Im Konflikt um die Ukraine hat die Europäische Union erste Sanktionen gegen Russland beschlossen und weitere angedroht. Verweigere sich Russland Verhandlungen zur Lösung des Krise, werde die EU schärfere Strafmaßnahmen wie Einreiseverbote, Kontensperrungen und im Extremfall auch wirtschaftliche Sanktionen verhängen. Das verkündeten die Staats- und Regierungschefs der EU nach einem Sondergipfel am Donnerstag in Brüssel. Im ersten Schritt hat die EU Verhandlungen über Visa-Erleichterungen und über ein neues Rahmenabkommen für die Beziehungen zwischen Brüssel und Moskau eingefroren.
Diese Schritte würden ab sofort geplant, damit sie jederzeit getan werden könnten, sagte EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy. Die Entscheidung des moskautreuen Krim-Parlaments für eine Volksabstimmung über die Zugehörigkeit zu Russland sei „unrechtmäßig“, heißt es in einer gemeinsamen Abschlusserklärung der 28 EU-Mitgliedsstaaten.
Rompuy zeigte sich verärgert über die Haltung Russlands in der Krim-Krise. „Die Lage muss deeskaliert werden. Und wenn Russland das nicht tut, dann wird das ernste Folgen für unsere Beziehung haben“, betonte der Gipfelchef. Die EU erwarte, dass Russland „innerhalb der nächsten Tage“ Verhandlungen mit der Ukraine über eine friedliche Beilegung des Konflikt beginne.
„Jeder weitere Schritt zur Destabilisierung der Lage in der Ukraine würde zu schwerwiegenden und weitreichenden Konsequenzen für die Beziehungen zwischen den EU-Staaten und Russland führen. Dazu gehört eine große Breite von wirtschaftlichen Bereichen“, sagte der Gipfelchef. „Natürlich hoffen wird nicht, dass das nötig sein wird.“
Die EU werde auch den politischen Teil des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine noch vor den geplanten Wahlen vom 25. Mai unterzeichnen. „Damit wird die enge Verbindung zwischen der Ukraine und der EU besiegelt“, sagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte in Brüssel, wenn Russland weiter Destabilisierungsmaßnahmen wie militärische Aktionen auf der ukrainischen Halbinsel Krim unternehme, werde es zu einer weitreichenden Veränderung der Beziehung zu Russland kommen. Das könne wirtschaftliche Konsequenzen bedeuten. „Wir wünschen uns das nicht“, betonte Merkel.
Merkel forderte Russland auf, die geplante Bildung einer Kontaktgruppe mit Beteiligung der neuen ukrainischen Regierung nicht länger zu blockieren. Bislang lehnt es Moskau ab, sich mit der neuen Regierung in Kiew an einen Tisch zu setzen. „Wir wollen, dass eine Koordinierungsgruppe zustande kommt. Allerdings sind die Resultate bis jetzt noch nicht ausreichend“, so die Kanzlerin.
Das Ausmaß der Sanktionen war stundenlang im Kreis der Staats- und Regierungschefs umstritten. „Ich würde sagen, dass wir gemeinsam mehr getan haben, als wir noch vor einigen Stunden erwarten konnten“, resümierte der polnische Regierungschef Donald Tusk.
Deutsche Wirtschaft ist alarmiert
Die USA hatten bereits härtere Wirtschaftssanktionen gegen Moskau ins Gespräch gebracht. Unter den EU-Ländern sind Strafmaßnahmen gegen Russland umstritten, die die engen Wirtschaftsbeziehungen gefährden könnten. Ein Stopp der Verhandlungen über Visa-Erleichterungen und das neue Grundlagenabkommen gelten als weiche Maßnahmen. Die seit Jahren laufenden Gespräche über beide Abkommen kommen ohnehin kaum voran.
Die nächste Eskalationsstufe wären Einreiseverbote und Kontensperrungen. Um glaubwürdig zu sein, müssten sich diese nach Ansicht von EU-Diplomaten etwa gegen Putin selbst und seine wichtigsten Gefolgsleute richten. Auf diese Weise würden aber die diplomatischen Kanäle zugeschüttet, die noch zur Lösung der Krise genutzt werden könnten. Insbesondere Deutschland habe dagegen Bedenken. Handelsssaktionen wie Aus- und Einfuhrverbote für Waren sind ebenfalls umstritten, weil die Europäer Gegenmaßnahmen der Russen fürchten. Ökonomisch sind Russland und die Europäer voneinander abhängig. Deutschland bezieht aus Russland etwa 35 Prozent des Gasbedarfs und mehr als 30 Prozent des benötigten Öls. Rund 6200 Firmen haben nach Angaben des Industrieverbandes BDI etwa 20 Milliarden Euro in Russland investiert.
