Die Wirtschaft des Landes läuft längst nicht mehr so gut wie noch vor wenigen Jahren. Das Wachstumstempo ist unter sechs Prozent gefallen – weit entfernt von den angestrebten acht bis neun Prozent. Die Handelsbilanz verzeichnet ein Rekorddefizit, die Inflation marschiert in Richtung acht Prozent, die höchste eines Bric-Landes. Der Staatshaushalt verharrt mit einem Minus von sechs Prozent des BIP in chronischem Defizit. Die Investitionen wachsen nur noch zögerlich. Die Rupie ist auf neue Tiefststände gefallen, was Rohstoffimporte verteuert und die Inflation anheizt. Die Ratingagentur Standard & Poor‘s drohte schon vor Monaten, Indiens Kreditrating auf Junkstatus runterzusetzen.
Ausländischen Direktinvestitionen fließen deshalb schon seit einiger Zeit spärlicher, wie die Unctad-Statistik zeigt (siehe Tabelle). Besonders im Vergleich mit China und Brasilien wird deutlich, dass internationale Investoren sich gegenüber Indien zurückhalten.
Indien fällt zurück
Zufluss an ausländischen Direktinvestitionen (in Milliarden Dollar)
| 2006 | 2007 | 2008 | 2009 | 2010 | 2011 |
China | 73 | 84 | 108 | 95 | 115 | 124 |
Brasilien | 19 | 35 | 45 | 26 | 49 | 67 |
Indien | 20 | 26 | 43 | 36 | 24 | 32 |
Quelle: Unctad
Regierung zunehmend handlungsunfähiger
Doch obwohl Indien zu seiner weiteren Entwicklung ausländische Investitionen braucht, hat die Opposition Widerstand gegen die Beschlüsse der Regierung angekündigt. Ich habe deshalb drei Experten mit langjähriger Indien-Erfahrung zu den Erfolgsaussichten der neuen Reforminitiative befragt: Zum einen den bereits zitierten Dietrich Kebschull, der das Business-Center von Schleswig-Holstein und Hamburg in Delhi leitet; dazu Klaus Maier von der Unternehmensberatung Maier + Vidorno sowie Johannes Wamser von der Unternehmensberatung Dr. Wamser + Batra - beide sind auf die Beratung deutscher Investoren in Indien spezialisiert.
Ihr Fazit fällt uneinheitlich aus. Dietrich Kebschull sieht Chancen für das Reformprogramm, weil die Regierung aufgrund der wenig erfreulichen Wirtschaftsindikatoren keine Alternative habe. "Sie muss die Probleme massiv angehen, um eine Chance zur Wiederwahl zu haben." Skeptischer urteilen die Unternehmensberater: Sie sehen vor der Wahl 2014 keinen Durchbruch mehr. "Die Regierung wird zunehmend handlungsunfähiger", meint Johannes Wamser, "es ist kaum vorhersehbar, wann welche Reformen kommen."
Dabei konzentriert sich der Widerstand weniger gegen die Entscheidung, den Markt für Fluggesellschaften, Kabelnetze und Strombörse für Minderheitsbeteiligungen von Ausländern zu öffnen. "Hier ist kein großes Interesse ausländischer Unternehmen erkennbar", beobachtet Klaus Maier. Sollte sich das aber ändern, sei mit massiver Gegenwehr der Gewerkschaften, insbesondere bei der staatlichen Air India, zu rechnen.