
WirtschaftsWoche: Drei Wochen hat die Bundesregierung mit sich gerungen. Nun hat sie Waffenlieferungen an die Kurden im Irak beschlossen. Wie bewerten Sie die deutsche Strategie?
Markus Kaim: Es gibt leider keine Strategie, die ich bewerten kann. Für gewöhnlich muss eine Bundesregierung klare strategische Ziele und Erfolgskriterien benennen, wenn sie Soldaten entsendet. Hier geht es zwar nicht um Soldaten, sondern um Waffen. Dennoch frage ich mich, was die politischen und militärischen Ziele sind, die Deutschland erreichen will. Bislang hat die Bundesregierung darauf keine Antwort gefunden.
Frau von der Leyen will die Peschmerga in die Lage versetzen, ihre Positionen halten zu können.
Dann geht es der Verteidigungsministerin offenbar darum, ein militärisches Patt zu erreichen. Das kann politisch aber kein dauerhaftes Ziel sein. Wenn ISIS als militärische und politische Kraft ausgeschaltet werden soll, sprechen wir ja nicht nur vom Irak, sondern auch von Syrien. Dann bedarf es einer umfassenden internationalen Strategie für den Irak und für Syrien.

Werden die Waffenlieferungen Deutschlands und anderer Staaten denn die Wende im Kampf gegen ISIS bringen?
Das kann im Moment niemand sagen. Militäreinsätze oder Waffenlieferungen sind aber völlig sinnlos, wenn sie nicht mit einer politischen Initiative einhergehen. Das hat uns der Kosovokrieg im Jahr 1999 gezeigt. Damals wurden serbische Stellungen bombardiert und gleichzeitig ein politisches Verhandlungsangebot unterbreitet. Eine politische Strategie erkenne ich im Falle des Nordirak aber noch weniger als eine militärische.
Die Luftschläge der USA laufen nun schon einige Wochen. Wie erfolgreich sind die überhaupt?
Sie sind zumindest sehr schmerzhaft für ISIS. Die Amerikaner haben humanitäre Korridore eröffnet und konnten ISIS partiell zurückdrängen. Das Problem ist nur: Bei ISIS handelt es sich nicht mehr um Guerilla-Truppen, die in Zelten in der Wüste leben. Sie kontrollieren urbane Ballungszentren und Städte wie Falludscha und Mossul. Solche Städte können Sie nicht bombardieren. Die zivilen Verluste wären verheerend. Wer ISIS auf Dauer besiegen will, kommt um Bodentruppen nicht herum.
Diese Waffen liefert Deutschland in den Nordirak
Das G3 kann Ziele in bis zu 300 Metern Entfernung treffen, mit Zielfernrohr reicht es bis zu 600 Meter weit. Der automatische Rückstoßlader wird von allen Truppenteilen des Heeres genutzt.
Das G6 soll nach Angaben der Bundeswehr „überraschend auftauchende Ziele reaktionsschnell“ bekämpfen. Es zeichne sich durch seine einfache Bauweise aus, heißt es.
Das MG3 gilt als „schwere Waffe“ und wird unter anderem zur Abwehr gegnerischer Flugzeuge eingesetzt. Es kommt auch an Bord von Kampfpanzern oder Hubschraubern zum Einsatz.
Die P1 dient „zur Selbstverteidigung im Nahkampf“ und wird vor allem von Sanitäts- und Führungspersonal genutzt. Mittlerweile wurde sie in vielen Bereichen vom Modell P8 abgelöst.
Die tragbare Panzerabwehrwaffe "Milan" kann gepanzerte Fahrzeuge in einer Entfernung von 300 Metern bis zu fast zwei Kilometern zerstören. Der mit einem Gefechtskopf bestückte Flugkörper durchschlägt bis zu 70 Zentimeter dicken Panzerstahl.
Die Panzerfaust 3 zerstört leicht gepanzerte Fahrzeuge oder Bunker. Die Waffe kann aus geschlossenen Räumen heraus abgefeuert werden und kommt auch in der Schweiz und den Niederlanden zum Einsatz.
