Massenproteste in Hongkong Chinas Angst vor dem demokratischen Funken

Der Beschluss gegen demokratische Wahlen in Hongkong 2017 hat tausend Menschen auf die Straße getrieben. Für die chinesische Regierung ist die Situation brisant. Denn die politische Zukunft Chinas steht auf dem Spiel.

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Tausende demonstrieren in Hongkong für mehr Demokratie. Notfalls wollen sie Wochen ausharren. Quelle: REUTERS

Seit Ende September gehen zehntausend Menschen in Hongkong auf die Straße, um für mehr Demokratie in der ehemaligen Kronkolonie zu demonstrieren. Dabei geht es nicht nur um die Wahlen 2017, sondern um das grundsätzliche Verhältnis zwischen der Sonderwirtschaftszone und der Zentralregierung. Die Demonstranten haben angekündigt, den Druck zu erhöhen und notfalls Wochen auszuharren. Die chinesische Regierung hat sich offiziell bisher nicht geäußert, aber indirekt verlauten lassen, dass sie notfalls mit Gewalt antworten wird. Doch worum geht es in dem Konflikt und warum reagiert China so kompromisslos?

Berühmte chinesische Regimekritiker

Was fordern die Menschen in Hongkong?

Der Auslöser für die aktuellen Proteste ist ein Beschluss des nationalen Volkskongresses im August. Darin hat Peking festgelegt, dass ein 1200-köpfiges Komitee die Kandidaten für die Wahl des Regierungschefs 2017 in Hongkong vorauswählen soll. Die drei Kandidaten, die anschließend von den Bürgern der ehemaligen Kronkolonie gewählt werden können, müssen also vorher mit einer Mehrheit durch den Volkskongress bestimmt werden und China gegenüber loyal sein. So kann die Volksrepublik ihren Einfluss erhöhen.

Die Demonstranten in Hongkong fordern die sofortige Rücknahme des Beschlusses, sowie weitere demokratische Reformen. Außerdem verlangen sie den Rücktritt des Hongkonger Regierungschefs Leung Chun Ying, den sie als eine Marionette der Zentralregierung sehen. Er hatte am späten Donnerstagabend einen Rücktritt abgelehnt. Seine Stellvertreterin soll aber mit den Demonstranten einen Dialog suchen.

Wovor fürchtet sich China?

Die Demonstranten stellen die Systemfrage. Das Modell „Ein Land, zwei System“, nach dem Hongkong 1997 sein wirtschaftliches und demokratisches System behalten durfte, wäre im Fall einer Demokratisierung gescheitert – und das hätte eine Signalwirkung für andere Gebiete des Landes. Menschen in Taiwan und Tibet schauen im Moment gebannt nach Hongkong – und würden mögliche Zugeständnisse auch für ihre Regionen einfordern.

Das macht die Situation so gefährlich, denn die Volksrepublik wird ihre territoriale Einheit und den alleinigen Machtanspruch kompromisslos verteidigen. Dass sie dazu bereit ist, hat sie bereits 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens gezeigt. Dieser Anspruch wird aber auch heute noch in Tibet und Xinjiang deutlich, wo die chinesische Regierung jegliche Widerstände gewaltsam unterdrückt.

Bislang gibt es keine offizielle Stellungnahme der Regierung. Allerdings schrieb die Zeitung „People Daily“, die als Sprachrohr der Kommunistischen Partei Chinas gilt: "Eine Handvoll Leute haben es sich in den Kopf gesetzt, gegen Gesetze zu verstoßen und Ärger heraufzubeschwören. Sie werden möglicherweise die Konsequenzen ihres Handelns zu tragen haben."

Wird der Funke auf Festlandchina überspringen?

In China gibt es im Moment keine politische Organisation oder Bewegung, die kurzfristig viele Menschen mobilisieren kann. Lediglich Splittergruppen und kleine Organisationen könnten sich durch die Demonstrationen in Hongkong bestätigt fühlen und eigene Proteste initiieren.

Allerdings, so berichten Menschenrechtsgruppen, wurden mehrere Unterstützer der Hongkonger Proteste vorrübergehend in Polizeigewahrsam genommen. Deshalb ist auch die Berichterstattung über die Kundgebungen sehr beschränkt: In den Online-Netzwerken verhindert die staatliche Zensur Schilderungen der Ereignisse. Experten berichten von Hackerangriffen mit Schadsoftware aus China auf Handys der Demonstranten.

Wie groß ist der Einfluss Chinas in Hongkong?

Das Gebiet ist seit 1997 eine Sonderwirtschaftszone und ein autonomes Zoll- und Steuergebiet mit eigener Währung.

Die Internetzensur ist bisher nicht so stark wie in Festlandchina. Trotzdem hat Peking seit 1997 ein umfassendes Informations- und Überwachungssystem in Hongkong aufgebaut. Es soll sich laut Sebastian Heilmann, Direktor des Mercator-Instituts in Berlin, auf eine große Zahl von Agenten, Informanten und Spezialeinsatzkräften in Zivil stützen können, die außerhalb Hongkongs stationiert sind.

