Konsequenzen für Erdogan „Man kann keinem Unternehmen mehr zu Investitionen in der Türkei raten“

Nachdem die Situation zwischen Deutschland und der Türkei sich weiter zugespitzt hat, kündigt Außenminister Gabriel jetzt Konsequenzen an. Die Reisehinweise werden verschärft. Folgen gibt es auch für die Wirtschaft.

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Ernsthafte Konsequenzen für die Türkei. Quelle: dpa

Berlin Nachdem Anfang der Woche der Menschenrechtler Peter Steudtner und fünf weitere Aktivisten wegen Terrorverdachts in Istanbul in festgenommen wurden, folgt eine diplomatische Eskalation auf die nächste. Am Mittwoch brach Außenminister Sigmar Gabriel seinen Türkei-Urlaub ab, um das weitere Vorgehen abzusprechen. Auch SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz war in die Planungen um den weiteren Umgang mit der Türkei einbezogen. Jetzt kündigte Gabriel erste Konsequenzen für das Verhalten des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogans an.

Gabriel kündigte an, dass die Bundesregierung deutsche Unternehmensinvestitionen in der Türkei nicht länger befürworten könne, wenn jedes rechtlich einwandfrei handelnde Unternehmen damit rechnen müsse, als Terrorunterstützer bezeichnet zu werden. Außerdem kündigte er eine Verschärfung der Reisehinweise für die Türkei an.

Man habe immer wieder Geduld geübt, sich zurückgenommen und darauf gesetzt, dass in der Türkei die Vernunft zurückkehre. „Immer wieder sind wir enttäuscht worden“, sagte Gabriel. Wer jetzt wieder überlege die Todesstrafte einzuführen, wolle das Rad der Geschichte zurückdrehen. Der Außenminister betonte noch einmal, dass Steudtner sich in keinster Weise strafbar gemacht habe und verurteilte die Inhaftierung des Menschenrechtlers scharf. Man erhoffe sich dadurch eine „Rückbesinnung der türkischen Regierung auf die europäischen Werte“. „It takes two to tango“, sagte Gabriel, was auf deutsch soviel heißt wie: Es braucht zwei zum Tango tanzen.

Bereits am Dienstag war der türkische Botschafter deswegen in Berlin einbestellt worden. Dem türkischen Botschafter wurde dem Auswärtigen Amt zufolge „klipp und klar gesagt, dass die Verhaftung von Peter Steudtner und anderen Menschenrechtsaktivisten nicht nachvollziehbar und auch nicht akzeptabel und schon gar nicht vermittelbar ist“. Die gegen ihn erhobenen Terrorismusvorwürfe seien an den Haaren herbeigezogen. Er müsse unverzüglich freigelassen werden. Das Vorgehen gegen Menschenrechtsorganisationen sei eine „dramatische Verschärfung“.

In der Vergangenheit hatte die Bundesregierung scharfe Stellungnahmen vermieden. Für Aufsehen sorgte auch ein Bericht, demzufolge Ankara mehrere deutsche Firmen der Terrorunterstützung beschuldigt, darunter Daimler und BASF übersandt hatte, denen sie Terrorunterstützung unterstellt, erhöhte sich der Druck auf die Bundesregierung erneut. Forderungen von Opposition und Nichtregierungsorganisationen den scharfen Worten auch Taten folgen zu lassen wurden laut. Die Opposition und SPD-Kanzlerkandidat Schulz verlangten Finanzhilfen für den Nato-Partner einzustellen.

Das türkische Außenministerium hatte zuvor bereits erklärt, dass die deutschen Äußerungen zur Festnahme Steudtners nicht akzeptabel seien. „Das war eine direkte Einmischung in Angelegenheiten der türkischen Justiz.“ Zudem sei mit den von deutscher Seite gewählten Äußerungen eine Grenze überschritten worden. Auf Gabriels Ankündigung kam zunächst noch keine Reaktion.

