
Und da ist es wieder passiert: Wladimir Putin, der raffinierte russische Präsident, überrascht den Westen mit einem Schachzug in der internationalen Politik. Aus heiteren Himmel befahl er am Montagabend den Teilrückzug seiner Truppen aus Syrien – und ließ die hohen Herren in Washington einen ganzen Arbeitstag lang grübeln: Was führt er im Schilde? Will er den syrischen Diktator Baschar al-Assad nicht zum Sieg bomben? Sind die Kampfjets kaputt? Wohl kaum.
Bei solchen Nachrichtenlagen ist es hilfreich, sich in die Denke der Russen zu versetzen. Aus Kreml-Perspektive war die Intervention von Beginn an eine zweischneidige Sache: Klar, Putin will in der Weltpolitik mitreden und sinnt nach Augenhöhe mit den Amerikanern.
Das kommt bei Russen gut an. Trotzdem hielt sich deren Unterstützung für diesen Krieg in Grenzen. Sie fürchteten ein „zweites Afghanistan“; mit der Operation am Hindukusch hatten sich die Sowjets seinerzeit verhoben.
Die Akteure im Syrien-Konflikt
Anhänger von Präsident Baschar al-Assad kontrollieren weiter die meisten großen Städte wie Damaskus, Homs, Teile Aleppos sowie den Küstenstreifen. Syriens Armee hat im langen Krieg sehr gelitten, konnte aber infolge der russischen Luftunterstützung seit September 2015 wieder Landgewinne verzeichnen. Machthaber Assad lehnt einen Rücktritt ab.
Die Terrormiliz beherrscht im Norden und Osten riesige Gebiete, die allerdings meist nur spärlich besiedelt sind. Durch alliierte Luftschläge und kurdische Milizen mussten die Islamisten im Norden Syriens mehrere Niederlagen einstecken. Unter der Herrschaft der Miliz, die auch im Irak große Gebiete kontrolliert, verbleibt die inoffizielle Hauptstadt Raqqa, die bedeutende Versorgungsstrecke entlang des Euphrat und ein kleiner Grenzübergang zur Türkei. Offiziell lehnen alle lokalen und internationalen Akteure den IS ab.
Sie sind vor allem im Nordwesten und Süden Syriens stark. Ihr Spektrum reicht von moderaten Gruppen, die vom Westen unterstützt werden, bis zu radikalen Islamisten.
Die zu Beginn des Kriegs bedeutende Freie Syrische Armee (FSA) hat stark an Einfluss verloren. Sie kämpft vor allem gegen Diktator Assad.
In der „Islamischen Front“ haben sich islamistische Rebellengruppen zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist der Sturz Assads und die Errichtung eines „Islamischen Staates“ – die gleichnamige Terrormiliz lehnen sie jedoch ab. Sie werden von Saudi-Arabien unterstützt und sind ideologisch mit al-Qaida zu vergleichen. Militärisch untersteht ihr auch die „Dschaisch al-Fatah“, die von der Türkei unterstützt wird. Teilweise kooperieren sie mit der al-Nusra-Front, Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida.
Sie ist zersplittert. Das wichtigste Oppositionsbündnis ist die Syrische Nationalkoalition in Istanbul. Diese wird von zahlreichen Staaten als legitim anerkannt, von vielen lokalen Akteuren wie al-Nusra oder der kurdischen PYD jedoch abgelehnt.
In Damaskus sitzen zudem Oppositionsparteien, die vom Regime geduldet werden. Bei einer Konferenz in Riad einigten sich verschiedenen Gruppen auf die Bildung eines Hohen Komitees für Verhandlungen, dem aber einige prominente Vertreter der Opposition nicht angehören.
Kurdische Streitkräfte kontrollieren mittlerweile den größten Teil der Grenze zur Türkei: Sie sind ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS.
Dabei kämpfen sie teilweise mit Rebellen zusammen, kooperieren aber auch mit dem Regime. Führende Kraft sind die „Volksverteidigungseinheiten“ YPG der Kurden-Partei PYD, inoffizieller Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK. Diese streben einen eigenen kurdischen Staat an – die Türkei lehnt das vehement ab.
