben, scheint das nicht zu gelten: Die Halbzeitwahlen am Dienstag in den USA gerieten – allen positiven Wirtschaftsdaten zum Trotz – zur großen Abrechnung mit dem US-Präsidenten und seiner Demokratischen Partei.

Erdrutschsieg für die Republikaner

Die US-Republikaner eroberten mit einem Erdrutschsieg die Mehrheit im Senat. Die Konservativen beherrschen nun beide Parlamentskammern. Für Präsident Barack Obama wird das Regieren dadurch noch schwieriger und die politische Blockade in Washington wird sich wohl verschärfen.

Worüber die Amerikaner am 4. November abstimmen

Obama trat 2009, mitten in einer der größten Wirtschaftskrisen des Landes, sein Amt an. Der Leitindex der New Yorker Börse, Dow Jones Industrial, stand damals bei 7000 Punkten. Im vergangenen Jahr erreichte der Index mit 13.000 Punkten Vorkrisenniveau, heute steht er bei über 17.000 Punkten.

Bei rund zehn Prozent Arbeitslosenquote übernahm der Präsident, seither sinkt die Quote beständig und steht heute bei unter sechs Prozent. Und während die Eurozone im Krisenmodus verharrt, wächst die US-Wirtschaft in diesem Jahr mit 3,5 Prozent stärker, als selbst optimistische Ökonomen vermutet hatten. 

Obama rettete die Autobauer General Motors und Chrysler mit Staatsmitteln vor der Pleite, heute erwirtschaften beide Unternehmen wieder gute Gewinne. Vor allem aber setzte er eine Gesundheitsreform durch, die erstmals allen Amerikanern eine Krankenversicherung ermöglicht und die – wie neue Daten sämtlicher Wirtschaftsforscher unisono belegen – funktioniert. Wie viele US-Präsidenten sind in den vergangenen Jahrzehnten mit diesem Vorhaben gescheitert!

Horrorszenarien sind ausgeblieben

Zehn Millionen zuvor unversicherte Amerikaner haben nun eine Krankenversicherung und in den kommenden Jahren wird der Zahl Versicherten um etliche weitere Millionen anwachsen. Sämtliche Horrorszenarien von Kritikern, wie steigenden Kosten für die schon zuvor Versicherten oder Belastungen für das Gesundheitswesen, sind bislang ausgeblieben.

Stattdessen freuen sich Versicherer, Ärzte und Krankenhäuser über zusätzliche Umsätze. Ebenfalls förderlich im Sinne von „It’s the economy“: Die Benzinpreise in den USA sind mit gut 60 Euro-Cent pro Liter so niedrig wie seit vier Jahren nicht mehr. Zudem ist das Shoppen für Amerikaner, die gerne per Kreditkarte auf Pump einkaufen, dank niedrigster Zinsen so vergnüglich wie selten zuvor.

Wissenswertes zu den Kongresswahlen

Alles in allem, eigentlich beste Voraussetzungen für ausgelassene Wahlpartys der Demokraten am Dienstagabend. Stattdessen herrschte landauf, landab große Trübsal. Doch die Demokraten sollten das von ihnen erfundene, erste Wahlkampf-Gebot nicht vorschnell zu Grabe tragen.

Es ist nach wie vor die Wirtschaft, die die meisten Wahlen entscheidet und die – beim näheren Hinsehen – auch die Halbzeitwahlen in den USA entschieden hat. Denn die US-Wirtschaft wächst zwar, doch die meisten Wähler spüren von diesem Wachstum herzlich wenig.

Niedergang der breiten Massen

Die amerikanische Mittelschicht kämpft mit einem fortschreitenden wirtschaftlichen Niedergang. 1978 verdiente der durchschnittliche weiße Arbeiter in den USA 48.000 Dollar pro Jahr. Heute sind es nur noch 34.000 Dollar. In den 70er-Jahren hatten Mittelschichthaushalte noch ein verfügbares Einkommen von 35.000 Dollar und gaben davon rund 18.000 Dollar für Wohnen, Gesundheit und Ausbildung aus.

Heute stehen einem verfügbaren Einkommen von 27.000 Dollar Ausgaben von 34.000 Dollar für Wohnen, Gesundheit und Ausbildung gegenüber – womit zum Teil auch die dramatische Verschuldung amerikanischer Bürger erklärt wäre. An diesen langfristigen Trends änderte auch Barack Obama nichts: Das Durchschnittseinkommen in der Mittelschicht kannte auch während seiner Amtszeit nur eine Richtung: abwärts. Trotz Erholung der US-Wirtschaft.

