Krim-Krise EU beschließt Russland-Sanktionen

Die EU hat im Ukraine-Konflikt leichte Sanktionen gegen Russland beschlossen - aber wesentlich härtere angedroht. Falls Moskau nicht rasch verhandelt, sollen diese Strafmaßnahmen kommen. Zugleich öffnet sich die EU gegenüber der Ukraine.

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Wie sich die Lage in Kiew entwickelt
Nach dem Machtwechsel in der Ukraine hat Russland die Gesetzmäßigkeit der neuen Führung angezweifelt. „Falls sich Leute, die in schwarzen Masken und mit Kalaschnikow-Sturmgewehren durch Kiew schlendern, als Regierung bezeichnen, so wird die Arbeit mit einem solchen Kabinett sehr schwierig sein“, sagte Regierungschef Dmitri Medwedew am Montag in Sotschi der Agentur Interfax. „Es gibt niemanden, mit dem wir dort sprechen können.“ Russland hatte seinen Botschafter am Vorabend zu Konsultationen aus Kiew nach Moskau beordert. „Es besteht eine reale Gefahr für unsere Interessen sowie für Leben und Gesundheit unserer Landsleute“, sagte Medwedew. Quelle: dpa
Ein weiteres Problem der Ukraine ist Geld. Die Europäische Union ist grundsätzlich zu Finanzhilfen für die Ukraine bereit, hat derzeit aber noch keine Vorstellung von deren möglichem Umfang. „Im Moment ist es zu früh, um über die eine oder andere Option zu sprechen“, sagte ein Sprecher der EU-Kommission am Montag in Brüssel. „Aber wir sind zur Hilfe bereit, sofern es ein Reformprogramm der neuen ukrainischen Regierung gibt.“ Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton wollte bei ihrem Besuch am Montag in Kiew auch über kurz-, mittel- und langfristige Aspekte eines Hilfsprogramms sprechen. Die EU hat angesichts des drohenden Staatsbankrotts und fehlender Milliarden vor allem den Internationalen Währungsfonds IWF, die Europäische Investitionsbank EIB und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung EBRD um Mithilfe gebeten. Quelle: AP
Julia Timoschenko wird von Polizisten abgeführt Quelle: dpa
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (l) gibt im Präsidentenpalast in Kiew Oppositionsführer Vitali Klitschko die Hand. Quelle: dpa
Eine Luftaufnahme zeigt die Camps der Regierungsgegner auf dem zentralen Unabhängigkeitsplatz in Kiew, dem Maidan, am Freitagmorgen. Nach den gewaltsamen Protesten wurde zwischen der ukrainischen Regierung und Oppositionsführern in Kiew ein Abkommen ausgehandelt. Obwohl sich die Opposition verschiedenen Berichten zufolge anfangs quer stellte, soll laut Nachrichtenagentur dpa nun eine vorläufige Vereinbarung zur Lösung der innenpolitischen Krise unterzeichnet worden sein. Quelle: REUTERS
Demonstranten stehen auf dem Maidan und hören einer Rede ihrer Anführer zu. Der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch erklärte am Freitagmittag, die Neuwahl des Staatsoberhauptes werde bald stattfinden. Außerdem kündigte er an, dass eine Regierung der nationalen Einheit gebildet werden soll. Zudem werde das Land zur Verfassung von 2004 zurückkehren, in der dem Präsidenten weniger Befugnisse zugebilligt werden als zurzeit. Der Konflikt ist damit aber nicht beendet: Die Regierungsgegner fordern eigentlich einen sofortigen Rücktritt Janukowitschs. Wieder fielen Schüsse. Quelle: REUTERS
Demonstranten wärmen sich an einem Feuer. Die Gespräche der EU-Delegation mit Janukowitsch und der Opposition in Kiew gingen bereits fast die gesamte Nacht und dauern weiter an. Quelle: REUTERS

Im Konflikt um die Ukraine hat die Europäische Union erste Sanktionen gegen Russland beschlossen und weitere angedroht. Verweigere sich Russland Verhandlungen zur Lösung des Krise, werde die EU schärfere Strafmaßnahmen wie Einreiseverbote, Kontensperrungen und im Extremfall auch wirtschaftliche Sanktionen verhängen. Das verkündeten die Staats- und Regierungschefs der EU nach einem Sondergipfel am Donnerstag in Brüssel. Im ersten Schritt hat die EU Verhandlungen über Visa-Erleichterungen und über ein neues Rahmenabkommen für die Beziehungen zwischen Brüssel und Moskau eingefroren.