Washington führt den Kampf gegen den IS an der Spitze einer internationalen Koalition. Kampfjets fliegen täglich Angriffe. Beteiligt sind unter anderem Frankreich und Großbritannien. Deutschland stellt sechs Tornados für Aufklärungsflüge über Syrien, ein Flugzeug zur Luftbetankung sowie die Fregatte „Augsburg“, die im Persischen Golf einen Flugzeugträger schützt. Washington unterstützt moderate Regimegegner.
Die Türkei setzt sich für den Sturz Assads ein und unterstützt seit langem Rebellengruppen wie die islamistische Dschaisch al-Fatah. Neben der Sicherung ihrer 900 Kilometer langen Grenze ist die Türkei seit August 2016 auch mit Bodentruppen in Syrien vertreten. Ziel ist neben der Vergeltung für Terroranschläge des IS auch, ein geeintes Kurdengebiet im Norden Syriens zu verhindern.
Der Abschuss eines russischen Flugzeugs über türkischem Luftraum im November 2015 führte zu Spannungen zwischen Russland und der Türkei.
Seit September 2015 fliegt auch Russlands Luftwaffe Angriffe in Syrien. Moskau ist einer der wichtigsten Unterstützer des syrischen Regimes: Rebellenorganisationen werden pauschal als „Terroristen“ bezeichnet und aus der Luft bekämpft. Der Kampf gegen islamistische Rebellen soll auch ein Zeichen an Separatisten im eigenen Land senden.
Geostrategisch möchte Russland seinen Zugriff auf den Mittelmeerhafen Tartus nicht verlieren.
Teheran ist der treueste Unterstützer des Assad-Regimes, auch aus konfessionellen Gründen. Iraner kämpfen an der Seite der syrischen Soldaten. Die von Teheran finanzierte Schiitenmiliz Hisbollah ist ebenfalls in Syrien im Einsatz. Sie fürchten die Unterdrückung der schiitischen Minderheit im Falle eines Sieges sunnitischer Rebellen, aber auch den Verlust von regionalem Einfluss.
Riad ist ein wichtiger Unterstützer vornehmlich islamistischer Rebellen. Sie fordern, dass Assad abtritt. Saudi-Arabien geht es auch darum, den iranischen Einfluss zurückzudrängen. Der Iran ist der saudische Erzrivale im Nahen Osten.
Trotz religiöser Ähnlichkeiten zwischen IS und dem saudischen Wahabismus engagiert sich Saudi-Arabien im Kampf gegen den IS.
Politisch gesehen, bot sich eine kurze Operation mit geringen Risiken an. Wie das militärisch umgesetzt wird, führen die Amerikaner seit den neunziger Jahren vor: mit Luftschlägen. Nun hat Putin bewiesen, dass auch Russland nach seiner Armeereform zu solchen Interventionen in der Lage ist und russische Bomber nicht mehr nach fünf Flugstunden vom Himmel fallen.
Militärstrategisch ist eine kurze Luftoperation ebenso plausibel: Syriens Opposition war im September auf dem Vormarsch gegen die Truppen des Assad-Regimes; Verhandlungen mit dem Regime wären zu diesem Zeitpunkt nicht zustande gekommen. Indem die Russen dann intervenierten und die Rückzugsräume der Regimegegner ohne Rücksicht auf Verluste unter Feuer nahmen, wendete sich das Blatt zugunsten von Assad.
Mit dem Teilrückzug Putin seinem Diktator, dass seine Schützenhilfe endlich ist – und er bitteschön am Verhandlungstisch nach einer Friedenslösung streben möge. Insofern feiert Putin im Syrien-Krieg einen taktischen Erfolg: Die Verhandlungen hat Russland möglich gemacht.
Grund zum Applaus ist das freilich nicht: Die monatelange Bombardierung von Aleppo forderte einen fürchterlich hohen Blutzoll, zigtausende Flüchtlinge trieben Putins Raketen in die Flucht.
Nach Putins zynischem Kriegsspiel ist der Frieden dennoch weit entfernt: Zwar moderieren russische Diplomaten den Friedensprozess mit, doch über russische Zusagen und Ideen für eine Stabilisierung Syriens nach einem wie auch immer gestalteten Friedensvertrag ist nichts zu hören. Wahrscheinlicher scheint es, dass die Russen die Amerikaner imitieren: Mit Luftschlägen alles platt machen – und dann ab nach Hause. Um den Wiederaufbau dürfen sich dann die Europäer mit ihren Milliarden kümmern.