Kreml-Liste Washington sorgt in Moskau für massive Kritik

Erst in letzter Minute vor Fristablauf veröffentlicht die US-Regierung die vom Kongress angeforderte Kreml-Liste. Aber auf neue Russland-Sanktionen verzichtet sie. Trotzdem ist Präsident Putin empört.

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Der russische Präsident ist über die in Washington veröffentlichte Liste empört. Quelle: Reuters

Moskau Die US-Regierung hat ranghohe russische Politiker und kremlnahe Geschäftsleute auf eine umstrittene Liste gesetzt und damit massive Kritik in Moskau ausgelöst. Präsident Wladimir Putin bezeichnete das Dokument als „unfreundlichen Akt“, der die ohnehin komplizierten Beziehungen zu den USA weiter erschwere. „Natürlich schadet die Liste den internationalen Beziehungen als Ganzes“, sagte Putin der Agentur Interfax zufolge am Dienstag in Moskau. Sein Sprecher Dmitri Peskow sagte: „De facto wurden wir alle Feinde der USA genannt.“ Russische Politiker gehen davon aus, dass das Dokument als Grundlage für Sanktionen dienen könnte.

Das US-Finanzministerium hatte zuvor eine Liste veröffentlicht, in der mehr als 200 ranghohe russische Politiker und Geschäftsleute mit engen Verbindungen zum Kreml genannt werden. Unter anderem werden darin Regierungschef Dmitri Medwedew, Außenminister Sergej Lawrow und Verteidigungsminister Sergej Schoigu erwähnt. Insgesamt werden 114 Politiker und 96 Oligarchen wie Rosneft-Chef Igor Setschin und der Gazprom-Vorstandsvorsitzende Alexej Miller aufgeführt.

Die US-Regierung folgte einem Sanktionsgesetz, das der Kongress im Sommer 2017 mit Unterstützung sowohl der Republikaner als auch der Demokraten verabschiedet hatte und forderte eine derartige Liste an. Es war eine Reaktion auf die Moskau zur Last gelegte Beeinflussung der US-Wahl und die Einflussnahme im Krieg in der Ostukraine. Präsident Donald Trump hatte das Gesetz jedoch nur äußerst widerwillig unterzeichnet: Er argumentierte, dass ihm damit verfassungswidrig die Hände gebunden würden.

Die vom Kongress gesetzte Frist lief in der Nacht zum Dienstag ab. Die Regierung wartete praktisch bis zur letzten Minute, um die vorgeschriebene Liste publik zu machen. Auf neue Sanktionen verzichtete sie jedoch zumindest derzeit: Das Sanktionsgesetz habe sich bereits dämpfend auf größere Geschäfte mit russischen Firmen im Verteidigungssektor ausgewirkt, hieß es zur Begründung. Aber Russland sei gewarnt.

Putin mahnte, der Liste nicht zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Die aufgeführten Personen sollten sich eher der Politik Russlands widmen. „Dann werden wir erkennen, dass keine Liste unsere Entwicklung bedrohen, bremsen oder uns einschüchtern kann“, sagte er.

Nach Angaben des US-Ministeriums wurden die Geschäftsleute nach ihrem Vermögen auf die Liste gesetzt. Die angeführten Politiker sind vor allem aktuelle Minister, Kremlberater oder frühere Regierungsmitglieder. Experten zufolge ist nicht ganz klar, wie Washington die Liste zusammenstellte. „Sie ist wahrscheinlich so weit gefasst, um jeglichen spezifischen Fragen aus dem Weg zu gehen“, sagte Amerika-Experte Pawel Scharikow von der russischen Akademie der Wissenschaften. „Gleichzeitig kann Trump bei seiner Rede zur Lage der Nation damit aufwarten, dass er das Russland-Problem im Griff hat“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Ex-Finanzminister Alexej Kudrin bezeichnete die Liste als unlogisch. Deshalb müsse man mit Gelassenheit darauf reagieren. Regierungschef Medwedew zufolge führe das gesamte Gesetz zu einer Diskriminierung Russlands. „Es wird unsere Kontakte und Beziehungen auf lange Zeit vergiften“, sagte er.

Das Dokument löste in Moskau auch Spott aus. „Die Liste sieht aus wie das „Who is Who“ der russischen Politik“, sagte Vize-Regierungschef Arkadi Dworkowitsch. Washington habe lediglich das Telefonverzeichnis des Kremls kopiert, schrieb Außenpolitiker Konstantin Kossatschow auf Facebook. „Das ist politische Paranoia, die sehr schwer zu behandeln ist.“ Kremlchef Putin scherzte über die Tatsache, dass sein Name auf der Liste fehle: „Was für eine Schande!“

Der russische Botschafter in den USA, Anatoli Antonow, fragte: „Glauben denn diese Leute ... wirklich, dass wir nun unseren Schwanz einziehen und unsere Positionen nicht verteidigen werden?“

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