Diese Schritte würden ab sofort geplant, damit sie jederzeit getan werden könnten, sagte EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy. Die Entscheidung des moskautreuen Krim-Parlaments für eine Volksabstimmung über die Zugehörigkeit zu Russland sei „unrechtmäßig“, heißt es in einer gemeinsamen Abschlusserklärung der 28 EU-Mitgliedsstaaten.

Rompuy zeigte sich verärgert über die Haltung Russlands in der Krim-Krise. „Die Lage muss deeskaliert werden. Und wenn Russland das nicht tut, dann wird das ernste Folgen für unsere Beziehung haben“, betonte der Gipfelchef. Die EU erwarte, dass Russland „innerhalb der nächsten Tage“ Verhandlungen mit der Ukraine über eine friedliche Beilegung des Konflikt beginne.

„Jeder weitere Schritt zur Destabilisierung der Lage in der Ukraine würde zu schwerwiegenden und weitreichenden Konsequenzen für die Beziehungen zwischen den EU-Staaten und Russland führen. Dazu gehört eine große Breite von wirtschaftlichen Bereichen“, sagte der Gipfelchef. „Natürlich hoffen wird nicht, dass das nötig sein wird.“

Die EU werde auch den politischen Teil des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine noch vor den geplanten Wahlen vom 25. Mai unterzeichnen. „Damit wird die enge Verbindung zwischen der Ukraine und der EU besiegelt“, sagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte in Brüssel, wenn Russland weiter Destabilisierungsmaßnahmen wie militärische Aktionen auf der ukrainischen Halbinsel Krim unternehme, werde es zu einer weitreichenden Veränderung der Beziehung zu Russland kommen. Das könne wirtschaftliche Konsequenzen bedeuten. „Wir wünschen uns das nicht“, betonte Merkel.

Merkel forderte Russland auf, die geplante Bildung einer Kontaktgruppe mit Beteiligung der neuen ukrainischen Regierung nicht länger zu blockieren. Bislang lehnt es Moskau ab, sich mit der neuen Regierung in Kiew an einen Tisch zu setzen. „Wir wollen, dass eine Koordinierungsgruppe zustande kommt. Allerdings sind die Resultate bis jetzt noch nicht ausreichend“, so die Kanzlerin.

Das Ausmaß der Sanktionen war stundenlang im Kreis der Staats- und Regierungschefs umstritten. „Ich würde sagen, dass wir gemeinsam mehr getan haben, als wir noch vor einigen Stunden erwarten konnten“, resümierte der polnische Regierungschef Donald Tusk.


Deutsche Wirtschaft ist alarmiert

Soldaten besetzen die Krim
Militärisches Personal, vermutlich russische Streitkräfte, außerhalb ukrainischen Territoriums Quelle: REUTERS
Der ukrainische Innenminister Arsen Awakow hat von einer Invasion und Besetzung durch russische Soldaten gesprochen. 6000 russische Soldaten befinden sich mittlerweile in der Ukraine. Die Regierung in Moskau hat sich im jüngsten ukrainischen Machtkampf auf die Seite des inzwischen abgesetzten Präsidenten Viktor Janukowitsch gestellt, der sich gegenwärtig in Russland aufhält. Quelle: REUTERS
Doch stehen die Ukrainer nicht geschlossen gegen die russische Invasion. Auf der Krim gibt es eine bedeutsame pro-russische Bewegung. Das Parlament in Kiew hatte vor kurzen ein Sprachengesetz abgeschafft, das besonders die russische Minderheit - auch auf der Krim - geschützt habe, so Russlands Außenminister Tschurkin. Quelle: REUTERS
Die Ukraine hat die Streitkräfte auf der Halbinsel Krim in Alarmbereitschaft versetzt. Der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk erklärte aber, sein Land werde sich nicht durch russische Provokationen in einen militärischen Konflikt ziehen lassen. Quelle: AP
Trotz der Militär-Invasion geht das Leben in der Krim aber weiter. Vor einer Lenin-Statue küsste sich heute ein frisch-vermähltes Paar. Quelle: REUTERS
Truppen in nicht gekennzeichneten Uniformen stehen vor einer Behörde in der Kleinstadt Balaklava vor den Toren Sevastopols. Lediglich ein Enblem auf einem der Fahrzeuge zeigt, dass es sich um Mitglieder des russischen Militärs handelt. Quelle: AP
Die Lage auf der Krim ist trotz diplomatischer Bemühungen auch am Sonntagmorgen weiter angespannt. Barack Obama hat in der Nacht eineinhalb Stunden mit Putin telefoniert und zum Truppenabzug aufgefordert. Doch der russische Präsident hält weiter Stellung auf der Krim. Quelle: AP

