WirtschaftsWoche Online: Herr Richenhagen, Sie leben seit zwölf Jahren in den USA und sind neben Ex-Siemens-Chef Klaus Kleinfeld der einzige deutsche Vorstandschef eines Fortune-500-Unternehmens. Was unterscheidet den aktuellen Wahlkampf zwischen Hillary Clinton und Donald Trump von früheren Wahlkämpfen?
Herr Martin Richenhagen: Der derzeitige Wahlkampf findet auf unterstem rhetorischem Niveau statt. Mit Inhalten hat das nichts zu tun. Viele Wähler sind tief enttäuscht und sehr unzufrieden mit dem politischen Establishment und deshalb offen für einfache Botschaften.
Viele Deutsche wundern sich, wie Donald Trump so weit kommen konnte. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Die Mehrzahl der Deutschen versteht Amerika nicht wirklich. Im Vergleich zu Deutschland kann sich in den USA jeder geborene Amerikaner zur Wahl stellen, die Finanzierung des Wahlkampfes muss er aber ohne jede staatliche Unterstützung selbst bewerkstelligen. Eine vorgelagerte langjährige Parteikarriere wie in Deutschland ist hier nicht unbedingt nötig. Dieses System fördert Leute wie Trump.
Zur Person
Martin Richenhagen (geboren 1952 in Köln) ist ein deutsch-amerikanischer Manager und seit 2004 Chef der AGCO Corporation, dem weltweit drittgrößten Landmaschinenhersteller. Seine internationale Karriere begann er 1985 bei der Hille & Müller Gruppe in Düsseldorf, bevor er 1995 zum Aufzug- und Rolltreppenhersteller Schindler wechselte. Von 1998 bis 2002 arbeitete er als Geschäftsführer der Claas KGaA mbH, und 2003 bis 2004 als Vorstand der Forbo International SA in der Schweiz.
Wer wäre denn die bessere Alternative: Clinton oder Trump?
Ich halte beide Kandidaten für vollkommen ungeeignet. Schon allein das Alter spricht gegen sie. Clinton wäre 69, Trump sogar 70 Jahre alt, wenn sie das Präsidentenamt übernehmen würden. Für einen Top-Job in der Wirtschaft würde man keinen 70-Jährigen mehr rekrutieren. Außerdem wollen beide Kandidaten die nationale Wirtschaft gegenüber Billigimporten abschotten. Beide sind gegen Freihandel. Das ist eine Katastrophe.
Trump polarisiert. Selbst Republikaner wenden sich von dem konservativen Präsidentschaftskandidaten ab. Inwieweit würde Trump Amerika verändern?
In der Geschichte hat es immer wieder schwache Präsidenten gegeben. Amerika würde auch Donald Trump überleben und verkraften. Ein US-Präsident ist nicht allmächtig. Er kann seine Wahlversprechen nur dann umsetzen, wenn er die Mehrheiten im Kongress und im Senat hinter sich hat. Das ist nicht absehbar. Eine solche politische Patt-Situation würde den Unternehmen sogar nutzen. Der Wirtschaft geht es am besten, wenn die Politik lieber nichts statt das Falsche macht.
Welche Wahlversprechen der beiden Kandidaten sind Ihnen denn nicht geheuer?
Beide Kandidaten machen Milliardenversprechungen, die nicht finanziert werden können. Trump will die Steuern senken, Clinton die Reichen höher besteuern. In beiden Fällen würden die Einnahmen nicht ausreichen, um die angekündigten Staatsausgaben zu finanzieren. Das ist sehr populistisch.
Das heißt, Sie halten auch nichts von Hillary Clinton?
Frau Clinton ist eine erfahrene Politikerin. Es ist an der Zeit, dass Amerika eine Frau in das Spitzenamt wählt. Frau Clinton ist aber besonders bei Frauen nicht sehr beliebt. Sie hat das Problem, einem ‚Clan‘ anzugehören und gilt bei vielen Bürgern als unglaubwürdige Politikerin, die es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. Das Programm halte ich inhaltlich für wenig präzise, kaum nachhaltig und Steuererhöhungen bei den bereits extrem hohen Belastungen hier in den USA für völlig unangebracht.
Trump will die Unternehmenssteuern von 35 auf 15 Prozent senken. Wäre das in Ihrem Sinne?
In den Achtzigerjahren waren die USA mal Niedrigsteuerparadies. Inzwischen sind die Unternehmenssteuern mit über 50 Prozent höher als in Deutschland. Die USA haben eine sehr altmodische Steuerpolitik. Gewinne im Ausland müssen hier zusätzlich versteuert werden. Das trifft uns als Landwirtschaftskonzern, der 80 Prozent seines Umsatzes im Ausland macht, besonders. Wir müssen Steuern zahlen statt zu investieren oder Dividenden zu zahlen. Steuererleichterungen sind also dringend erforderlich. Bevor ein Präsident aber darüber nachdenken kann, muss er die strukturellen Probleme des Landes lösen. Die Administration ist völlig aufgebläht. Unter Obama sind Tausende Jobs im Öffentlichen Dienst entstanden. Der Wasserkopf verschlingt zu viel Geld.
