In Peking schaut man seit Tagen ganz genau auf Ursula von der Leyen. Die chinesische Führung musste zur Kenntnis nehmen, dass die Chefin der EU-Kommission kurz vor ihrer gemeinsamen China-Reise mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einen besonders harten Ton angeschlagen hat.
In einer Grundsatzrede forderte sie am Donnerstag, die EU müsse ihre Beziehungen zu China neu ausrichten, um auf die zunehmend aggressive Wirtschaftspolitik der Volksrepublik zu reagieren. „Unsere Beziehungen sind unausgewogen und werden zunehmend von Verzerrungen beeinflusst, die durch Chinas staatskapitalistisches System verursacht werden“, sagte von der Leyen. „Daher müssen wir diese Beziehungen auf der Grundlage von Transparenz, Berechenbarkeit und Gegenseitigkeit neu austarieren.“
Die EU müsse unabhängiger werden. Entscheidend für die künftigen Beziehungen werde sein, wie sich Peking zu Putins Krieg gegen die Ukraine positioniere. Auch Chinas Umgang mit internationalen Menschenrechtsverpflichtungen sei ein Kriterium für die weitere Zusammenarbeit.
So kurz vor dieser wichtigen Reise hätte sich China sicherlich versöhnlichere Töne aus Brüssel gewünscht. Man kann sicher sein, dass Peking auf die gleichen Worte eines US-Politikers mit Empörung reagiert hätte. Kritik an der Rede der Präsidentin der EU-Kommission gab es dann jedoch kaum.
Vielmehr wurde die EU in den chinesischen Staatsmedien als Opfer dargestellt. Die USA würden die Europäer dazu drängen, sich von China zu distanzieren, kommentierte etwa die nationalistische Staatszeitung Global Times. „Die Krise in der Ukraine hat die strategische Abhängigkeit der EU von den USA verstärkt“, so das Blatt.
Peking hat zwar kaum noch Hoffnung auf eine Stabilisierung der Beziehungen zu den Amerikanern. Aber Europa hat es noch nicht aufgegeben. Am liebsten würde man immer noch das Investitionsabkommen mit der EU unterzeichnen, dessen Ratifizierung wegen des Streits um die Menschenrechtslage in der chinesischen Region Xinjiang und gegenseitig verhängter Sanktionen auf Eis liegt. In der chinesischen Propaganda ist zwar oft vom „Westen“ die Rede. In der Praxis unterscheidet Peking jedoch stark zwischen den USA auf der einen und Europa auf der anderen Seite.
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Das wurde auch auf der Jahrestagung des Volkskongresses in Peking im März deutlich. Sowohl Präsident Xi Jinping als auch sein Außenminister Qin Gang schossen sich auf dem wichtigsten politischen Treffen des Jahres vor allem auf die USA ein. Ganz andere Töne in Richtung EU: „Wir hoffen, dass Europa, das unter dem Krieg in der Ukraine gelitten hat, aus seinem Schmerz lernt und echte strategische Autonomie und langfristige Stabilität erreicht“, sagte Qin.
China wolle mit den Europäern zusammenarbeiten, „um an echtem Multilateralismus, gegenseitigem Respekt und Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen festzuhalten“. Die Stärkung der Partnerschaft zwischen China und der EU könne der Welt mehr Stabilität, Sicherheit und positive Energie bringen.
Allein mit dem Programm der China-Reise von Macron und von der Leyen sendet Peking ein Signal. Drei Tage sind für den Besuch angesetzt. So viel Zeit nahm sich Staats- und Parteichef Xi Jinping kürzlich auch für seine Reise nach Moskau zu Putin. Macron, von der Leyen und Xi treffen sich am Donnerstag. Bereits am Vorabend soll es nach Angaben des Élysée-Palastes ein Abendessen mit den beiden Europäern geben.
Macron wird dann am Donnerstag auch mit Premierminister Li Qiang und dem Präsidenten des Nationalen Volkskongresses, Zhao Leji, zusammentreffen. Anschließend wird er in die Provinz Guangdong weiterreisen. Der französische Staatschef wird auf seiner Reise von einer rund 50-köpfigen Wirtschaftsdelegation begleitet. Mit dabei ist etwa Airbus-Chef Guillaume Faury. Airbus hat in den vergangenen Jahren davon profitiert, dass die Chinesen weniger beim US-Konzern Boeing bestellt haben. Peking wird nicht nur Macron und von der Leyen, sondern auch europäischen Unternehmen den roten Teppich ausrollen. Während lukrative Geschäftsabschlüsse wahrscheinlich sind, sind Fortschritte im Ukraine-Konflikt kaum zu erwarten.
Xis Russlandreise liegt bereits zwei Wochen zurück. Und anders als im Vorfeld spekuliert wurde, hat er danach nicht zum Telefonhörer gegriffen und den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj angerufen. Eine Partei, die ein ernsthaftes Interesse an einer Vermittlerrolle hätte, würde anders handeln. Das wissen auch von der Leyen und Macron.
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