Die USA hatten bereits härtere Wirtschaftssanktionen gegen Moskau ins Gespräch gebracht. Unter den EU-Ländern sind Strafmaßnahmen gegen Russland umstritten, die die engen Wirtschaftsbeziehungen gefährden könnten. Ein Stopp der Verhandlungen über Visa-Erleichterungen und das neue Grundlagenabkommen gelten als weiche Maßnahmen. Die seit Jahren laufenden Gespräche über beide Abkommen kommen ohnehin kaum voran.

Die nächste Eskalationsstufe wären Einreiseverbote und Kontensperrungen. Um glaubwürdig zu sein, müssten sich diese nach Ansicht von EU-Diplomaten etwa gegen Putin selbst und seine wichtigsten Gefolgsleute richten. Auf diese Weise würden aber die diplomatischen Kanäle zugeschüttet, die noch zur Lösung der Krise genutzt werden könnten. Insbesondere Deutschland habe dagegen Bedenken. Handelsssaktionen wie Aus- und Einfuhrverbote für Waren sind ebenfalls umstritten, weil die Europäer Gegenmaßnahmen der Russen fürchten. Ökonomisch sind Russland und die Europäer voneinander abhängig. Deutschland bezieht aus Russland etwa 35 Prozent des Gasbedarfs und mehr als 30 Prozent des benötigten Öls. Rund 6200 Firmen haben nach Angaben des Industrieverbandes BDI etwa 20 Milliarden Euro in Russland investiert.

Die wirtschaftliche Bedeutung der Ukraine

Die deutsche Wirtschaft zeigt sich deshalb alarmiert. Der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Rainer Lindner, warnte vor einer gefährlichen Spirale gegenseitiger Sanktionen zwischen Russland und dem Westen. Sollte der EU-Krisengipfel Strafmaßnahmen gegen Moskau beschließen, werde Russland sofort darauf reagieren, sagte Lindner der Nachrichtenagentur dpa in Berlin. Dabei könnte im schlimmsten Fall deutsches Firmeneigentum konfisziert werden.

Die Energiewirtschaft rechnet angesichts einer Gasversorgung aus mehreren Quellen und hoher Reserven mit keinen Engpässen in Deutschland. Zum Teil könnten Lieferungen aus anderen Bezugsquellen im Rahmen bestehender Verträge im Bedarfsfall erhöht werden, sagte die Chefin des Energiewirtschaftsverbandes BDEW, Hildegard Müller. Die EU sperrte unterdessen die Konten des früheren ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch und von 17 weiteren Personen. Eine entsprechende Liste wurde online im EU-Amtsblatt veröffentlicht.

Russlands Präsident Putin wird trotz des Konfliktes mit der Ukraine an diesem Freitag an der Eröffnungsfeier der Winter-Paralympics in Sotschi teilnehmen. Die komplette politische Delegation aus Deutschland verzichtet dagegen laut der Behindertenbeauftragten Verena Bentele auf eine Reise nach Sotschi. Nach Angaben eines Sprechers des Bundesinnenministeriums plant Innen-Staatssekretär Ole Schröder allerdings weiterhin, nach Russland zu fahren.

