Lira-Absturz in der Türkei Letzte Chance Zinserhöhung

Lira-Absturz in der Türkei: Drastische Zinserhöhung wäre nötig Quelle: imago images

Am Donnerstag tagt die türkische Zentralbank. Eine drastische Zinserhöhung wäre nötig. Doch ob sich wirtschaftliche Vernunft noch durchsetzen kann, ist fraglich. Denn Erdoğan dehnt seinen Einfluss immer weiter aus.

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Veranstaltungen der deutschen Handelskammern im Ausland sind meist ein Feuerwerk des Euphemismus – unangenehmere Themen wie Menschenrechte werden an der Tür abgegeben, beschworen werden Wachstum, Chancen und Gelegenheiten. Auch die Türkei ist da keine Ausnahme.

So war es auch im Juli, als sich deutsche Unternehmer in Istanbul trafen. Die Redner wiesen auf die großartigen Langzeitperspektiven des Schwellenlandes hin: eine junge Bevölkerung, relativ gut ausgebildet, niedrige Lohnkosten. Mag auch der politische Wind mal aus dieser, mal aus jener Richtung wehen, die Wirtschaft wächst. Zwei Begebenheiten aber waren dieses Mal auffällig. Da meldete sich ein deutscher Unternehmer, dessen Firma mit türkischen Immobilienfirmen zu tun hatte, und berichtete von massiven Zahlungsausfällen. Und auf dem Podium saß ein Professor, der Verständnis für die Zinstheorie seines Präsidenten äußerte. Hohe Inflation ließe sich nicht einfach mit höheren Zinsen bekämpfen, sagte er sinngemäß. Das war wohlgemerkt, bevor die Lira-Krise ausbrach und innerhalb weniger Tage dramatisch an Wert verlor. Es zeigt, wie weit Theorie des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan vom angeblichen Gift hoher Zinsen sich bereits ausgebreitet hatte.

An diesem Donnerstag wird die türkische Zentralbank über weitere Zinsschritte beraten. Die Sitzung ist mehr als dringlich. Es ist die vielleicht letzte Möglichkeit, den dramatischen Wertverfall der türkischen Währung zu stoppen – oder zumindest zu verlangsamen. Seit Anfang des Jahres hat die Lira zum Euro über 40 Prozent ihres Wertes verloren. Analysten sind sich einig: Nötig ist eine drastische Zinserhöhung. Die japanische Bank Nomura spricht von 550 bis 600 Basispunkten, also einer Erhöhung von 17,75 auf 23,25 Prozent.

Ob sich wirtschaftliche Vernunft noch einmal durchsetzen kann, ist fraglich. Der politische Druck auf die formal noch unabhängige Institution ist massiv gestiegen.

Erdoğan selbst hängt einer äußerst unorthodoxen Theorie an, wonach hohe Zinsen eine hohe Inflation erst verursachen würden. Seine Überzeugung – die im krassen Gegensatz zur weltweiten Zentralbank-Praxis steht – speist sich einer nischigen Wirtschaftstheorie, die auf den amerikanischen Ökonomen Irving Fisher (1867 bis 1947) zurückgeht, und der islamischen Abneigung gegen jegliche Form von Zinsen. Bis vor kurzem aber war er damit auch innerhalb seiner Partei weitgehend isoliert. Das hat sich mit der neuen Präsidialverfassung und der erweiterten Machtfülle des Staatsoberhauptes geändert.

Jahrelang funktionierte der Pakt zwischen Wirtschaft und Politik in der Türkei gut. Erdoğan gelang es mit seinem unfehlbaren Instinkt für die Mehrheit der Wähler, ein stabiles politisches Umfeld zu schaffen. Währenddessen überließ der die Wirtschaftspolitik Leuten, die ganz und gar nicht islamisch-wertkonservativ, sondern liberal geprägt waren. Doch von ihnen ist keiner mehr übrig. Das letzte Aushängeschild ökonomischer Vernunft hieß Mehmet Simsek. Im neuen Kabinett wurde er ausgerechnet durch Erdoğans Schwiegersohn, Berat Albayrak ersetzt. Simsek soll sich mittlerweile nach London abgesetzt haben.

