Land schadet sich selbst Spaniens Geschäft mit dubiosen Uni-Titeln brummt

Studentinnen und Studenten protestieren in Madrid gegen die Korruption an spanischen Universitäten. Quelle: imago images

In Spanien gibt es seit der Krise eine Inflation der Mastertitel. Skandale um deren Qualität, hohe Arbeitslosigkeit und niedrige Löhne treiben die Jugend immer stärker ins Ausland.

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Der 21-jährigen Rebecca Revuelta ist es peinlich, was sie in der Presse über ihr Heimatland Spanien liest. „Ich bin froh, dass ich die meiste Zeit im Ausland studiert habe“, sagt die nach Großbritannien ausgewanderte Madriderin angesichts der jüngsten Skandale um Dr. Pedro Sánchez & Co. Der spanische Premier musste in den vergangenen Tagen wegen seines „geschenkten“ Doktortitels viel Spott einstecken. Seine Gesundheitsministerin trat zuvor aufgrund möglicher Plagiate bei der Masterarbeit zurück.

Solche Skandale sind auch in Deutschland nicht ungewöhnlich, aber in Spanien steckt mehr dahinter. Seit Monaten tobt der Krieg um gefälschte Lebensläufe bei Politikern. Es findet eine regelrechte Hexenjagd zwischen dem linken und rechten Lager statt. Albert Rivera, Vorsitzender der rechtsliberalen Ciudadanos-Partei, warf Sánchez bei einer Kontrollsitzung im Parlament vor, er habe seine „mittelmäßige Doktorarbeit“ nicht alleine geschrieben und zusätzlich Teile kopiert.

Rivera hat damit nicht nur eine Schlacht zwischen den politischen Lagern begonnen, die Sánchez zum Rücktritt zwingen könnte, sondern befeuert ein leidliches Thema in Spanien, das schon einige politische Opfer forderte: Korruption an spanischen Unis. Die 1,5 Millionen eingeschriebenen Studenten in Spanien fragen sich angesichts der Skandale, was ihre akademische Karriere noch wert ist. „Fast 90 Prozent aller Doktorarbeiten in Spanien werden mit „cum laude“ abgeschlossen. Das ist nicht seriös“, beklagt Donato Fernández, ehemaliger Professor für Wirtschaft an der Autonomen Universität in Madrid.

Der spanische Premierminister Pedro Sánchez steht in der Kritik wegen seines Doktortitels. Quelle: imago images

Auch Sánchez bekam ein „cum laude“. Ihm wird vorgeworfen, in seinem Tribunal hätten nur Freunde gesessen. Vetternwirtschaft a la española. Jorge Lirola, der an der Uni in Almeria Arabisch unterrichtet, glaubt, dass der Grad des Nepotismus in Spanien das Normale überschreitet: „Die Vergabe von Stellen erfolgt über Beziehungen und ist weder durchsichtig noch objektiv. Wer denunziert, wird mit Sanktionen bestraft, das habe ich am eigenen Leib erfahren“, berichtet er. Bisher konnte er jedoch alle Verfahren gegen die Uni gewinnen und unterrichtet weiter.

Systemische Korruption an spanischen Unis?

„Die Korruption ist systemisch“, sagt auch ein junger Spanier, der Telekommunikationswissenschaften an der Universität in Vigo studiert und nicht namentlich genannt werden will, weil er als wissenschaftliche Hilfskraft arbeitet und Repressalien fürchtet. „Wir sind sehr verärgert darüber, wie öffentliche und europäische Gelder an unserer eigenen Universität für andere Zwecke missbraucht werden“. Er kritisiert, dass es keine internen Kontrollsysteme gäbe und der spanische Rechnungshof nicht funktioniere. Ciudadanos-Parteivorsitzender Rivera pflichtet ihm bei: „Wir brauchen mehr Transparenz an den Unis“.