Krim will zu Russland gehören

Die Halbinsel Krim will ab sofort zu Russland gehören. Einzig legitime Streitkräfte auf der Krim seien nun russische Truppen, Ukrainer würden als Besatzer betrachtet. Quelle: AP

Wenige Tage nach der Machtübernahme auf der Krim hat sich das moskautreue Parlament in Simferopol für einen Beitritt der Schwarzmeer-Halbinsel zu Russland ausgesprochen. Die Abgeordneten der Autonomen Republik stimmten am Donnerstag in Simferopol einem entsprechenden Antrag zu, wie Staatsagenturen in Moskau meldeten. Die Entscheidung solle bereits am 16. März durch eine vorgezogene Volksabstimmung bestätigt werden. Zugleich wurde Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) der Zugang zur Krim verwehrt.

Moskautreue „Selbstverteidigungskräfte“ wiesen die internationale Expertengruppe von einem Kontrollposten in Armjansk im Nordwesten der Krim ab, wie westliche Diplomaten in Wien sagten. Die Uniformierten seien schwer bewaffnet und teilweise maskiert gewesen. Es habe demnach keine Gewaltandrohung gegeben. Die Gruppe hatte sich am Mittwoch auf den Weg in das Land gemacht. Insgesamt beteiligen sich 18 OSZE-Länder an der militärischen Beobachtermission. Darunter sind auch zwei Soldaten der Bundeswehr.

Parallel zum Parlamentsbeschluss auf der Krim kündigte die kremltreue Partei Gerechtes Russland in Moskau an, ein neues Gesetz für eine schnelle Aufnahme der Autonomen Republik voranzutreiben. „Bis zum Referendum am 16. März auf der Krim könnte die Staatsduma es angenommen haben“, sagte Parteichef Sergej Mironow. Die proeuropäische ukrainische Regierung in Kiew kritisierte die geplante Abspaltung der Krim scharf. Die Resolution sei „vor den Mündungen (russischer) Maschinengewehre“ verabschiedet worden, sagte Übergangspräsident Alexander Turtschinow. In Moskau stieß der Beschluss auf Begeisterung. „Das ist eine historische Entscheidung“, sagte Sergej Newerow von der Kremlpartei Geeintes Russland.

Kremlchef Wladimir Putin rief den Sicherheitsrat zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Der Präsident berate mit den Mitgliedern über die Entscheidung des Parlaments der Halbinsel, hieß es. Putin hatte zuvor erklärt, dass Russland zwar keinen Anschluss der Krim plane, die dortige Bevölkerung aber frei entscheiden könne. Krim-Vizeregierungschef Rustam Temirgalijew sagte in Simferopol, das Parlament habe sich bereits offiziell an Putin gewandt. Er rechne damit, dass beim Referendum „70 Prozent oder mehr“ für den Beitritt der Halbinsel zu Russland stimmen werden, sagte Temirgalijew. Die Krim würde dann wohl auch den russischen Rubel als Währung einführen.

Bei der Sitzung in Simferopol hatten 78 der 81 anwesenden Abgeordneten für den Anschluss an das Riesenreich gestimmt. Zuvor hatte das Krim-Parlament, das insgesamt 100 Sitze hat, das für den 30. März geplante Referendum erneut vorgezogen. Menschen vor dem Parlament nahmen die Entscheidung mit „Russland! Russland!“-Rufen auf. Die Halbinsel wird mehrheitlich von Russen bewohnt. Die alte Regierung war abgesetzt worden. Der moskautreue neue Krim-Regierungschef Sergej Aksjonow hat Kremlchef Wladimir Putin um Beistand gebeten. Tausende Uniformierte übernahmen die Kontrolle auf der Krim.

Die Volksbefragung sei ungesetzlich, sagte der ukrainische Justizminister Pawel Petrenko. „Der Status der Krim kann nicht in einem lokalen, sondern nur in einem landesweiten Referendum geändert werden“, sagte er. Auf der Halbinsel, die so groß ist wie Belgien, leben zwei Millionen Menschen. Russland erkennt nach dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch die neuen Machthaber in Kiew nicht an. Krim-Vizeregierungschef Temirgalijew sagte, die Entscheidung des Parlaments gelte ab sofort. Einzig legitime Streitkräfte auf der Krim seien nun russische Truppen, Ukrainer würden als Besatzer betrachtet.


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