




Japan ist nach sich verdichtenden Hinweisen über die Ermordung einer japanischen Geisel durch die Terrormiliz IS in einem Schockzustand. Am Sonntag kondolierten US-Präsident Barack Obama und der französische Staatspräsident François Hollande Ministerpräsident Shinzo Abe zum Tod des 47-jährigen Haruna Yukawa. Abe erklärte, ein Video, in der die Tötung Yukawas verkündet wird, sei wahrscheinlich echt.
Obama sagte nicht, woher die USA wüssten, das Yukawa getötet worden sei. Die USA stünden angesichts der Bedrohung durch den IS „Schulter an Schulter“ mit Japan, teilte das Weiße Haus mit. Obama forderte die sofortige Freilassung der zweiten japanischen Geisel, den 47-jähren Journalisten Kenji Goto. Ein Sprecher der US-Geheimdienste, Brian Hale, sagte, die amerikanischen Geheimdienste hätten keinen Grund, an der Echtheit des Videos zu zweifeln. Hollande verurteilte den Mord und lobte Japans „entschlossenes Engagement im Kampf gegen den internationalen Terrorismus“.
Fakten zum Terror im Irak
Die Terrorgruppe ISIS („Islamischer Staat im Irak und in Syrien“) ist eine im Syrienkrieg stark gewordene Miliz. Die Gruppe steht seit 2010 unter Führung eines ambitionierten irakischen Extremisten, der unter seinem Kriegsnamen Abu Bakr al-Baghdadi bekannt ist. Die USA haben zehn Millionen Dollar auf seinen Kopf ausgesetzt. Ihm ist es in den vergangenen vier Jahren gelungen, aus einer eher losen Dachorganisation eine schlagkräftige militärische Organisation zu formen. Ihr sollen bis zu 10.000 Kämpfer angehören.
Die Gruppe nannte sich Ende Juni in IS um, da sie die Einschränkung auf den Irak und Syrien aufheben wollte.
ISIS sind Dschihadisten, Gotteskrieger. Sie kämpfen für eine strikte Auslegung des Islam und wollen ihr eigenes „Kalifat“ schaffen. Ihre fundamentalistischen Ziele verbrämt Isis bisweilen - wenn es in einzelnen Regionen gerade opportun erscheint. „Im Irak gerieren sie sich als Wahrer der sunnitischen Gemeinschaft“, weiß Aimenn al-Tamimi, ein Experte für die militanten Einheiten in Syrien und im Irak. „In Syrien vertreten sie ihre Ideologie und ihr Projekt weit offener.“ In der syrischen Stadt Rakka beispielsweise setzen die Extremisten ihre strikte Auslegung islamischer Gesetze durch. Aktivisten und Bewohner in der Stadt berichten, dass Musik verboten wurde. Christen müssen eine „islamische Steuer“ für ihren eigenen Schutz zahlen.
Ihre Taktik ist eine krude Mischung von brutaler Gewalt und Anbiederung - alles zwischen Abschreckung durch das Köpfen von Feinden und Eiscreme für die Kinder in besetzen Gebieten. Das alles dient der Al-Kaida-Splittergruppe Isis nur zu einem Ziel: den Islamischen Staat im Irak und Syrien zu bilden, den ihr Name verheißt. Die Gruppe, der bis zu 10.000 Kämpfer angehören sollen, hat diese Woche die irakischen Städte Mossul und Tikrit überrannt und den Marsch auf Bagdad angekündigt.
Zu Jahresbeginn hatte Isis bereits die Stadt Falludscha und Teile der Provinz Anbar westlich von Bagdad unter ihre Kontrolle gebracht. Inzwischen hat ISIS maßgeblichen Einfluss auf ein Gebiet, das von der syrisch-türkischen Grenze im Norden bis zu einem Radius von 65 Kilometern vor der irakischen Hauptstadt reicht. Der einstige Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida, den US-Truppen vor ihrem Abzug aus dem Irak 2011 besiegt zu haben meinten, blüht in einer neuen Inkarnation wieder auf. Dabei profitiert Isis von den Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten, die ihre sunnitische Anhängerschaft radikalisieren.