"Trump ist kein Mann der Wirtschaft"
Donald Trump präsentiert sich gerne als erfolgreicher Geschäftsmann. Sehen das Ihre Manager-Kollegen auch so?
Trump ist kein Mann der Wirtschaft. Er ist Immobilienmanager, aber er wird nicht als erfolgreicher Manager wahrgenommen. Viele Kollegen hatten gehofft, dass Jeb Bush Kandidat der Republikaner werden würde. Dass Trump gewonnen hat, hat sie überrascht und enttäuscht. Aber nervös ist deshalb keiner.
Hat Trump denn überhaupt Unterstützer in der Wirtschaft?
Nur wenige Manager positionieren sich für Trump. Und wenn, dann klingt ihre Argumentation wenig überzeugend. Sie sagen: ‚Wir müssen doch verhindern, dass die Demokraten nochmal vier Jahre weiter regieren‘. Sie sprechen dann von ABC: ‚Anything but Clinton.‘ Es gibt also eine große Zurückhaltung, sich mit Trump zu identifizieren.
Was haben acht Jahre Obama mit dem Land gemacht?
Die Spaltung der Gesellschaft hat zugenommen. Außerdem haben die Amerikaner im internationalen Vergleich politisch, militärisch und besonders wirtschaftlich an Bedeutung verloren. Aber Amerika ist ehrgeizig und möchte zukünftig wieder an die Spitze. Den Amerikanern ist daher zuzutrauen, dass sie die unter der Oberfläche schwelenden Konflikte wie Rassismus, soziale Spannungen, Waffenbesitz, die Rolle der Polizei und den Verfall der Infrastruktur offen diskutieren und anpacken werden.
US-Präsident Obama hat Sie in den Afrika-Beraterstab berufen. Welchen persönlichen Eindruck haben sie von ihm gewonnen?
Barack Obama ist ein sympathischer Mensch. Aber er hat die wichtigen Wirtschaftsfragen wie die Steuerreform, Deregulierung, Handelsvereinbarungen, Infrastruktur, und digitale Vernetzung nicht angepackt. Außerdem hat er sich kaum für Außenpolitik interessiert - und wenn, dann mehr für Asien als für Europa.
Also war Obama ein schwacher Präsident?
Er ist vor acht Jahren mit ehrgeizigen Zielen gestartet, aber die meisten Probleme hat er nicht gelöst. Es wollte ihm auch keiner wirklich helfen. Die weißen konservativen Amerikaner hatten kein Interesse, mit ihm zu kooperieren. Normalerweise scharren sich nach der Wahl alle Parteimitglieder hinter den neuen Präsidenten. Obama wirkte hingegen von Anfang an ziemlich isoliert. Man sagt, er sei mehr auf dem Golfplatz als im Weißen Haus. Er ist kein super Netzwerker.
Wird die nächste Wahl im November die Außenpolitik verändern?
Die Amerikaner haben das Interesse verloren, ihre Kinder, viel Geld und Zeit in der Rolle als ‚Weltpolizisten‘ zu verlieren. Die Amerikaner wollen nicht mehr, dass die USA die Kosten der NATO tragen. Der nächste Präsident wird deshalb die Verbündeten zu höheren Leistungen drängen. Das bietet auch die Chance für einen wesentlich breiteren Konsens und einen soliden Ansatz zum Ausbau der NATO.
Sie sind Chef des Landwirtschaftskonzerns AGCO, zu dem auch der deutsche Traktorhersteller Fendt gehört. Sehen Sie negative Folgen für Ihre Industrie, sollte Trump oder Clinton gewinnen?
Unsere Industrie ist ein Jahrzehnt lang von einem Rekordjahr zum anderen gesprungen, erlebt aber derzeit eine Durststrecke. Wegen der niedrigen Getreidepreise halten sich die Farmer bei Investitionen zurück. Amerikanische Landwirte bekommen keine Subventionen wie in Europa. Sie profitieren aber davon, dass bis zu 20 Prozent Bio-Ethanol dem Benzin beigemischt werden kann. Ich gehe davon aus, dass beide Kandidaten daran nichts ändern werden. Beide haben sich für eine unabhängige amerikanische Energiepolitik ausgesprochen.
Erwarten Sie negative Folgen für deutsche Unternehmen?
Deutsche Unternehmen würden leiden, wenn die Handelsabkommen nicht wie geplant auf den Weg gebracht werden. Auch höhere Importzölle, wie Trump sie angekündigt hat, würden deutsche Unternehmen treffen, die nicht in den USA produzieren. Das gilt vor allem für den Mittelstand, aber auch für große Autokonzerne, die zwar teilweise in den USA produzieren, aber zum Beispiel Stahl importieren.
Sie haben seit 2011 neben dem deutschen auch den amerikanischen Pass. Ist Georgia für Sie zur Heimat geworden?
Georgia ist unsere neue Heimat. Wir fühlen uns bei den sehr freundlichen und positiv gestimmten Südstaatlern in „booming Atlanta“ super wohl. Aber ich bin in Köln geboren und habe den Dom immer fest im Blick.
Wen wählen Sie am 8. November?
Ich wähle in Deutschland eher wertkonservativ. Wen ich am 8. November in den USA wähle, weiß ich noch nicht.