Am Mittwochmorgen überraschte der Präsident mit der Nachricht, er habe das gesamte Management des Nationalfonds gefeuert und selbst den Vorsitz übernommen. Der „Türkiye Wealth Funds“ (TWF) wurde 2017 gegründet, um Staatsunternehmen leichter mit Krediten zu versorgen. In ihm gebündelt sind neben Energieunternehmen Anteile der Ziraat Bank, der Halkbank, und 49,1 Prozentder Fluggesellschaft Turkish Airlines.

Auch seinen Einfluss auf die Zentralbank dehnt der Präsident mit neuer Machtfülle aus. Am 30. August kündigte Erkan Kilimci seinen Posten als stellvertretender Zentralbank-Gouverneur. Die Gründe sind bis heute unklar. Ihn ersetzt Uğur Namık Küçük – eine direkte Wahl Erdoğans.

Zur Vernunft bringen könnte Erdoğan und die Zentralbankakteure die sich immer weiter zu spitzende Lage in der Realwirtschaft. 55 Prozent aller Unternehmensschulden sind in Dollar und Euro – das sind 220 Milliarden US-Dollar. Vor allem Unternehmen mit kurzfristigen Verbindlichkeiten bringt der Währungsverfall in große Probleme. Da deren Schuldendienst steigt, sinkt die Profitabilität. Für besonders krisenanfällig hält die Ratingagentur Moody’s die Konzerne Doğus und Yaşar.

Aber auch Unternehmen wie Turkish Airlines, Coca Cola und Turkcell sind aufgrund ihrer hohen Fremdwährungskredite gefährdet.

Bisher konnten die meisten Unternehmen den gestiegenen Kostendruck an die türkischen Verbraucher weitergeben – das aber drückt den Konsum, und erhöht die Inflation. Die lag zuletzt bei 17,9 Prozent. Für das kommende Jahr erwarten die meisten Analysten einen Einbruch des Wirtschaftswachstums von 7,4 Prozent auf ein Prozent.

Die Türkei und der „totale Krieg gegen die Inflation“

Auch der neue Finanzminister und Schwiegersohn des Präsidenten scheint die Dringlichkeit der Situation bewusst. In einer Rede am vergangenen Montag sprach er davon, einen „totalen Krieg gegen die Inflation“ führen zu wollen. Zinssenkungen aber kamen in der Rede nicht vor. Und so dürfte die Zentralbank aller Wahrscheinlichkeit einen Mittelweg einschlagen, sprich die Zinsen etwas erhöhen. Bei Nomura rechnet man mit einer Anhebung des Leitzinses von 2 oder 2,25 Prozent. Das dürfte weder genug sein, um die Inflation einzudämmen noch um den Lira-Kurs zu stabilisieren.

Absurderweise dürfte sich der Präsident dann ausgerechnet in seiner Theorie bestätigt fühlen, nämlich, dass hohe Zinsen zu nichts führen. Dass sie in dieser Situation nicht das Allheilmittel sind, zeigt ihm wahrscheinlich auch ein anderes Beispiel.

Die türkische Krise ist nur zum Teil hausgemacht, eine ganze Reihe von Schwellenländern leidet gerade unter massiven Kapitalabflüssen. In Argentinien verlor der Peso im August rund 40 Prozent seines Wertes – trotz einer Leitzinserhöhung auf 60 Prozent.

Um das Lira-Problem zu lösen, sind neben einer Zinserhöhung eben noch andere Schritte notwendig, um das Vertrauen internationaler Investoren wiederherzustellen. Rechtsstaatlichkeit und die Einhaltung von Menschenrechten zum Beispiel.

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