Kreativpotenzial China: Reich der Ideen

Chinesen sind nicht kreativ, sie kopieren nur. Falsch: Mit dem Wirtschaftsboom ist im Reich der Mitte eine neue Generation herangewachsen – junge Designer und Modeschöpfer, Architekten und Werber, Internet- und Medienunternehmer, die mit ihren Innovationen auch den Westen herausfordern.

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Jia Wei, 32, Top-Designer Quelle: Egill Bjarki Jónsson für WirtschaftsWoche

Die Frage, ob Chinesen kreativ seien, beantwortet Jia Wei mit lautem Lachen. „Wir leben doch nicht mehr wie vor 20 Jahren“, sagt der Gründer und Chef von LKK Design, einer Agentur für Industriedesign in der Pekinger Altstadt. „China hat sich in den vergangenen Jahren wirtschaftlich und sozial enorm entwickelt“, sagt er, „und damit ist auch der Freiraum für Kreativität viel größer geworden.“ Jia selbst ist der lebende Beweis: Mit seinen Design-entwürfen für Handys und medizinische Geräte hat er reihenweise internationale Preise geholt.

Jia gehört zu einer rasch wachsenden Klasse junger Kreativer, die vor allem in Chinas Metropolen mit unkonventionellen Ideen und neuen Geschäftsmodellen Chinas Wirtschaft neue Impulse geben. Nicht mehr nur mit T-Shirt-, Schuh- und Handy-produktion verdient China künftig seinen Wohlstand, sondern auch mit ideen- und wissensgetriebenen Industrien.

Zu besichtigen ist Chinas neue kreative Klasse in den trendigen Vierteln der Großstädte. In renovierten Fabrikhallen und Lagerhäusern machen sich neben den Kunstgalerien und Szenecafés immer mehr Designer, Internetunternehmer, Architekten sowie Werbe- und Medienleute breit, die mit ihren Ideen und Entwürfen auch im Ausland für Aufsehen sorgen. Mit dem zunehmenden Rückzug der Politik aus dem Wirtschafts- und Arbeitsalltag der Menschen entstehen Freiräume, die es noch vor wenigen Jahren nicht gab – eine Chance für eine zwar noch kleine, aber wachsende Klasse junger Chinesen, die sich aufmachen, China neu zu erfinden.

Sicher, in den vergangenen Jahrzehnten hat China vor allem als Land der Kopierer und Fälscher von sich reden gemacht. Auch bringen Chinas Bildungseinrichtungen meist noch immer Absolventen hervor, die vor allem eines können: Auswendiglernen und Prüfungen bestehen. Diesen vom Volksmund als „gestopfte Enten“ bezeichneten jungen Leuten fehlt es häufig an Kreativität, Eigeninitiative und der Fähigkeit zur Problemlösung. Doch dass den Chinesen – gewissermaßen in die Wiege gelegt – die Fähigkeit zu eigenen Entwicklungen, Ideen und Innovationen abgehe, ist ein verbreitetes Vorurteil, mit dem sich auch immer noch viele Unternehmen im Westen zu beruhigen versuchen. „Wenn man in der Geschichte zurückgeht, sieht man, dass die Chinesen immer sehr kreativ waren“, sagt Industriedesigner Jia.

Es gab einmal eine Zeit, da weckte allein das Wort „China“ wundervolle Assoziationen in den Salons von Paris, London und Weimar. Die Reiseberichte, die europäische Entdecker und Missionare aus dem fremden Kaiserreich nach Hause schickten, klangen wie Fantasieromane. Von einer hohen Zivilisation war da zu lesen, von modernen Millionenmetropolen mit Kanalisationsanlagen und prächtigen Palastbauten. Handelsreisende kehrten mit wahren Schätzen zurück: feine Seidentücher, hauchdünnes Porzellan.

Besonders das Porzellan entzückte die europäischen Adelshäuser, wo man den Wein damals noch aus Ochsenhörnern trank. Der Jesuitenpater Père François Xavier d’Entrecolles schickte 1712 eine detaillierte Beschreibung der Porzellanfertigung aus der chinesischen Keramikstadt Jingdezhen nach Hause. Und bald entstanden in Europa die ersten Manufakturen, die versuchten, die chinesische Handwerkskunst zu kopieren. Man könnte sagen, dass Industriespionage und Produktpiraterie von Anfang an den Handel zwischen China und dem Westen beeinflussten – nur waren die Europäer die ersten Schuldigen.

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