Die wirtschaftliche Bedeutung der Ukraine
Das flächenmäßig nach Russland größte europäische Land besitzt jede Menge davon: Eisenerz, Kohle, Mangan, Erdgas und Öl, aber auch Graphit, Titan, Magnesium, Nickel und Quecksilber. Von Bedeutung ist auch die Landwirtschaft, die mehr zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt als Finanzindustrie und Bauwirtschaft zusammen. Etwa 30 Prozent der fruchtbaren Schwarzerdeböden der Welt befinden sich in der Ukraine, die zu den größten Weizenexporteuren gehört. In der Tierzucht spielt das Land ebenfalls eine führende Rolle.
Sie ist gering. Das Bruttoinlandsprodukt liegt umgerechnet bei etwa 130 Milliarden Euro, in Deutschland sind es mehr als 2700 Milliarden Euro. Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt nicht einmal 3900 Dollar im Jahr. Wuchs die Wirtschaft 2010 um 4,1 und 2011 um 5,2 Prozent, waren es 2012 noch 0,2 Prozent. 2013 dürfte es nur zu einem Plus von 0,4 Prozent gereicht haben.
Exportschlager sind Eisen und Stahl, gefolgt von Nahrungsmitteln, Rohstoffen und chemischen Produkten. Wichtigstes Importgut ist Gas. Auch Erdöl muss eingeführt werden. Die Ukraine könnte aber vom Energie-Importeur zum -Exporteur werden, weil sie große Schiefergasvorkommen besitzt.
Sie ist von der Schwerindustrie geprägt, besonders von der Stahlindustrie, dem Lokomotiv- und Maschinenbau. Ein Grund ist, dass die Sowjetunion einen Großteil der Rüstungsproduktion in ihrer Teilrepublik Ukraine angesiedelt hatte. Eine Westorientierung und die Übernahme von EU-Rechtsnormen könnte das Land zunehmend zum Produktionsstandort für westliche Firmen machen.
Deutschland ist einer der wichtigsten Handelspartner der Ukraine. Gemessen an der Größe des Landes ist das deutsche Handelsvolumen aber unterdurchschnittlich. Zu den wichtigsten deutschen Exportgütern zählen Maschinen, Fahrzeuge, Pharmaprodukte und elektrotechnische Erzeugnisse. Wichtigste ukrainische Ausfuhrgüter sind Textilien, Metalle und Chemieprodukte. Nach Angaben des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft sind knapp 400 deutsche Unternehmen in der Ukraine vertreten. Bei den Direktinvestitionen liegt Deutschland auf Platz zwei hinter Zypern.
Chancen ergeben sich für die deutsche Wirtschaft vor allem im ukrainischen Maschinen- und Anlagenbau. Zudem ist die frühere Sowjetrepublik mit ihren rund 45 Millionen Einwohnern ein potenziell wichtiger Absatzmarkt für Fahrzeuge. Korruption und hohe Verwaltungshürden stehen Investitionen indes im Wege.
Rund ein Drittel der ukrainischen Exporte fließt in die EU. Eine engere wirtschaftliche Verknüpfung durch ein Handels- und Assoziierungsabkommen liegt auf Eis, nachdem Präsident Viktor Janukowitsch auf russischen Druck seine Unterschrift verweigerte. Für die EU ist die Ukraine für die Versorgung mit Erdgas von Bedeutung. Rund ein Viertel ihres Gases bezieht die EU aus Russland, die Hälfte davon fließt durch die Ukraine.
Mit Abstand wichtigster Handelspartner der Ukraine ist Russland. Ein Drittel der Importe stammt aus dem Nachbarland, ein Viertel der Exporte gehen dorthin. Der Regierung in Moskau ist eine Orientierung der Ukraine nach Westen ein Dorn im Auge. Stattdessen drängt sie das Land zum Beitritt zur Zollunion mit Kasachstan und Weißrussland.
Streit flammt zwischen beiden Ländern immer wieder über Gaslieferungen auf. Die Ukraine importiert fast ihr gesamtes Gas aus Russland, muss dafür aber einen für die Region beispiellos hohen Preis zahlen. Der Konflikt über Preise und Transitgebühren hat in der Vergangenheit zu Lieferunterbrechungen geführt, die auch die Gasversorgung Europas infrage stellten.
Die deutsche Wirtschaft zeigt sich deshalb alarmiert. Der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Rainer Lindner, warnte vor einer gefährlichen Spirale gegenseitiger Sanktionen zwischen Russland und dem Westen. Sollte der EU-Krisengipfel Strafmaßnahmen gegen Moskau beschließen, werde Russland sofort darauf reagieren, sagte Lindner der Nachrichtenagentur dpa in Berlin. Dabei könnte im schlimmsten Fall deutsches Firmeneigentum konfisziert werden.
Die Energiewirtschaft rechnet angesichts einer Gasversorgung aus mehreren Quellen und hoher Reserven mit keinen Engpässen in Deutschland. Zum Teil könnten Lieferungen aus anderen Bezugsquellen im Rahmen bestehender Verträge im Bedarfsfall erhöht werden, sagte die Chefin des Energiewirtschaftsverbandes BDEW, Hildegard Müller. Die EU sperrte unterdessen die Konten des früheren ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch und von 17 weiteren Personen. Eine entsprechende Liste wurde online im EU-Amtsblatt veröffentlicht.
