Lateinamerika Guerilla zwischen Macht und Untergang

In Lateinamerika kämpften einst linke Guerillas gegen Militärdiktaturen oder bürgerliche Regierungen. In Kolumbien sollen Verhandlungen den letzten großen Konflikt beenden. Anderswo ist die Guerilla längst Geschichte.

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Der Kampf gegen die „Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens“ (FARC) beherrscht Kolumbien und seine Streitkräfte. Quelle: Reuters

Berlin Jahrzehntelang hat politisch motivierte Gewalt Kolumbien zerrissen. Mit mehr als 200.000 Toten in fast 50 Jahren war der bewaffnete Konflikt zwischen linker Guerilla und den Regierungen in Bogotá einer der blutigsten in der Geschichte Lateinamerikas. Nun haben die „Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens“ (FARC) und die Regierung von Präsident Juan Manuel Santos Friedensgespräche aufgenommen. Anders als bei früheren Versuchen sind die Erfolgschancen dieses Mal recht gut.

Wenn FARC und Regierung sich über Fragen wie die Landverteilung, die Entwaffnung oder die künftige politische Rolle der Rebellen einigen, dann könnte vielleicht schon im nächsten Jahr Frieden geschlossen werden. Damit würde der letzte große Guerillakonflikt auf dem Kontinent enden. Unter dem Schlachtruf „Venceremos“ – Wir werden siegen – griffen in den vergangenen Jahrzehnten in vielen Ländern Männer und Frauen zu den Waffen, um gegen rechte Militärdiktaturen oder bürgerliche Regierungen zu kämpfen. Nur selten gelang ihnen der Umsturz. Manche Guerilleros machten aber später als Zivilisten politische Karriere. Viele Bewegungen gerieten in Vergessenheit.

Militärisch erfolgreich und Vorbild fast aller Revolutionäre war die „Bewegung des 26. Juli“ in Kuba. Ende 1956 landete ein verwegener Trupp unter Führung von Fidel Castro aus Mexiko kommend im Osten der Insel, um gegen den Diktator Fulgencio Batista zu kämpfen. Eigentlich aussichtslos, doch die „Barbudos“ (Bärtigen) hielten durch, gewannen mehr und mehr Anhänger, besiegten die demoralisierte Armee Batistas und zogen im Januar 1959 in Havanna ein. Castro verwandelte die Karibikinsel in eine kommunistische Ein-Parteien-Diktatur, die selbst den Untergang der Sowjetunion überlebte. Als seine Gesundheit nicht mehr mitmachte, löste ihn Bruder Raúl (heute 81) als Staatschef ab.

Das kubanische Beispiel inspirierte Dutzende Guerillabewegungen, deren Namen heute meist vergessen sind. 1979 aber schaffte es die Sandinistische Nationale Befreiungsfront (FSLN) in Nicaragua, den Diktator Anastasio Somoza zu stürzen.


Daniel Ortega brachte Sandinisten an die Macht

Nach Jahren der Misswirtschaft und des blutigen Bürgerkriegs gegen die von den USA unterstützten Contra-Rebellen wurden die Sandinisten 1990 abgewählt. 2006 gelang ihnen das Comeback mit einem knappen Sieg ihres Anführers Daniel Ortega bei der Präsidentenwahl. Obwohl die Verfassung eine unmittelbare Wiederwahl verbietet, ließ er sich 2011 erneut zum Präsidenten wählen, begleitet von massiven Betrugsvorwürfen. Dank der Ölmilliarden seines venezolanischen Freundes Hugo Chávez kann Ortega (67) Wohltaten unters Volk bringen, wie Häuser für die Armen oder Subventionen für Transport und Strom.

Als die Sandinisten 1979 in Managua einmarschierten, glaubten sich auch die Rebellen im benachbarten El Salvador dem Sieg nahe. Daraus wurde nichts, ein blutiger Bürgerkrieg zwischen der Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) und der Armee zog sich über mehr als ein Jahrzehnt hin. 1992 schlossen Regierung und Guerilla Frieden, und die FMLN wurde eine politische Partei. 2009 gewann sie erstmals die Präsidentenwahl. Präsident Mauricio Funes (53), ein früherer Journalist, konnte einige soziale Verbesserungen verwirklichen, zum Beispiel staatliche Zuschüsse für arme Familien, Projekte zur Förderung der Frauen oder Unterstützung der Kleinbauern.

Knapp 7000 Kilometer südöstlich von San Salvador sitzt in Montevideo ein früherer Guerillero im Präsidentenpalast. José Mujica (77) gehörte Uruguays Stadtguerilla Tupamaros an und verbrachte viele Jahre im Gefängnis. Bald nach dem Ende der Militärdiktatur 1985 schloss sich die Guerilla dem Linksbündnis Frente Amplio an, 2010 gewann Mujica als dessen Kandidat die Wahl. Der Ex-Tupamaro ist für seine Volkstümlichkeit bekannt. Er fährt weiter mit einem alten VW-Käfer und spendet einen Großteil seines Gehaltes, weil er, wie er sagt, zum Leben nicht mehr braucht als vor seiner Wahl.

Keine Chance auf eine zivile Karriere hat dagegen der Peruaner Abimael Guzmán (78), einst Anführer des gefürchteten „Sendero Luminoso“ (Leuchtender Pfad). Er sitzt seit 20 Jahren im Gefängnis und soll dort auch den Rest seines Lebens bleiben. Seine Vorbilder waren Mao und Pol Pot, seine Rebellenbewegung galt als die grausamste der westlichen Welt. Heute sind von ihr nur noch versprengte Häuflein übrig, die mit dem Drogenhandel in Verbindung gebracht werden.


Zapatisten tauchten in Mexiko auf

Als der „Sendero“ in die Knie gezwungen und in El Salvador Frieden geschlossen war, tauchte in Mexiko eine bis dahin völlig unbekannte Guerillabewegung auf, die Zapatisten. Am Neujahrsmorgen 1994 besetzten sie einige Orte im Bundesstaat Chiapas und forderten ein Ende der Diskriminierung der indianischen Ureinwohner.

Berühmt wurde ihr charismatischer Anführer „Subcomandante Marcos“, der vor allem auf die Macht des Wortes setzte und Globalisierungskritiker aus aller Welt zum „Intergalaktischen Kongress für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus“ in den Lakandonen-Urwald einlud. Inzwischen hört man kaum noch von den Zapatisten, und „Marcos“ ist verstummt.

In Brasilien, dem größten Land Lateinamerikas, schaffte es eine Ex-Guerillera bis ins höchste Staatsamt. Dilma Rousseff (65) war unter der Militärdiktatur Mitglied einiger militanter Gruppen, wurde 1970 verhaftet, gefoltert und für zwei Jahre inhaftiert. Als Kandidatin der Arbeiterpartei gewann sie 2010 die Präsidentenwahl und regiert jetzt eines der größten Schwellenländer der Welt. Weniger glücklich verlief die Karriere ihres Parteifreunds José Dirceu (60): Unter Rousseffs Vorgänger Luiz Inácio Lula da Silva stieg der Ex-Guerillero zwar zum Kabinettschef auf, doch im November wurde er wegen Korruption zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt.


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