
Kaum waren die 33 Regierungschefs aus Lateinamerika und der Karibik Mitte Dezember aus dem brasilianischen Seebad Costa de Sauipe von ihrem Treffen abgereist, da mussten die Zimmermädchen und Kellner Überstunden einlegen: Noch nie war das größte Ferienressort Brasiliens so gut belegt . Und das gilt für die meisten Hotels an den Traumstränden im Nordosten Brasiliens. Bis Februar sind die meisten Luxusresorts ausgebucht – vor allem von Brasilianern aus den Metropolen im Südosten.
Das zeigt Zuversicht inmitten der globalen Wirtschaftskrise, die mit Verzögerung auch Brasilien erfasst hat: Die Autobauer schickten ihre Belegschaften zum Jahreswechsel in verlängerte Ferien. Der Eisenerzhersteller Vale, der größte Zulieferer der Stahlkonzerne weltweit, hat seine Produktion um zehn Prozent reduziert. Die Erzfrachter können in China nicht mehr löschen, weil die Hafenlager für Pellets und Erz überfüllt sind. „Bis vor Kurzem zerbrachen wir uns den Kopf, wie wir an Personal kommen können“, sagt Marco Dalpozzo, Personaldirektor der Vale, „jetzt sorgen wir uns, wie wir es halten können.“ Die Auftragseingänge bei Investitionsgüterherstellern sind eingebrochen, vor allem Autozulieferer, Bauwirtschaft und Landwirtschaft streichen nun Investitionen. Während im dritten Quartal die Investitionen um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr zulegten, dürfte das vierte Quartal deutlich schwächer verlaufen sein. Der fast fünfjährige Investitionsboom Brasiliens ist damit erst mal beendet. Laut Marcelo Carvalho, Analyst von Morgan Stanley, könnte die Wirtschaft im vierten Quartal sogar geschrumpft sein. Für 2009 prognostiziert er im besten Fall ein Nullwachstum.
Doch es gibt auch optimistischere Szenarien. Sicher: Auch in São Paulo ist die Börse eingebrochen. Der Real hat kräftig an Wert verloren, viele ausländische Investoren haben Geld aus dem Land abzogen. Die OECD lobt gleichwohl, dass Brasilien unter den großen Volkswirtschaften weltweit am wenigsten Wachstumsdynamik eingebüßt habe. Viele Ökonomen halten 2009 noch immer ein Wachstum um die zwei Prozent für möglich. Die Zentralbank hat jetzt gar ein Wachstum von drei Prozent prognostiziert. Für die Experten um Zentralbankchef Henrique Meirelles könnte eine sinkende Inflation Zinssenkungen ermöglichen, die wiederum die Binnenkonjunktur beleben würden.
Trotz der hohen Exportdynamik der letzten Jahre – etwa bei Eisenerz, Soja, Flugzeugen und Elektromotoren – hängt Brasiliens Wirtschaft zu weniger als einem Fünftel von den Ausfuhren ab. Wichtigster Wachstumsmotor ist der Konsum. Und weil die Unternehmen bisher kaum entlassen haben, aber in den letzten drei Jahren fünf Millionen neue Jobs geschaffen haben, dürfte die Kaufkraft der Bevölkerung so schnell nicht schrumpfen. Nach einer Umfrage der angesehenen Fundação Getúlio Vargas ist das Konsumentenvertrauen im Dezember nach zwei negativen Monaten sogar wieder gestiegen.

Die Regierung hat bisher vor allem das Finanzsystem gestützt, den Banken Liquiditätsspritzen von 125 Milliarden Dollar genehmigt sowie Fusionen und Übernahmen schwacher Institute erleichtert. Insgesamt sind die brasilianischen Banken vergleichsweise solide aufgestellt. Nach der großen Krise Mitte der Neunzigerjahre schrieb die Bankenaufsicht strenge Auflagen fest für Transparenz, Eigenkapital und Mindestreserven. Vikram Pandit, Präsident der angeschlagenen Citigroup, erklärte kürzlich bei einem Besuch in São Paulo: „Von den 109 Ländern, in denen wir arbeiten, ist Brasilien einer der Standorte, die mir am wenigsten Sorgen bereiten.“
Zusätzlich denkt die brasilianische Führung nun auch über Konjunkturprogramme nach, wie die zeitweise Kürzung der Einkommensteuer sowie Finanzhilfen für Landwirtschaft, Autobranche und Maschinenbau. Durch den Einnahmenboom der letzten Jahre sind die wichtigen Bundesstaaten finanziell gut gepolstert, um zusätzlich Infrastrukturprogramme zu starten. Der staatliche Ölkonzern Petrobras wird zudem großzügig mit staatlichen Krediten versorgt, um das gewaltige Investitionsprogramm des Unternehmens am Laufen zu halten. Petrobras ist mit seinen zahlreichen Aktivitäten in der Verarbeitungskette von Öl und Gas die wichtigste Jobmaschine in Brasiliens Wirtschaft.
Insgesamt ist Brasilien mit seinen hohen Devisenreserven, einer nur leicht negativen Leistungsbilanz und seinem flexiblen Wechselkurs als Puffer für externe Schocks besser gewappnet als je zuvor in den vergangenen drei Dekaden. „Brasilien ist politisch und wirtschaftlich so stabil wie noch nie in seiner Geschichte“, lobt der US-Außenhandelsexperte Fareed Zakaria. „Brasilien wird unter der Krise leiden – aber weit weniger als Europa und die USA.“