Konjunktur Platzt in China die nächste Blase?

Seite 4/5

Grafik: Auswirkungen Wirtschaftswachstum

Doch jetzt gerät das Modell ins Wanken. Nachdem die Kredit- und Immobilienblase geplatzt ist, müssen die US-Bürger ihre Ersparnisse auffüllen und ihre Schulden tilgen. Viel Geld zum Shoppen bleibt da nicht übrig. Der Druck auf China, sich aus seiner Exportabhängigkeit zu lösen und die Binnennachfrage zu stärken, wächst. Doch eine einfache Rechnung zeigt, wie weit Chinas Konsumenten noch davon entfernt sind, die Lücke zu füllen, die die US-Konsumenten hinterlassen.

Derzeit entfallen rund 38 Prozent des chinesischen BIPs auf den privaten Konsum. Steigt dieser um ein Prozent, erhöht dies das BIP rein rechnerisch um 0,38 Prozent. Da Chinas Anteil am weltweiten BIP bei acht Prozent liegt, treibt der Konsumzuwachs in China das globale BIP lediglich um 0,03 Prozent nach oben. Dagegen entfallen in den USA rund 70 Prozent des BIPs auf den privaten Konsum. Ein Anstieg der Verbraucherausgaben um ein Prozent lässt das US-BIP daher um 0,7 Prozent wachsen. Da die USA 27 Prozent zum globalen BIP beisteuern, treibt der Konsumimpuls made in USA das weltweite BIP um 0,19 Prozent in die Höhe.

Der Schub aus den USA ist mehr als sechs Mal so groß wie der aus China. Anders gewendet: Die Verbraucherausgaben in China müssten sechs Mal so stark zulegen wie in den USA, um die gleiche Wirkung auf das globale BIP zu erzeugen.

Radikaler Umstieg auf Konsum kurzfristig nicht möglich

Experten prognostizieren, dass der US-Konsum in diesem Jahr um rund ein Prozent schrumpft. Um die davon ausgehende negative Wirkung auf das globale BIP auszugleichen, müsste sich die Zuwachsrate des privaten Verbrauchs in China von rund sechs auf zwölf Prozent verdoppeln. Eine derart radikale Umstellung des chinesischen Wirtschaftsmodells vom Export auf den Konsum dürfte kurzfristig aber kaum möglich sein.

Langfristig könnte die Sache jedoch anders aussehen. Ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Binnennachfrage bestünde darin, eine tragfähige Sozialversicherung aufzubauen. Noch immer müssen die Bürger den größten Teil der Kosten für medizinische Behandlungen aus der eigenen Tasche bezahlen. Daher legen sie 22 Prozent des Bruttoinlandsprodukts als Ersparnis auf die hohe Kante – Geld, das dann für den Shopping-Bummel fehlt. Die Regierung in Peking hat im Rahmen ihres Konjunkturpakets daher beschlossen, umgerechnet 85 Milliarden Euro für den Aufbau eines Krankenversicherungssystems bereitzustellen. Doch wie so oft in China hapert es auch hier mit der praktischen Umsetzung. Außerdem wird es eher Jahrzehnte als Jahre dauern, bis der Schritt Wirkung zeigt.

Kritiker verweisen zudem darauf, dass sich die Einkommenschere zwischen Stadt und Land in den vergangenen Jahren kontinuierlich geöffnet hat. „Damit die Landbewohner endlich mehr Geld in der Tasche haben, muss die Regierung sie zu Besitzern ihres Landes machen“, fordert Mao Yushi, einer der renommiertesten Ökonomen Chinas. Pläne dazu hatte die Regierung. Doch die Reform scheiterte im vergangenen Jahr am Widerstand Konservativer in der Partei. Außerdem fordert Mao eine Liberalisierung des Dienstleistungssektors. „Dort könnten Millionen neuer Jobs geschaffen werden“, so der Ökonom. Zeichen, dass etwas passiert, gibt es bislang allerdings nicht.

Darüber hinaus, mahnen Kritiker, müsse China sein Finanzsystem reformieren. Bislang kommen vor allem Staatsunternehmen in den Genuss von Krediten der staatlichen Banken. Viele der mehr als 60 Millionen Privatfirmen müssen sich da-gegen zu hohen Zinsen über illegale Geldverleiher finanzieren. In neue Arbeitsplätze, die steigende Einkommen nach sich zögen, investieren sie darum kaum. Die Kreditvergabe zur Krisenbekämpfung hat den gefährlichen Trend verstärkt. Chinas Staatskonzerne seien „die großen Gewinner der Krise“, urteilt Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in China. Monopole würden ausgeweitet, sagt Wuttke, und die Staatskonzerne drängten die Privaten aus dem Markt. Doch gerade auf die ist China angewiesen, um langfristig sein Wachstum und seine Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.

Die Regierung scheut vor einer Reform des Finanzsektors zurück, weil sich die Kommunistische Partei dann zumindest teilweise aus den Banken zurückziehen müsste. „Unter Präsident Hu Jintao“, sagt Ökonom Mao, „ist der staatliche Sektor kontinuierlich ausgeweitet worden.“

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%