Krise in der Ukraine Putins Krieg gegen den Frieden

Mit dem Einmarsch in die Ukraine will der Kreml die Grenzen in Europa erneuern. Der Westen ist damit überfordert und findet kein Rezept, wie mit dem zunehmend eigenwilligen Möchtegern-Partner Russland umzugehen ist.

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Während eines Protestmarsches für Frieden in der Ukraine auf dem New Yorker Times Square hält ein Mann ein Schild mit einem Bild von Wladimir Putin. Quelle: REUTERS

Zwar ist zur Stunde noch kein einziger Schuss gefallen. Dennoch steht Europa kurz vor einem wahrhaftigen Krieg, dem ersten seit dem Kosovo-Debakel 1999. Es fehlt nur ein Auslöser, ehe Putin auf der Krim oder anderswo in der Ukraine jenen Waffengang befiehlt, den ihm sein Parlament am Freitag eiligst abnickte: Eine Prügelei zwischen Ukrainern und Russen irgendwo in der Ukraine würde womöglich genügen, damit Putin zum „Schutz“ seiner Landsleute eine Attacke auf das Brudervolk beginnen kann.

Natürlich wäre der Vorwand konstruiert – und zwar auf völlig plumpe Weise. So liest sich das bei uns im Westen. Aber das zählt nicht. Zuhause in Putins Russland trichtert das staatlich kontrollierte Fernsehen den Russen seit Monaten ein und dieselbe Interpretation zur Lage in der Ukraine ein: Faschisten übernehmen die Kontrolle im Nachbarland, die russische Minderheit dort ist in Gefahr. Da schlägt das Herz jedes Patrioten Alarm!

Die Russen glauben diesen Unsinn: Die urbane Mittelschicht, die den Westen vor zwei Jahren mit Protesten gegen Putin verzückte, ist nur eine kleine urbane Minderheit. Die Massen sind Arbeiter, Bauern, Rentner, die die Regierung auch in Wirtschaftskrisen durchfüttert – und die sich abends bereitwillig vom Staatsfernsehen in den Tiefschlaf lullen lassen. Im Traum schwingt sich Putin, ein großer Patriot wie die meisten Russen, zum Beschützer des Volkes auf, zum Herrn über Stabilität und Frieden. Manche sehen gar den neuen Stalin in ihm sehen, wobei viele Russen den alten als glorreichen Führer verehren – von seinen Massenmorden steht ja nichts im Schulbuch.

Putin will punkten. Im Inland kann er das mit einer begrenzten Attacke auf die Ukraine. Die Okkupation der Krim, die nach dem „Hilferuf“ des dortigen Regierungschefs und nach einer fingierte Volksabstimmung am 30. März den Anstrich rechtsstaatlicher Legitimität bekommen würde, könnte Putin seinem Land als Sieg verkaufen. Viele Russen betrachten die Krim, die Sowjet-Parteichef Nikita Chruschtschow in einer Wodkalaune 1954 an die Ukraine verschenkte, ohnehin als russisches Einflussgebiet. Seit dem Untergang der stolzen Sowjetunion plagt in Russland nicht nur Putin ein imperialer Phantomschmerz, der sich mit einer territorialen Erweiterung ein wenig lindern ließe.

Und wie kommt das im Westen an? Das ist Wladimir Putin völlig gleichgültig. Der Kremlchef interessiert sich nur mehr sein Image bei den Russen, denn die halten ihn an der Macht. Die Olympischen Spiele in Sotschi waren Putins letzter Versuch zur Image-Pflege nach Außen – und der ging schief. Jetzt kann sich Brüssel empören und protestieren, Washington mit Sanktionen drohen. Allein, es hilft nichts: Am Ende wird es ob der geopolitischen Lethargie des Westens doch bei leeren Drohungen bleiben. Das war 1999 noch anders, als eine westliche Allianz den Kosovo gegen die Serben verteidigte und später mit der Anerkennung der Unabhängigkeit einen unvorteilhaften Präzedenzfall schuf. Hierauf wird sich Moskau in nächster Zeit berufen – und dabei ignorieren, dass es im Kosovo damals zu serbischen Angriffen kam und die Ukrainer den Russen kein Haar krümmten.

