Massenproteste und Zittern vor Peking Hongkongs Geschäftswelt verlagert Vermögen ins Ausland

Hongkong erlebt derzeit die größten Proteste seit Jahrzehnten. Auch die Unternehmerelite der Stadt ist besorgt. Quelle: REUTERS

Wegen eines umstrittenen Auslieferungsgesetzes an China erlebt Hongkong die größten Proteste seit Jahrzehnten. Neben ganz normalen Bürgern ist dieses Mal auch die Unternehmerelite der Stadt besorgt – und trifft Vorsorge.

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Internationale Banken in Hongkong beobachten das Phänomen seit Tagen: Wohlhabenden Kunden und alteingesessene Unternehmer haben vor dem Hintergrund der anhaltenden Proteste damit begonnen, Teile ihres Vermögens aus dem asiatischen Finanzzentrum abzuziehen. „Die große Wanderung hat begonnen“, sagt ein Hongkonger Privatbanker: „Einige unserer Kunden fühlen ein Unwohlsein bei den derzeitigen politischen Rahmenbedingungen.“

Mal sind es laut Finanzkrisen einige Hunderttausend Dollar, die vornehmlich nach Singapur verschoben werden. Manchmal sind die Summen aber auch deutlich größer. In einem Fall, der in diesen Tagen in Hongkong die Runde macht, habe ein bekannter Tycoon Mitte Juni gleich 100 Millionen Dollar auf einen Schlag transferiert. Tara Joseph, Chefin der amerikanischen Handelskammer in Hongkong, bestätigt, dass Unternehmen in den vergangenen Wochen damit begonnen hätten, Geld „in größeren Mengen“ aus der Stadt zu bringen.

Hongkongs Unternehmerelite ist aus dem gleichen Grund nervös, aus dem ganz normale Bürger in der chinesischen Sonderverwaltungszone derzeit in Massen auf die Straße gehen: Das umstrittene Auslieferungsgesetz an China, das im allerletzten Moment nur wegen des starken Widerstands in der Bevölkerung vorerst wieder auf Eis gelegt wurde.

Der Versuch von Regierungschefin Carrie Lam, das kontroverse Gesetz schnell von der Peking-treuen Mehrheit im Legislativrat billigen zu lassen, hatte in den vergangenen Wochen die größten Demonstrationen in Hongkong seit drei Jahrzehnten ausgelöst. Nur nach dem Pekinger Tiananmen-Massaker 1989 waren in Hongkong noch mehr Menschen auf die Straße gegangen. Am Sonntag vor einer Woche zählten die Organisatoren bis zu zwei Millionen Protestler - das wäre gut ein Viertel der sieben Millionen Einwohner zählenden chinesischen Sonderverwaltungsregion.

Wegen der Massenproteste hatte sich Lam für die Kontroverse über das Gesetz entschuldigt. Es habe Unzulänglichkeiten in der Arbeit ihrer Regierung gegeben. Die Regierungschefin zog das Gesetz zwar nicht wie von den Gegnern gefordert komplett zurück. Doch betonte sie, dass es keine Pläne gebe, die Beratungen wieder aufzunehmen, so dass der Entwurf im Juli 2020 auslaufen werde. Glauben wollen ihr das viele Protestler jedoch nicht.

Eigentlich wird die frühere britische Kronkolonie seit der Rückgabe 1997 an China nach dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“ als eigenes Territorium autonom regiert. Anders als die Menschen in der Volksrepublik haben Hongkonger nach dem Grundgesetz der chinesischen Sonderverwaltungsregion das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie Presse- und Versammlungsfreiheit.

Auch genießt Hongkong dank seines Sonderstatus einen Ruf als ein internationales Finanz- und Handelszentrum vor Chinas Haustür, das durch das bereits von den britischen Kolonialherren geschaffene Rechtssystem vor seiner autokratischen Regierung geschützt ist. Die Gerichte sind unabhängig, was den Unternehmen Investitionssicherheit gibt. Ein Auslieferungsgesetz würde es jedoch ermöglichen, in China verdächtigte Personen auf das kommunistische Festland zu schicken, obwohl die chinesische Justiz nicht unabhängig ist und auch politischer Verfolgung dient. Selbst Unternehmer oder Geschäftsleute, die in Hongkong nur einen Zwischenstopp machen, könnten unter den geplanten Regeln an China ausgeliefert werden.

Deutlicher Warnschuss

„Die Nervosität unter Geschäftsleuten ist derzeit groß“, sagt ein deutscher Manager, der seit über 30 Jahren in Hongkong lebt. Allein der Versuch, das Auslieferungsgesetz durchzudrücken, sei als deutlicher Warnschuss verstanden worden, dass Peking dabei ist, seinen Einfluss auf die Stadt immer weiter auszuweiten.

Dabei waren Hongkongs schwerreiche Unternehmer bislang nicht dafür bekannt, dass sie der kommunistischen Führung widersprechen. Im Gegenteil: Sie haben als finanzkräftige Investoren auf dem Festland an Chinas Aufstieg zur zweitgrößten Volkswirtschaft prächtig mitverdient. Noch vor vier Jahren sahen viele Geschäftsleute in Hongkong weg, als schon einmal Hundertausende Menschen auf die Straße gingen, um mehr Demokratie zu fordern. Die damals begründete „Regenschirm“-Bewegung, die so getauft wurde, weil sich die jungen Protestler mit ihren Schirmen gegen die große Hitze und das Pfefferspray der Polizei schützten, wollte erreichen, dass die Stadt ihre Führung in freien Wahlen bestimmen darf.

Hongkong war damals jedoch gespalten. Vor allem Unternehmer sahen die Demokratiebewegung skeptisch, weil sie mit ihren Blockaden das Finanzzentrum für Wochen lahmlegte.

Dieses Mal sind Hongkongs Geschäftswelt und die Protestler auf der gleichen Seite. Sie fürchten das Auslieferungsgesetz jedoch aus unterschiedlichen Gründen. Die Demonstranten auf der Straße wollen so vor allem verhindern, dass Bürgerrechte geschwächt werden und etwa Aktivisten, die sich für mehr Demokratie einsetzen, ans Festland ausgeliefert werden können.

Viele einflussreiche Unternehmer Hongkongs sind dagegen besorgt, dass es ihnen selbst an den Kragen gehen könnte. Da die kommunistische Partei und das Rechtssystem in China miteinander verflochten sind, würde es möglicherweise nur eine Auseinandersetzung mit einem mächtigen Beamten oder chinesischen Geschäftskonkurrenten brauchen, um sich plötzlich vor einem Gericht in China verantworten zu müssen.

Da ist es offenbar sicherer, sein Scherflein schon vorher in Sicherheit zu bringen.

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