Die größten Gläubiger der USA

Vor allem die Ausbildung der Kinder wird immer mehr zum Mühlstein am Hals der Familien. In den 70ern kostete ein Studium an der University of California in Berkeley 700 Dollar pro Jahr, heute sind es 15.000 Dollar. Zunehmend empört die Wähler aus der Mittelschicht, dass der Niedergang die breite Masse trifft, nicht jedoch die reiche Elite der Gesellschaft.

Abschied vom American Dream

In den 70er-Jahren vereinte das bestverdienende Prozent der Gesellschaft neun Prozent der Löhne auf sich, heute sind es 23 Prozent. Und der American Dream, der Aufstieg aus bescheidenen Verhältnissen, gelingt ausgerechnet in den USA seltener als in vielen anderen Ländern: 42 Prozent der in Armut geborenen Amerikaner werden immer arm sein. In Dänemark sind es nur 25 Prozent, in Großbritannien 30 Prozent.

„Die Menschen fühlen den Aufschwung nicht und machen sich immer noch Sorgen um die Wirtschaft“, sagt Larry Sabato, Politikprofessor an der Universität von Virginia. „Ein Politiker, der in dieser Situation den Wirtschaftsaufschwung betont, wirkt weltfremd.“ Deshalb hätten die Demokraten im Wahlkampf gar nicht erst versucht, mit dem Aufschwung für sich zu werben.

Der Zerfall Amerikas in Bildern
2011 begann Seph Lawless damit, sich mit dem urbanen Zerfall zu beschäftigen. Er fotografiert verlassene Fabriken, Kirchen, Krankenhäuser - und Shopping Malls. Von dem einstigen Konsumtempel der Ohio’s Randall Park Mall sind nur noch Ruinen übrig.
Nachdem er gut 3000 Fotos geschossen hatte, begann Lawless den Zerfall der Shopping Malls in seinem ersten Buch, "The Autopsy of America " zu dokumentieren.
Sein neues Buch "Black Friday: The Collapse of the Modern Mall " beschäftigt sich mit den einstigen Symbolen für Konsum und Kapitalismus. Von vielen sind nur noch traurige Ruinen übrig, wie hier in der Ohio's Randall Park Mall, früher eine der größten Malls in ganz Amerika.
Wo früher gut gelaunte Shopping-Liebhaber ihren Kaffee tranken, finden sich heute nur noch Scherben.
"Ich hoffe, dass die Leute meine Bilder sehen und das Ende der größten Wirtschaftsmaschine der Welt erkennen - die Vereinigten Staaten von Amerika", so Lawless.
Hier blüht nichts mehr. Nirgendwo werde der Zerfall Amerikas so deutlich wie an den Shopping Malls, meint Seph Lawless.
Auch die Rolling Acres Mall in Akron, Ohio, hat ihren früheren Glanz verloren.

Mit dem nicht spürbaren Aufschwung vergraulten die Demokraten sogar ihre treusten Wähler, die Afroamerikaner und die Latinos. Bei den zurückliegenden Halbzeit- und Präsidentschaftswahlen hatten sie die Demokraten nach Kräften unterstützt, dieses Mal vermochten sie die Demokraten offenbar kaum zu mobilisieren.

Dass die Demokraten in den letzten Wochen des Wahlkampfes diese ethnischen Gruppen lautstark aufforderten, zur Wahl zu gehen und damit das Ruder für die Demokraten herumzureißen, wirkt beim Blick auf die wirtschaftliche Lage dieser Gruppen fast unverschämt: Ausgerechnet die Wähler, die unter Barack Obama am stärksten wirtschaftlich abgehängt wurden, sollten sich nun für ihn ins Zeug legen.

Ende der 60er-Jahre, als sich die Afroamerikaner gerade erst die Gleichberechtigung in den USA erstritten, hatten weiße Haushalte ein um 43 Prozent höheres Einkommen als Haushalte von Afroamerikanern. Heute verdienen weiße Haushalte 72 Prozent mehr. Ähnlich fällt der Vergleich bei Latino-Haushalten aus.

Noch krasser sind die Unterschiede beim Vermögen der Haushalte. Hatten in den 90er-Jahren weiße Haushalte ein fünf Mal höheres Vermögen, ist es heute im Durchschnitt 19 Mal höher. Die Arbeitslosenraten sind unter Afroamerikanern und Latinos doppelt so hoch wie unter Weißen.

Afroamerikaner und Latinos hätten die Demokraten lange gestützt, aber ihre Geduld sei allmählich erschöpft, sagt Carla Castedo von der Latino-Organisation Mi Familia Vota, gehörten sie doch zu denen, „die besonders unter den wirtschaftlichen Verhältnissen leiden.“

It’s the economy. Mehr denn je.

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