Der Fall des konservativen Oppositionsführers Pablo Casado sollte eine Grundreinigung eigentlich unausweichlich machen: Die Madrider Uni Rey Juan Carlos, wo er auf dubiose Weise einen Titel erworben haben soll, löschte kürzlich 5000 E-Mails, die mit der Akte Casado zu tun hatten. Obwohl bereits eine juristische Untersuchung gegen die Uni läuft. Der promovierte Aktivist Miguel Ángel Gallardo vermutet ebenfalls, dass die Irregularitäten systemisch sind und sich nicht auf die politische Klasse beschränken: „Wir haben bereits mehrere Fälle dem spanischen Rechnungshof und der Staatsanwaltschaft vorgelegt“. Einigen werde nachgegangen. „Zu viele werden jedoch aus welchen Gründen auch immer ad acta gelegt“, klagt Gallardo.

Fehlende berufliche Ausbildung in Spanien

Währenddessen blüht das Geschäft mit teilweise zweifelhaften Unititeln weiter. „In Spanien herrscht Titulitis“, kritisiert Ex- Professor Fernández. Die Universitäten geben selbst zu, dass es eine regelrechte Blase an Angeboten gäbe, allein 2780 verschiedene Master-Studiengänge gibt es insgesamt. Das erklärt zum Teil, warum die Zahl der Studenten für diese Programme von 2007 bis 2017 um über 1000 Prozent auf rund 184.000 angestiegen ist. Allerdings verfügt Deutschland nach offiziellen Angaben bei einer doppelt so hohen Bevölkerung wie Spanien ebenfalls über 8000 Masterstudiengänge. Dort ist die Arbeitslosigkeit allerdings bei so viel Studiertheit auch so niedrig wie nie zuvor.

Zugleich sind spanische öffentliche Unis was die Einschreibungs- und Semestergebühren angeht wesentlich teurer als die deutschen. Im Durchschnitt muss ein spanischer Student 1538 Euro für ein Jahr an einer öffentlichen Hochschule bezahlen. Für einen Masterstudiengang kann es doppelt so hoch sein. „Das Bizarre in Spanien ist, dass trotz der vielen Mastertitel 35 Prozent der Jugendlichen keinen Job haben“, sagt Fernández. Der aktuelle Bildungsminister Pedro Duque sieht dennoch keinen Reformbedarf bei der Titelvergabe.

Gemäß der OECD liegt es neben wirtschaftlichen Strukturproblemen auch an einem mangelnden Angebot bei der beruflichen Lehre und einer fehlenden Basisausbildung in der Schule, dass die spanische Jugend so schlecht Jobs findet. Nach einer Studie besitzen 35 Prozent der Jugendlichen zwischen 25 und 34 Jahren weder einen Lehrabschluss noch das Abitur, doppelt so viel wie der europäische Durchschnitt.

Irregularität an Universitäten

Das alles führt dazu, dass Spaniens Jugend ihr Heil vermehrt im Ausland sucht. „Spanien leidet unter einem Brain-Drain, der bei der aktuellen Debatte um gefälschte Masterarbeiten und Plagiate völlig untergeht, der aber auch mit einer falschen Wirtschaftskultur zu tun hat“, sagt Unternehmensberater Ignacio Sánchez-León. Er fordert ein duales Ausbildungssystem nach deutschem Muster und bemängelt: „Das funktioniert derzeit eigentlich nur so richtig bei Seat“.

Wie die Privatuni Pontificia Comillas in einer Umfrage herausfand, wollen mehr als die Hälfte der 500 befragten Studenten wie Rebecca Revuelta im Ausland arbeiten. Sie ist mittlerweile Ingenieurin und arbeitet in London bei einem koreanischen Unternehmen. Gemäß des Registers für Spanier im Ausland verließen im vergangenen Jahr 76.197 Menschen das Land, gut drei Prozent mehr als im Jahr davor. Deutschland bleibt Hauptziel wegen der Sicherheit der Arbeitsplätze, der besseren Gehälter und der guten beruflichen Ausbildung.

Revuelta wäre auch nach Deutschland gegangen, würde sie Deutsch sprechen. Sie ist nur froh, dass sie derzeit weit weg ist von all diesen Problem. Die Madriderin verdient in London das Dreifache von dem, was sie in Spanien bekommen hätte und hat sogar schon ein Firmenauto. Sie verfolgt auch die Krise um Katalonien und eine mögliche Unabhängigkeit aus der Ferne: „Je länger ich weg bin aus Madrid, desto fremder kommt mein Land mir vor“.


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