Bislang drangen ISIS-Kämpfer bis zur Provinz Dijala knapp 60 Kilometer nördlich von Bagdad vor. Rund 50 Kämpfer sollen dort laut Medienberichten bei Gefechten mit der irakischen Armee getötet worden sein. Die Isis habe sich daraufhin zurückgezogen, hieß es. Mittlerweile haben die Kämpfer die Städte Dschalula und Sadija in der Provinz Dijala unter ihre Kontrolle gebracht. Die Städte liegen 125 beziehungsweise 95 Kilometer von Bagdad entfernt.
Nach dpa-Informationen erbeuteten ISIS-Kämpfer in Mossul 500 Milliarden irakische Dinar (318 Millionen Euro) in der Zentralbank. Damit wird Isis zur reichsten Terrororganisation vor Al-Kaida. Experten schätzen das Vermögen der Al-Kaida auf 50 Millionen bis 280 Millionen Euro. Auch schweres Kriegsgerät soll ISIS erbeutet haben. Im Netz kursierende Videos zeigen irakische Panzer und Helikopter mit der schwarzen Flagge der Isis bei einer Militärparade in Mossul.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warf Isis Bombenanschläge in Wohngebieten, Massenexekutionen, Folter, Diskriminierung von Frauen und die Zerstörung kirchlichen Eigentums vor. Einige Taten kämen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleich. Nach Angaben der Organisation Ärzte ohne Grenzen sind mittlerweile rund eine Million Iraker auf der Flucht. Viele versuchten das als stabil geltende kurdische Autonomiegebiet im Nordirak zu erreichen. Allein in Mossul waren binnen weniger Stunden 500.000 Menschen vor den Extremisten geflohen.
Ministerpräsident Al-Malikis Versuch, am 12. Juni 2014 den Notstand auszurufen, war am Parlament gescheitert, das eine Abstimmung wegen mangelnder Beteiligung verschob. Seit Monaten zeigt sich Al-Maliki praktisch machtlos gegen den Terror sunnitischer Extremisten im Land. Dieser kostete seit April 2013 Tausenden Menschen das Leben.
Der UN-Sicherheitsrat sagte der irakischen Regierung einmütig Unterstützung im Kampf gegen Terrorismus zu. Die Nato und Großbritannien schlossen einen militärischen Eingriff aus. Auch der iranische Präsident Hassan Ruhani hat dem Nachbarland die uneingeschränkte Solidarität im Kampf gegen die Terrorgruppe Isis zugesichert. Sowohl auf regionaler als auch internationaler Ebene werde der Iran alles im Kampf gegen die Terroristen im Irak unternehmen, sagte Ruhani dem irakischen Regierungschef Nuri al-Maliki. Mittlerweile prüft die US-Regierung auch militärische Optionen.
In dem Video fordern die Extremisten Japan zu einem Gefangenenaustausch auf. Bisher hatten sie Lösegeld verlangt. Abe ging auf die Forderung nicht ein und erklärte lediglich, die Lage werde analysiert. „Ich bin sprachlos“ sagte er im Fernsehsender NHK. „Wir verurteilen und kritisieren entschieden solche Taten“. Die IS-Miliz hatte der Regierung in Tokio bis Freitag Zeit gegeben, 200 Millionen Dollar (rund 176 Millionen Euro) Lösegeld zu zahlen. Ansonsten würden die Geiseln getötet.
Die einflussreichsten Rebellengruppen in Syrien
Sie ist ein Zusammenschluss aus sechs großen islamistischen Gruppen. Die Islamische Front ist vermutlich die größte Rebellenallianz in Syrien und verfügt über 40.000 bis 50.000 Kämpfer. Ihre Mitglieder sind sunnitische Extremisten, die einen islamischen Staat in Syrien errichten wollen. Die Haltung der Islamischen Front gegenüber den Extremisten von IS ist ambivalent. Teile der Gruppe unterstützen aber den Kampf gegen sie.
In der einflussreichen Rebellengruppe sind sowohl syrische als auch ausländische Extremisten aktiv. Sie ist von Al-Kaida offiziell als Ableger in Syrien anerkannt. Die Nusra-Front hat als erste Gruppierung in Syrien Selbstmord- und Autobombenanschläge in Stadtgebieten verübt. Sie kämpft für einen islamischen Staat, hat zwischen 7000 und 8000 Anhänger und arbeitete bislang eng mit der Islamischen Front zusammen.