„Diese verdeckt operierenden Kräfte werden versuchen, die Demonstrationsbewegung durch Agents provocateurs zu infiltrieren, zu spalten und durch gewaltsame Aktionen zu diskreditieren“, sagt er. Eine solche verdeckte Konfliktführung hat für die Zentralregierung den Vorteil, dass sie dafür nur schwer verantwortlich gemacht werden kann.

Hier hat sich die Pressefreiheit verschlechtert
Mali (Rang 99, minus 74)Kein anderes Land ist im Ranking zur Pressefreiheit der Reporter ohne Grenzen so stark abgestürzt wie Mali, das viele Jahre einer der Vorreiter der Pressefreiheit in Afrika war. Nach dem Militärputsch im März sowie der Machtübernahme im Norden durch Tuareg und Islamisten mussten viele Radiosender im Rebellengebiet ihren Betrieb einstellen. Auch in der Hauptstadt seien Zensur und gewaltsame Übergriffe auf Journalisten an der Tagesordnung, so Reporter ohne Grenzen. Quelle: dpa
Tansania (Rang 70, minus 36)In dem ostafrikanischen Staat sind im vergangenen Jahr mindestens zwei Reporter ums Leben gekommen. Ein Journalist wurde bei einer Demonstration getötet, ein anderer Berichterstatter wurde tot aufgefunden. Die Polizei geht auch hier von einem Gewaltverbrechen aus. Quelle: dpa
Japan (Rang 53, minus 31)Japan rutschte vor allem wegen seiner restriktiven Informationspolitik im Gefolge der Atomkatastrophe von Fukushima 2011 um 31 Plätze ab und rangiert nur noch auf Platz 53. Zudem versuchte der Staat direkt in die Berichterstattung der Medien einzugreifen, freie Journalisten wurden von der Polizei eingeschüchtert. Quelle: dpa
Griechenland (Rang 84, minus 14)In Griechenland leiden immer mehr Reporter unter der Schuldenkrise. Sie bekommen den Frust der Bürger zu spüren und werden immer häufiger von extremistischen Gruppen oder der Polizei angegriffen.  Die Kollegen arbeiten in einem "desaströsen Umfeld", so Reporter ohne Grenzen. Quelle: REUTERS
Ungarn (Rang 56, minus 16)Verschlechtert hat sich die Situation auch in Ungarn, wo seit den umstrittenen Mediengesetzen Selbstzensur in den Redaktionen weit verbreitet ist. Die nationalkonservative Regierung kontrolliert den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, während das linksliberale Klubradio seit mehr als einem Jahr um den Erhalt seiner Sendelizenz kämpft. Quelle: REUTERS
Russland (Platz 148, minus 6)Die Staatsspitze behinderte die Berichterstattung über Großdemonstrationen gegen die umstrittene Wiederwahl Wladimir Putins. In überraschender Eile wurde im Sommer die  Gesetzgebung zur Verleumdung verschärft, die erst kurz zuvor liberalisiert worden waren. Seit September 2012 existiert eine "Schwarze Liste" blockierter Internetseiten, die Kinder vor Pornografie oder anderen schädlichen Inhalten schützen und "Hochverrat" verhindern soll. Aber: Die Überwachung des Internets sei in hohem Maße intransparent, da eine kleine Expertengruppe darüber entscheidet, welche Seiten blockiert werden, kritisieren die Reporter ohne Grenzen. Quelle: AP
Türkei (Platz 154, minus 6)In der Türkei saßen seit dem Ende des Militärregimes 1983 nie so viele Journalisten im Gefängnis wie heute. Vielen werden Straftaten nach dem umstrittenen Antiterrorgesetz zur Last gelegt. Oft erhalten weder Angehörige noch Anwälte Informationen über die Anklage und Zugang zu den Akten. Weil sie Gefangene übermäßig lange in Untersuchungshaft hält, wurde die Türkei wiederholt international kritisiert. Eine Reform des Antiterrorgesetzes im Juli 2012 brachte jedoch nur geringfügige Verbesserungen. Quelle: AP

Was würde bei einem militärischen Eingriff passieren?

Hongkong ist schon einigen Jahren nicht mehr der wichtigste Wirtschaftsstandort in China. Shanghai hat mittlerweile einen vergleichbaren Finanzmarkt, andere Städte vergleichbar große Häfen. „In wirtschaftlicher Hinsicht wäre ein militärisches Eingreifen in Hongkong mit den damit verbundenen wirtschaftlichen Rückschlägen für China verkraftbar“, sagt Sebastian Heilmann.

Sollten die Polizeikräfte aus Hongkong die Demonstrationen nicht in den Griff bekommen, könnte China also mit eigenen Truppen eingreifen. Dies gilt allerdings als letzter Schritt, da China mit weltweiten Protest und Sanktionen rechnen müsste.

Was kann das Ausland tun?

