Krisentreffen in Brüssel Stahlharte Streitigkeiten

Großes Schaulaufen in Brüssel: Auf einem Krisentreffen berät die Politik über das weltweite Stahl-Überangebot und Klagen über chinesischen Billigstahl. Gibt es einen Ausweg aus dem Elend? Eine Analyse.

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Die europäischen Hersteller werfen China Antidumping bei Stahlexporten vor. Quelle: Reuters

Brüssel Kaum ein Tag vergeht, an dem Europas Stahlindustrie nicht ihr Elend klagt – sei es über den massiven Preiskampf mit der Konkurrenz aus China, sei es über den europäischen Emissionshandel. „Wenn China weiter ungebremst Billigstahl nach Europa exportiert, sind die hiesigen Hersteller in ihrer Existenz bedroht“, warnte der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Hans Jürgen Kerkhoff, jüngst auf einer Handelsblatt-Tagung.

An diesem Montag debattieren Regierungs- und Wirtschaftsvertreter aus China, Indien, den USA sowie Japan und der EU bei einem Treffen in Brüssel über mögliche Lösungen für das weltweite Überangebot und damit verbundene Handelskonflikte. Auch Repräsentanten der Welthandelsorganisation (WTO) sowie EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström sind bei dem von der OECD initiierten Konferenz dabei. Ob am Ende aber mehr herauskommen wird als ein „Schön-dass-wir -mal-drüber-geredet-haben“ ist fraglich.

Für die Europäer geht es um viel, Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel. In der europäischen Stahlindustrie waren 2015 fast 330.000 Menschen beschäftigt; zudem spielt sie eine wichtige Rolle als Zulieferer für andere Industriebereiche, etwa für die Automobilbranche. Doch das Überleben für die Unternehmen wird immer schwieriger.

Erst vor wenigen Tagen hat der indische Stahlkonzern Tata Steel angekündigt, sich aus Großbritannien zurückziehen zu wollen. Konzerne wie Thyssen-Krupp und Salzgitter werfen den Konkurrenten aus Fernost vor, mithilfe staatlicher Subventionen Stahl unter den Herstellungskosten zu verkaufen. Die chinesische Stahlindustrie hat in den vergangenen drei Jahren ihre Exporte auf 111 Millionen Tonnen verdoppelt, während die Anbieter aus dem Rest der Welt ihre Ausfuhren um 20 Millionen Tonnen verringert haben.

Nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) waren Ende 2015 mehr als 700 Millionen Tonnen Stahl zu viel auf dem Markt. Die asiatische Konkurrenz macht den europäischen Unternehmen schwer zu schaffen - so sehr, dass vor ein paar Wochen Manager und Arbeiter gleichermaßen in Brüssel bei einer Demonstration mehr politische Unterstützung anmahnten und Tausende Stahlarbeiter in Duisburg mit Holzkreuzen vor dem Verlust ihrer Jobs warnten. Wird 2016 zum Schicksalsjahr für das Überleben der Branche?


Brüssel lehnt Subventionswettbewerb ab

Die EU-Kommission nimmt die Sorgen ernst. „Die Stahlindustrie ist der Ort zukünftiger Spitzentechnologie, und Stahlarbeiter sind keine Eisenträger, sondern hoch qualifizierte Fachkräfte“, betonte Behördenchef Jean-Claude Juncker soeben vor dem EU-Parlament: „Diese Fachkräfte verdienen unsere uneingeschränkte Unterstützung.“ Deshalb müsse man mit aller Energie gegen ungerechte Handelsbedingungen vorgehen.

Tatsächlich hat die Kommission bereits eine ganze Reihe von Antidumping- und Antisubventionsmaßnahmen gegen China und andere Länder eingeleitet, um die heimische Branche zu schützen. Zuletzt schlug sie ein neues Frühwarnsystem für Stahlimporte vor, die europäischen Produzenten schaden könnten.

Den Unternehmen mit mehr staatlicher Beihilfe unter die Arme zu greifen, lehnte Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager im Gespräch mit dem Handelsblatt jedoch ab. „Wir wollen nicht in einen Subventionswettlauf einsteigen, der den Sektor innerhalb Europas aushöhlt. Wir sollten keine Steuergelder in Unternehmen versenken, die nicht auf eigenen Füßen stehen können“, erteilte die Dänin einer Lockerung der Beihilferegeln eine Absage.

Die ergriffenen Maßnahmen gehen der europäischen Stahlbranche nicht weit genug. So sei die Höhe von Strafzöllen unzureichend. Die Dumpingspanne bei Importen des Werkstoffs aus China liegen laut Stahlverband in einer Größenordnung von fast 60 Prozent. Die beschlossenen Zölle aber gerade mal bei 14 bis 16 Prozent. Damit werde Brüssel das unfaire Verhalten der chinesischen Anbieter auf dem europäischen Markt nicht unterbinden. Schlimmer noch: Mit der vorgesehenen Verschärfung des Emissionshandels verschärfe die europäische Politik die Krise der Stahlbranche noch, weil die Umweltauflagen die Produkte zusätzlich verteuerten.

Die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch kritisiert die Einwände von Stahlindustrie und IG Metall gegen den EU-Emissionshandel als Kampagne gegen Klimaschutz. „Man kann darüber diskutieren, ob die Stahlindustrie in der EU Schutz gegen billige Stahlimporte braucht“, sagte Klaus Milke, Vorstandsvorsitzender von Germanwatch, angesichts des Krisentreffens in Brüssel. Es könne aber nicht sein, das weltweite Überkapazitätsproblem durch noch mehr staatliche Ausnahmen beim Klimaschutz lösen zu wollen.

„Die Stahllobby malt abwegige Horrorszenarien an die Wand“, sagt Milke und verweist auf Studien beispielsweise der London School of Economics, wonach kein wesentliches Abwandern der energieintensiven Industrie in Länder, in denen weniger strenge Klimaschutzvorgaben herrschen, zu erwarten sei – selbst bei einer Vervielfachung der CO2-Preise in der EU. Gerade die deutsche Stahlindustrie bekäme im europäischen Vergleich besonders viele Vergünstigungen. Die Stahlbranche ihrerseits verweist auf Studien, die ihr infolge des verschärften Emissionshandels ab 2021 zusätzliche Belastungen von durchschnittlich einer Milliarde Euro pro Jahr bescheinigen – Tendenz steigend.

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