Lächeln statt eisiger Miene Kabinett Kurz in Österreich vereidigt

Feierliche Stimmung in der Hofburg, 6000 Demonstranten davor. Im Mittelpunkt des historischen Tages in Wien stand nicht nur der jüngste Regierungschef in Europa, sondern auch das Staatsoberhaupt.

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Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen vereidigte die Bundesregierung aus ÖVP und FPÖ. Quelle: dpa

Wien Ein ehemaliger Grünen-Chef vereidigt als Staatsoberhaupt eine Koalition aus Konservativen und Rechtspopulisten - und wirkt dabei ganz entspannt. Der 73-jährige Alexander Van der Bellen, bis vor einem Jahr noch ein scharfer Kritiker der rechten FPÖ, ging ausgesprochen freundlich auch mit FPÖ-Chef Heinz-Christan Strache als neuem Vizekanzler um. Der obligatorische Handschlag wirkte wie eine Geste unter Freunden.

„Kooperativ“ und „lösungsorientiert“ habe er auch die FPÖ in den Koalitionsgesprächen erlebt, meinte Van der Bellen, der seinerseits Einfluss auf das Regierungsprogramm von ÖVP und FPÖ genommen hatte. Die Botschaft von der Staatsspitze: Die Wähler wollten dieses Bündnis, also hat es eine Chance verdient.

Um 11.15 Uhr war Sebastian Kurz am Montag am Ziel. Er ist Kanzler und mit 31 Jahren jüngster Regierungschef in Europa. „Ich gelobe“, sagte der auch in diesem Moment ganz cool wirkende ÖVP-Chef. Viele seiner neuen Kabinettskollegen, darunter Quereinsteiger aus Wirtschaft und Wissenschaft, wirkten dagegen nervös.

Bei aller Freundlichkeit nutzte Van der Bellen die Gelegenheit auch zu mahnenden Worten gerade auch im Verhalten der Regierung gegenüber Minderheiten. „Am Umgang mit den Schwächsten zeigt sich, was unsere Werte wirklich wert sind.“ Die Furcht vor Sozialabbau, der Wiedereinführung von Studiengebühren und einem grundsätzlich weniger toleranten Klima in Österreich trieb 6000 Demonstranten auf die Straße. Abgesehen von einigen Eier- und Tomatenwürfen war der Protest lautstark, aber friedlich. Die halbe Innenstadt war durch ein starkes Polizeiaufgebot und viele Straßensperren gesichert.

Dennoch war die Szenerie nicht ansatzweise vergleichbar mit der Vereidigung des ersten ÖVP-FPÖ-Kabinetts im Jahr 2000. Damals mussten die Minister wegen der Proteste durch einen unterirdischen Gang in die Hofburg schleichen. Bundespräsident Thomas Klestil, ein Feind der FPÖ, ließ seinerzeit eigens die Fenster offen, damit die Pfiffe nicht ungehört blieben. Mit eisiger Miene waltete er seines Amtes.

Kurz steht einem Kabinett vor, das acht Minister und Ministerinnen aus den Reihen der konservativen ÖVP und sechs Ressortverantwortliche aus den Reihen der rechten FPÖ hat. Zum ersten Mal wird mit Herbert Kickl ein FPÖ-Politiker Innenminister und damit Chef von 30 000 Polizisten. Der ehemalige FPÖ-Generalsekretär gilt als Hardliner.

Der Kampf gegen die illegale Migration ist eines der Hauptthemen der neuen Koalition. Dazu sollen viele Maßnahmen beschlossen werden, die aus Sicht der beiden Parteien die Unterscheidung von Wirtschaftsflüchtlingen und Schutzberechtigten erleichtern soll.

Kurz folgt als Bundeskanzler dem Vorsitzenden der sozialdemokratischen SPÖ, Christian Kern. Der ehemalige Chef der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) hatte im Mai 2016 die Regierungsgeschäfte übernommen und muss nun nach nur 580 Tagen im Amt abtreten. Er will als Oppositionsführer die Regierung kontrollieren.

Van der Bellen rief die Regierung auch zu einem achtsamen Sprachgebrauch auf. „Es ist nicht gleichgültig, mit welchen Worten wir in die Öffentlichkeit gehen.“ Die FPÖ hatte immer wieder auch im Internet mit vereinfachenden Parolen Stimmung gegen Ausländer gemacht.

Die Österreichische Volkspartei ÖVP ist bereits 31 Jahre lang ununterbrochen in der Regierung. Zuletzt stellte sie mit Wolfgang Schüssel den Kanzler im Jahr 2000. Damals hagelte es internationale Proteste wegen der Regierungsbeteiligung der Rechtspopulisten.

Die Reaktionen aus Europa waren diesmal eher knapp. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) telefonierte am Mittag mit dem neuen österreichischen Bundeskanzler Kurz und übermittelte ihm ihre Gratulation und guten Wünsche zum Amtsantritt. Sie lud Kurz zu einem baldigen Antrittsbesuch nach Berlin ein, wie Regierungssprecher Steffen Seibert mitteilte. Die Kanzlerin hatte sich zunächst abwartend geäußert. Sie werde verfolgen, wie die „europapolitische Positionierung“ Österreichs sein werde.

Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz zeigte sich besorgt. „Die Regierungsbildung in Wien ist keine rein innenpolitische Angelegenheit“, sagte er am Montag der Deutschen Presse-Agentur. Es gelte, die eigene Idee von einem menschenfreundlichen Europa zu verteidigen. „Auch wenn die Gegner dieser Idee in immer mehr Regierungen sitzen.“

AfD-Partei- und Fraktionschef Alexander Gauland frohlockte dagegen. „Der neue Kurs in der Asylpolitik in Österreich markiert einen Meilenstein in der europäischen Geschichte“, sagte er. „Je mehr Staaten dem Beispiel Österreichs folgen, desto besser für Europa.“

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