Konjunktur Deutschland ist besser als sein Ruf

Seit acht Quartalen wächst die Wirtschaft in Deutschland – aller Unkenrufe zum Trotz. Im Frühjahr lag das Wachstum bei 0,4 Prozent. Damit war das Tempo doppelt so hoch wie erwartet. Eine Analyse.

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Das Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal fiel höher aus als erwartet. Quelle: dpa

Düsseldorf Natürlich kann man an den Daten zum Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal herummäkeln: Schwache Investitionen, Doping durch billiges Öl und Nullzins, zusätzliche Staatsausgaben zur Bewältigung der Migrationswelle. Fakt bleibt jedoch, dass die deutsche Wirtschaft auch im Frühjahr viele Auguren verblüfft hat und mit 0,4 Prozent zum Vorquartal überraschend stark gewachsen ist.

Nun spricht viel dafür, dass die deutsche Volkswirtschaft dieses Jahr um etwa 1,75 Prozent wachsen dürfte – und damit so stark wie seit 2011 nicht mehr. Das gilt selbst dann, wenn es im zweiten Halbjahr zu einer „Abflachung des Wachstumstrends“ kommen sollte, wie es von vielen Volkswirten erwartet wird. Doch wenn es gut läuft, sind vielleicht gar zwei Prozent Wachstum drin.

Warnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) vor einem Unsicherheitsschock durch die Brexit-Entscheidung scheinen jedenfalls überzogen. Der Ifo-Index als wichtigster Frühindikator für die Wirtschaftsentwicklung sank zuletzt zwar; doch von einem Brexit-Einbruch kann keine Rede sein. „Viel wichtiger als der Brexit ist für die deutsche Wirtschaft die nachlassende Nachfrage aus China und der starke Konsum im Inland“, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Diese gegenläufigen Einflüsse hielten sich weitgehend die Waage.

Erste Banken erhöhten nach den neuen Daten zum Bruttoinlandsprodukt heute bereits ihre Konjunkturprognose für das laufende Jahre. Ein Grund dafür ist auch, dass die amtlichen Statistiker auch die zurückliegenden Daten umfassend revidiert haben. Somit erhöht sich die Startrampe für 2016 um 0,1 Prozentpunkte.

Sicher, die Mahnung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) sind richtig: Der Konsum als einzige Stütze reicht auf Dauer nicht, die Investitionen anzuschieben. Und beim Export nimmt der Gegenwind aus verschiedenen Richtungen zu. Das stimmt, doch geopolitische Unsicherheit gehört eben zum Geschäft eines jeden Exporteurs. Sorgte man sich vor einem Jahr vor einem Jahr noch vor einer harten Landung der Konjunktur in China, Russland und den Gotteskriegern der Terrormiliz IS, sind heute eher die Türkei, die klammen Ölstaat und das strauchelnde Brasilien im Fokus.


Keine Glückssträhne hält ewig

Doch das Rekordtief auf dem Arbeitsmarkt und bundesweit fast eine Million offene Stellen bei Wirtschaft und Staat zeigen: Lage und Erwartungen sind so gut wie lange nicht sind. Seit acht Quartalen wächst die Wirtschaft nun schon ohne Unterbrechung. Und selbst kleine Schwächephasen, wie zuletzt im Frühjahr 2014 oder im Winter 2012/2013, können Deutschland derzeit wenig anhaben – Agenda 2010 und demografischem Zwischenhoch sei Dank!

Auch im Vergleich zum Vorjahr wuchs die deutsche Wirtschaft kräftig: Das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt stieg um 3,1 Prozent und damit so stark wie seit fünf Jahren nicht mehr, kalenderbereinigt ergab sich ein Plus von 1,8 Prozent.

Ein Blick in die Euro-Zone bestätigt Deutschlands herausragende Stellung. Die Wirtschaft im gesamten Währungsraum legte lediglich um 0,3 Prozent im Frühjahr zu. Mit Frankreich und Italien herrschte gleich in zwei der großen Euro-Länder Stagnation – dort wird mach einer neidisch nach Deutschland schielen.

Dabei wiegen die Konjunktursorgen mit Blick auf den längerfristigen Trend in Italien deutlich schwerer als in Frankreich, wo noch zu Jahresbeginn ein überraschend hohes Wachstum zu verzeichnen war und man das schwache zweite Quartal wohl als statistischen Rückpralleffekt interpretieren kann. Auch Österreich musste sich mit Nullwachstum zufrieden geben. Diese schwache Entwicklung wichtiger Handelspartner ist sicher ein Alarmzeichen für manch deutschen Exporteur.

Unter den größeren Staaten wuchsen lediglich Spanien und die Niederlande mit 0,7 bzw. 0,6 Prozent etwas stärker; Deutschland kann also recht beruhigt im Sommerurlaub bleiben. Doch dauerhafte Trägheit kann sich auch Deutschland nicht leisten. Denn mittelfristig sind die ökonomischen und sozialen Herausforderungen immens, die die Alterung der Gesellschaft mit sich bringen werden. Das sollte eigentlich auch nicht im bevorstehenden Bundestagswahlkampf vergessen werden. Denn keine Glückssträhne hält ewig.

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