Die schweren Panzerfäuste der Bundeswehr werden seit Mitte der 1990er Jahre nur noch für Leuchtmunition genutzt und daher auch als „Leuchtbüchsen“ bezeichnet. Sie leuchten das Gelände in einem Radius von etwa 400 Metern aus.
Signalpistolen gehören unter anderem zur Ausstattung von Gruppen- und Zugführern. Damit werden Leucht- und Signalmunition sowie Rauch- und Knallpatronen abgefeuert.
Die DM51 gibt es seit 1974 in der Bundeswehr. Sie wiegt 450 Gramm und beinhaltet rund 5700 Stahlkugeln. Ihr Wirkradius beträgt bis zu 20 Meter.
Was schlagen Sie konkret vor?
Der UN-Sicherheitsrat hat die Taten der IS bereits als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Nun muss es weitergehen: Erstens brauchen wir ein Mandat durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, also eine internationale Legitimation. Zweitens müsste man eine militärische Truppe zusammenstellen, die ISIS direkt bekämpft.
US-Präsident Barack Obama will keine Truppen schicken.
In den USA steigt der Druck auf ihn, diese Position zu überdenken. Aber auch die EU könnte einen Beitrag leisten – beispielsweise mit den „EU Battle Groups“, die genau für solche Zwecke – humanitäre Hilfe, Trennung von Konfliktparteien - geschaffen wurden. Das sind zwei Mal 1.500 Mann. Denkbar wäre auch ein Nato-Einsatz oder eine Koalition der Willigen wie in Libyen. Auch ein UN-geführter Einsatz ist möglich.
Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnt deutsche Truppen im Irak kategorisch ab. Warum werden diese Optionen nicht diskutiert?
Wegen der Erfahrungen des Westens in Afghanistan, Libyen und Irak. Die Ergebnisse früherer Militärinterventionen sind häufig bescheiden geblieben, so dass es keine Bereitschaft mehr für größere Interventionen gibt. Wer ISIS beseitigen will, hat dazu aber wohl keine Alternative.
Kann ISIS womöglich wirtschaftlich besiegt werden?
Vor einigen Monaten wäre das noch möglich gewesen. Mittlerweile exportiert ISIS aber Erdöl und hat mehrere Millionen Dollar erplündert. ISIS ist finanziell autonom.
Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass die Kurden mit deutschen Waffen einen kurdischen Staat erzwingen wollen?
Wir müssen abwarten, ob das passiert. Wir wissen, dass die Kurden einen eigenen Staat vorbereiten. Mit den Waffenlieferungen unterstützt Berlin de facto diese Bestrebungen. Das ist das komplette Gegenteil der bisherigen deutschen Außenpolitik, die an der staatlichen Einheit des Irak festhält. Wir greifen also direkt in das Machtgefüge des Nahen und Mittleren Osten ein.
Offiziell liefert Deutschland die Waffen ja an die irakische Regierung.
Korrekt, aber es gibt keine irakischen Sicherheitskräfte in den Kurdengebieten. Wie soll der Irak also den Endverbleib der Waffen sicherstellen? Oft bleiben Waffen in Gefechten ja einfach zurück oder werden erobert. Dass kann die irakische Regierung nicht kontrollieren.
Die Bundesregierung sucht erkennbar nach einer Linie, wirkt aber hilflos. Woran liegt das?
Es fällt der deutschen Außenpolitik immer noch schwer, sich als Ordnungsmacht in der europäischen Peripherie zu begreifen. Das betrifft Nordafrika, den Nahen und Mittleren Osten – mit Ausnahme Israels. Welche Rolle Deutschland als Ordnungsmacht übernehmen kann, sehen wir gerade in Osteuropa und der Ukraine. So wie sich Berlin im Konflikt zwischen Kiew und Moskau einbringt, so sollte es sich auch im Nahen und Mittleren Osten engagieren – gemeinsam mit den europäischen und amerikanischen Partnern.
Wie wird diese Debatte weitergehen in den nächsten Wochen?
Die Waffen werden nun geliefert und dann wird die Debatte schlichtweg versickern, befürchte ich. Bis zur nächsten Eskalation.