Moskaus geopolitische Arroganz

Soldaten besetzen die Krim
Militärisches Personal, vermutlich russische Streitkräfte, außerhalb ukrainischen Territoriums Quelle: REUTERS
Der ukrainische Innenminister Arsen Awakow hat von einer Invasion und Besetzung durch russische Soldaten gesprochen. 6000 russische Soldaten befinden sich mittlerweile in der Ukraine. Die Regierung in Moskau hat sich im jüngsten ukrainischen Machtkampf auf die Seite des inzwischen abgesetzten Präsidenten Viktor Janukowitsch gestellt, der sich gegenwärtig in Russland aufhält. Quelle: REUTERS
Doch stehen die Ukrainer nicht geschlossen gegen die russische Invasion. Auf der Krim gibt es eine bedeutsame pro-russische Bewegung. Das Parlament in Kiew hatte vor kurzen ein Sprachengesetz abgeschafft, das besonders die russische Minderheit - auch auf der Krim - geschützt habe, so Russlands Außenminister Tschurkin. Quelle: REUTERS
Die Ukraine hat die Streitkräfte auf der Halbinsel Krim in Alarmbereitschaft versetzt. Der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk erklärte aber, sein Land werde sich nicht durch russische Provokationen in einen militärischen Konflikt ziehen lassen. Quelle: AP
Trotz der Militär-Invasion geht das Leben in der Krim aber weiter. Vor einer Lenin-Statue küsste sich heute ein frisch-vermähltes Paar. Quelle: REUTERS
Truppen in nicht gekennzeichneten Uniformen stehen vor einer Behörde in der Kleinstadt Balaklava vor den Toren Sevastopols. Lediglich ein Enblem auf einem der Fahrzeuge zeigt, dass es sich um Mitglieder des russischen Militärs handelt. Quelle: AP
Die Lage auf der Krim ist trotz diplomatischer Bemühungen auch am Sonntagmorgen weiter angespannt. Barack Obama hat in der Nacht eineinhalb Stunden mit Putin telefoniert und zum Truppenabzug aufgefordert. Doch der russische Präsident hält weiter Stellung auf der Krim. Quelle: AP

Insofern ist es auch die Schwäche des Westens, die Moskaus geopolitische Arroganz möglich macht. Hier labt man sich an der unbestrittenen Leistungsfähigkeit des eigenen Wertesystems und fragt sich, wie man diesen Segen in die Welt exportieren kann. Bei so viel Philanthropie scheinen viele Polit-Strategen die Regeln der Geopolitik vergessen zu haben – solche, in denen Putin denkt und handelt. Der Kreml-Chef, als Machtmensch zunehmend autoritär und beratungsresistent, muss das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine als Gefahr aufgefasst haben: Das Verschieben eines konkurrierenden Werteraums bis an seine Grenzen bedeutet einen Angriff auf sein Einflussgebiet. So wie einst die Nato-Osterweiterung, was bei Putin ein Trauma hinterlassen hat.

Man muss Putin nicht verstehen, aber man sollte sein Denken und Handeln nachvollziehen können. Doch weder Brüssel noch Berlin oder Washington haben ein Rezept gefunden, wie mit dem zunehmend eigenwilligen Möchtegern-Partner Russland umzugehen sei. In Berlin polarisiert ein aufgebauschter Konflikt zwischen Russlandverstehern und Russlandkritikern so sehr, dass man zwischen beiden Polen keine Konzepte für den politischen Umgang mit einem der wichtigsten Wirtschaftspartner finden kann. In der EU neigt man zur arg ideologischen Sicht auf den Osten, und Washington interessiert sich mehr für China und überlässt den Europäern ihre Hinterhöfe. Derweil wird die Russland-Expertise an Universitäten abgebaut, Botschaften verkleinert, Korrespondenten abgezogen.

Heute lässt sich sagen, dass Wladimir Putin schon vor langer Zeit auf „kalten Krieg“ umgeschaltet hat – nur wollte es niemand wahrhaben. Im Westen versteckten sich Politik und Wirtschaft hinter Worthülsen wie „Modernisierungspartnerschaft“ und erzählten das Märchen der Demokratisierung, die in Russland einfach etwas mehr Zeit brauche. Putin aber entwickelte seinen Abwehrplan, wohl spätestens nach den Wahlen im Jahr 2012, als seine Mittelschicht gegen ihn auf die Straße ging und ihm den Angstschweiß des Machtverlusts in den Nacken trieb. Es geht nichts weniger als die Abschottung vom Westen und seinen Werten, um den Wiederaufbau der Sowjetunion. Diesen Plan will er nun in die Tat umsetzen.

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