Die Gruppe wurde von abtrünnigen Mitgliedern der Nusra-Front gebildet und vereinigte sich mit dem Al-Kaida-Ableger im Irak. Früher nannte sie sich Islamischer Staat im Irak und der Levante (Isil). Angeführt wird IS von Abu Bakr al-Baghdadi, der die Forderung der Al-Kaida ignorierte, den Schwerpunkt der Aktivitäten auf den Irak zu legen. Anfang des Jahres kappte Al-Kaida die Verbindungen zur IS, die als die militanteste Extremistengruppen in Syrien gilt.
Zunächst hatte die Gruppierung unter anderem wegen ihrer strikten Haltung gegen Plünderungen einen Großteil der syrischen Bevölkerung auf ihrer Seite. Dies änderte sich, als sie begann, Kritiker zu entführen und zu töten.
Derzeit kämpft IS an mehreren Fronten - gegen rivalisierende Rebellen in Syrien und gegen die Kurden im Nordirak. Die Gruppe soll über 6000 bis 7000 Kämpfer verfügen. Im Irak wird sie durch Zehntausende Kämpfer sunnitischer Stämme unterstützt, die von der Zentralregierung in Bagdad enttäuscht sind.
Die Allianz aus weitgehend nicht ideologisch geprägten Rebellen-Einheiten formierte sich im Dezember. Das Rückgrat der Gruppe bildet die Syrische Märtyrer-Brigade, eine einst einflussreiche Gruppe aus der nördlichen Provinz Idlib unter Führung von Dschamal Maruf. Ihm war von rivalisierenden Rebellengruppen vorgeworfen worden, für den Aufstand bestimmtes Geld in die eigene Tasche gesteckt zu haben. Die Anhänger der revolutionären Front sind weitgehend moderate Islamisten. Finanziell unterstützt wird die Gruppe vermutlich von Golfstaaten wie Saudi-Arabien.
Sie bildete sich zu Jahresbeginn aus acht syrischen Gruppen und startete eine Offensive gegen die Extremisten von IS. Die Allianz ist moderat islamistisch und hat nach eigenen Angaben rund 5000 Mitglieder.
Es handelt sich um eine moderate, nicht ideologische Gruppe. Sie wird von westlichen Ländern wie den USA unterstützt. Auch die Türkei und die arabischen Golfstaaten stehen auf ihrer Seite. Sie hat niemals den Eindruck ausräumen können, dass ihre Führung aus dem Ausland kommt.
Das Ultimatum verstrich, am Samstag tauchte ein Video auf, in dem der Tod von Yukawa verkündet und ein Gefangenenaustausch für Goto gefordert wurde. Doch kamen an der Echtheit des Videos auch Zweifel auf. Das Video wurde rasch wieder aus dem Netz genommen. Zudem gab ein Extremist auf einer mit der IS-Miliz verbundenen Webseite an, dass es eine Fälschung sei. Ein anderer Dschihadist erklärte hingegen, die Aufnahme sei nur für die Familie Gotos bestimmt gewesen. Ein dritter wies darauf hin, dass in dem Video nicht das Logo des IS-Sprachrohrs Al-Furkan zu sehen sei, das bisherige Botschaften verbreitet habe.
Auch Gotos Mutter äußerte Zweifel an der Stimme in der Aufnahme, die als jene ihres Sohnes ausgeben wird. „Kenjis Englisch ist sehr gut. Es sollte flüssiger klingen“, sagte Junko Ishido dem Sender NHK. „Ich habe Angst. Er hat Kinder. Ich hoffe, dass er bald zurückkehrt, das ist alles, was ich will.“ Der 42-jährige Abenteurer Yukawa war im vergangenen Jahr in Syrien verschleppt worden. Yukawas Vater erklärte indes, er hoffe „tief in seinem Herzen“, dass sein Sohn noch lebe. „Wenn wir uns jemals noch einmal wiedersehen, will ich ihn einfach nur fest drücken“, sagte Shoichi vor Reportern in seinem Haus.
Die Todesdrohung des IS gegen seine japanischen Gefangenen erfolgte nach einer Nahostreise Abes, in der er 200 Millionen Dollar humanitäre Hilfe für die Länder verkündete, die gegen den IS kämpfen. Die Terrormiliz verlangte in einem ersten Video genau diese Summe als Lösegeld für die Geiseln. Darüber wird in der japanischen Öffentlichkeit erregt debattiert. Einige sehen Abes forsches Auftreten für eine größere militärische Rolle Japans als eine Ursache des Geiseldramas, andere verweisen darauf, dass Japan kein isolierter Inselstaat mehr sei.