Seit dem Putschversuch in der Türkei gehen die Behörden erbittert gegen mutmaßliche Putschisten, aber auch gegen Oppositionelle vor. Kritik aus Deutschland und Europa verbittet sich Ankara mit dem Hinweis, die Türkei wolle lediglich Demokratie herstellen. Die Probleme schaukeln sich hoch: Ein Auftrittsverbot in Deutschland konterte Erdogan mit Nazivergleichen. Die Annahme der Asylanträge einzelner mutmaßlicher Putschsoldaten in Deutschland wurde von Ankara mit dem Vorwurf quittiert, Deutschland beherberge Terroristen.

Im Februar wurde zudem der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel unter Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft gesteckt. Bis heute sitzt er ohne Anklage in Einzelhaft. In dieser Woche wurde Untersuchungshaft gegen einen deutschen Menschenrechtsaktivisten verhängt, der in Istanbul ein Seminar gegeben hatte. Auch gegen ihn liegen noch keine konkreten Vorwürfe vor. Insgesamt wurden seit dem Putschversuch 22 Deutsche festgenommen, neun davon sitzen immer noch im Gefängnis.

Deutsche Diplomaten sind nach einem Medienbericht überzeugt, dass die türkische Regierung inhaftierte Deutsche wie Geiseln benutzt. Ankara wolle so erzwingen, dass die Bundesregierung Türken ausliefere, die nach dem Putschversuch vor gut einem Jahr in Deutschland Asyl beantragt hätten. So gibt die „Bild“-Zeitung am Donnerstag Diplomatenkreise im Auswärtigen Amt wieder. Präsident Erdogan habe der Bundesrepublik bereits vor einigen Wochen angeboten, den deutsch-türkischen „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel gegen zwei nach Deutschland geflohene Ex-Generäle der türkischen Armee auszutauschen. Ein Sprecher des Auswärtigen Amts sagte der Zeitung: „Auf so einen Handel können wir uns natürlich nicht einlassen.“

Fast zeitgleich zu den Vorgängen am Mittwoch, hat die Generalstaatsanwaltschaft Celle einen Türken festgenommen, der dringend verdächtig ist, Mitglied der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu sein. Wie die Behörde am Donnerstag mitteilte, verhafteten Beamte des Landeskriminalamts (LKA) Niedersachsen den Mann am Dienstag in Berlin. Gegen ihn gibt es seit 20. April einen Haftbefehl des Oberlandesgerichts Celle.

Die PKK kämpft für einen autonomen Kurdenstaat und ist wie in der Türkei auch in der EU als Terrororganisation eingestuft, schon seit 2. April 2004. Immer wieder werden deshalb auch in Deutschland PKK-Funktionäre verhaftet und verurteilt.

Dem 56-jährigen Beschuldigten wird vorgeworfen, von März 2014 bis Juni 2015 als Gebietsleiter der PKK und ihrer Europaorganisation „Kurdische Demokratische Gesellschaft in Europa“ in Salzgitter tätig gewesen zu sein. Den Ermittlungen zufolge soll er sich um organisatorische, finanzielle, personelle und propagandistische Angelegenheiten gekümmert haben. Über die Ergebnisse habe er höhere Parteimitglieder informiert. Er wurde am Mittwoch dem Ermittlungsrichter in Celle vorgeführt, der Untersuchungshaft anordnete.

Die Türkei hatte zuletzt von Deutschland gefordert, härter gegen PKK-Funktionäre vorzugehen. Der jährliche Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz stellt regelmäßig fest, dass Anhänger der Gruppierung relativ sorgenfrei Gelder im Bundesgebiet für ihren bewaffneten Kampf in der Türkei akquirieren können. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hatte im Juni bei einem Besuch in Ankara angekündigt, die Ermittlungen gegen Funktionäre der Gruppe zu intensivieren. „Wir akzeptieren auch, dass die Türkei sagt, dass wir die PKK - eine ja auch in Deutschland verbotene Organisation - besser beobachten und ihre Finanzströme trockenlegen.“

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