Russlands Präsident Putin wird trotz des Konfliktes mit der Ukraine an diesem Freitag an der Eröffnungsfeier der Winter-Paralympics in Sotschi teilnehmen. Die komplette politische Delegation aus Deutschland verzichtet dagegen laut der Behindertenbeauftragten Verena Bentele auf eine Reise nach Sotschi. Nach Angaben eines Sprechers des Bundesinnenministeriums plant Innen-Staatssekretär Ole Schröder allerdings weiterhin, nach Russland zu fahren.
Krim will zu Russland gehören
Wenige Tage nach der Machtübernahme auf der Krim hat sich das moskautreue Parlament in Simferopol für einen Beitritt der Schwarzmeer-Halbinsel zu Russland ausgesprochen. Die Abgeordneten der Autonomen Republik stimmten am Donnerstag in Simferopol einem entsprechenden Antrag zu, wie Staatsagenturen in Moskau meldeten. Die Entscheidung solle bereits am 16. März durch eine vorgezogene Volksabstimmung bestätigt werden. Zugleich wurde Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) der Zugang zur Krim verwehrt.
Moskautreue „Selbstverteidigungskräfte“ wiesen die internationale Expertengruppe von einem Kontrollposten in Armjansk im Nordwesten der Krim ab, wie westliche Diplomaten in Wien sagten. Die Uniformierten seien schwer bewaffnet und teilweise maskiert gewesen. Es habe demnach keine Gewaltandrohung gegeben. Die Gruppe hatte sich am Mittwoch auf den Weg in das Land gemacht. Insgesamt beteiligen sich 18 OSZE-Länder an der militärischen Beobachtermission. Darunter sind auch zwei Soldaten der Bundeswehr.
Parallel zum Parlamentsbeschluss auf der Krim kündigte die kremltreue Partei Gerechtes Russland in Moskau an, ein neues Gesetz für eine schnelle Aufnahme der Autonomen Republik voranzutreiben. „Bis zum Referendum am 16. März auf der Krim könnte die Staatsduma es angenommen haben“, sagte Parteichef Sergej Mironow. Die proeuropäische ukrainische Regierung in Kiew kritisierte die geplante Abspaltung der Krim scharf. Die Resolution sei „vor den Mündungen (russischer) Maschinengewehre“ verabschiedet worden, sagte Übergangspräsident Alexander Turtschinow. In Moskau stieß der Beschluss auf Begeisterung. „Das ist eine historische Entscheidung“, sagte Sergej Newerow von der Kremlpartei Geeintes Russland.
Kremlchef Wladimir Putin rief den Sicherheitsrat zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Der Präsident berate mit den Mitgliedern über die Entscheidung des Parlaments der Halbinsel, hieß es. Putin hatte zuvor erklärt, dass Russland zwar keinen Anschluss der Krim plane, die dortige Bevölkerung aber frei entscheiden könne. Krim-Vizeregierungschef Rustam Temirgalijew sagte in Simferopol, das Parlament habe sich bereits offiziell an Putin gewandt. Er rechne damit, dass beim Referendum „70 Prozent oder mehr“ für den Beitritt der Halbinsel zu Russland stimmen werden, sagte Temirgalijew. Die Krim würde dann wohl auch den russischen Rubel als Währung einführen.
Bei der Sitzung in Simferopol hatten 78 der 81 anwesenden Abgeordneten für den Anschluss an das Riesenreich gestimmt. Zuvor hatte das Krim-Parlament, das insgesamt 100 Sitze hat, das für den 30. März geplante Referendum erneut vorgezogen. Menschen vor dem Parlament nahmen die Entscheidung mit „Russland! Russland!“-Rufen auf. Die Halbinsel wird mehrheitlich von Russen bewohnt. Die alte Regierung war abgesetzt worden. Der moskautreue neue Krim-Regierungschef Sergej Aksjonow hat Kremlchef Wladimir Putin um Beistand gebeten. Tausende Uniformierte übernahmen die Kontrolle auf der Krim.
Die Volksbefragung sei ungesetzlich, sagte der ukrainische Justizminister Pawel Petrenko. „Der Status der Krim kann nicht in einem lokalen, sondern nur in einem landesweiten Referendum geändert werden“, sagte er. Auf der Halbinsel, die so groß ist wie Belgien, leben zwei Millionen Menschen. Russland erkennt nach dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch die neuen Machthaber in Kiew nicht an. Krim-Vizeregierungschef Temirgalijew sagte, die Entscheidung des Parlaments gelte ab sofort. Einzig legitime Streitkräfte auf der Krim seien nun russische Truppen, Ukrainer würden als Besatzer betrachtet.