Die Sonderverwaltungszone Hongkong ist durch die „Gemeinsame Erklärung“ des Vereinigten Königreichs und der Volksrepublik China, die bei den Vereinten Nationen hinterlegt ist, völkerrechtlich geschützt. Der Schutz der Sonderrechte und Sonderbedingungen kann von Großbritannien eingefordert werden. Die Einforderung wäre allerdings schwierig. Die Zentralregierung verbietet sich eine Einmischung in innerchinesische Angelegenheiten. Sie besteht auf seine Souveränität in Hongkong. Diese ist völkerrechtlich auch nicht anzuzweifeln.

Wie ist die aktuelle Situation in Hongkong?

Nach Ausschreitungen am Wochenende blieb es in den vergangenen Tagen weitestgehend ruhig. Hunderte Demonstranten versammelten sich zu Nachtwachen, bei der sie ihre erleuchteten Handys in der Luft schwenkten und mit Gesängen ihren politischen Forderungen Ausdruck verliehen: „Hongkong beugt sich nicht! Ich liebe und verteidige meine Stadt!“ Oder: „Hört Ihr die Bürger singen? Bloß nicht aufgeben! Wir wollen echte Wahlen!“ Und: Kein Tränengas, wir können alleine weinen“ – stehen auf Spruchbändern, teils auf Englisch, teils auf Chinesisch.

In einigen Bezirken der Stadt blieben die Schulen aus Sicherheitsgründen geschlossen. Mittwoch und Donnerstag waren Feiertage, so dass die Menschen sowieso nicht zur Arbeit oder Schule mussten. Auf Dutzenden Busrouten wurde der Betrieb eingestellt, die Eingänge einiger U-Bahnschächte waren versperrt. Das große Feuerwerk zum Nationalfeiertag am Hafen wurde abgesagt.

Zu Beginn der Demonstrationen am Wochenende waren Sicherheitskräfte massiv mit Pfefferspray gegen die Protestierenden vorgegangen. Da sie sich mit Regenschirmen vor dem Reizgas schützten, sprechen einige bereits von der "Regenschirm"-Revolution.

Wer sind die wichtigsten Akteure des Protestes?

Die wichtigste Gruppe ist Occupy Central. Sie ist keine Organisation, sondern eine Bewegung, die mehr direkte Demokratie in Hongkong fordert. Die Initiatoren sind Benny Tai und Chan Kin-man, beides Professoren, sowie der Pfarrer Yiu-ming.

Eigentlich sollten die Demonstrationen der Bewegung erst am 1. Oktober, am 65. Gründungstag der VR China, beginnen. Doch durch den Streik der Studenten hat Occupy Central ihr Programm vorgezogen. Die Idee der Bewegung ist ein gewaltloser Protest. Durch die Besetzung des Regierungs- und Finanzdistrikts soll die Regierung unter Druck gesetzt werden.

Laut einer Studie der Chinesischen Universität in Hongkong 2014 unterstützt jeder Dritte die demokratische Bewegung in Hongkong.

Wichtig sind auch die Studenten Hongkongs. Sie haben durch ihren Streik, in den sie am 22. September eingetreten sind, die Massendemonstrationen in Gang gebracht. Die Studenten sind fest entschlossen, gut organisiert und über das Internet vernetzt. Die Universitäten haben angekündigt, keine Sanktionen gegen Studenten zu verhängen, die wegen der Demonstrationen fehlen.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Demonstranten haben der chinesischen Regierung ein Ultimatum gestellt: Die Wahlreform soll zurückgenommen werden, ansonsten steigern wir unsere Aktionen, wenn Chun-Ying Leung nicht zurücktritt", sagte der Studenten-Anführer Lester Shum. "Wir werden weitere Einrichtungen und Büros der Regierung besetzen", kündigte Shum an.

Es ist allerdings sehr unwahrscheinlich, dass Peking den Beschluss zurücknimmt - eher ist von einer Verschärfung des Konflikts auszugehen. Hongkong muss sich möglicherweise auf wochenlange Massenproteste einstellen, die bislang sehr friedlich verlaufen: Denn die überwiegende Zahl der Demonstranten hielt sich an die Appelle der Anführer der Protestbewegung, das feierliche Hissen der Landesflagge am Mittwoch, am chinesischen Nationalfeiertag, nicht durch laute Aktionen zu stören.

Ein möglicher Weg in den kommenden Wochen wäre die Entsendung eines hochrangigen Sonderbeauftragten der Zentralregierung nach Hongkong um Verhandlungen mit der Hongkonger Verwaltung und Vertretern der Demonstranten zu führen. Solche Verhandlungen hat es bereits auf Provinz- und Großstadtebene gegeben. „Ein gangbarer Kompromiss könnte darin bestehen, dass Peking die Hongkonger Bevölkerung Kandidaten für das Amt des Verwaltungschefs direkt wählen lässt“, sagt Sebastian Heilmann, Direktor des Mercator-Instituts in Berlin. Die Wahl des Verwaltungschefs würde dann aus Pekinger Sicht von einem kontrollierbaren Nominierungsausschuss vorgenommen werden müssen. „Peking wird in keinem Falle die Nominierung und Einsetzung eines KP-kritischen Hongkonger Verwaltungschefs dulden.“

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