May trifft Juncker Stunde der Wahrheit

Gelingt der Durchbruch bei den Brexit-Verhandlungen? Welche Summe steht auf der Schlussrechnung? Heute ziehen EU-Kommissionspräsident Juncker und Premierministerin May Bilanz. Auf der Insel wächst die Nervosität.

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Brexit: Theresa May trifft Jean-Claude Juncker zu Gesprächen Quelle: dpa

London Sind die Briten bereit, die finanziellen Forderungen der EU zu erfüllen? Auf diese brisante Frage könnte es heute eine Antwort geben, wenn die britische Premierministerin Theresa May und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker an diesem Montag eine Zwischenbilanz zu den Brexit-Gesprächen ziehen.

Zunächst hielt Premierministerin May 20 Milliarden Euro für eine angemessene Summe auf der Schlussrechnung. Viel zu wenig aus Sicht der EU-Unterhändler. Mittlerweile berichten Medien, die britische Regierung habe sich zur Zahlung von rund 50 Milliarden Euro bereit erklärt, um die Scheidung zu erreichen. Es geht dabei um langfristige Zahlungen zum Beispiel für Beamtenpensionen und andere Haushaltsposten.

Bei der Finanzfrage scheine „eine Klärung am Montag möglich“, gibt sich der CDU-Europaabgeordnete und Brexit-Beauftragte Elmar Brok optimistisch. Dabei sorgt die Milliarden-Debatte für immer mehr Unmut auf der Insel. In einer Umfrage kritisierte die Mehrheit der Befragten, dass das Land im Zuge des Brexit zu viel Geld an die EU geben müsse.

Überhaupt ist die Bevölkerung zunehmend unzufrieden mit den Verlauf der Verhandlungen. Die Hälfte aller Briten wünscht sich bereits ein zweites Brexit-Votum. 50 Prozent der Befragten hätten angegeben, sie würden gern darüber abstimmen, ob die finalen Bedingungen zum Austritt Großbritanniens aus der EU akzeptiert werden sollten oder nicht, berichtete die „Mail on Sunday“ unter Berufung auf eine Erhebung unter 1003 britischen Bürgern. 34 Prozent würden dies nicht wünschen, 16 Prozent seien unentschieden.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker spricht vormittags zunächst mit Abgeordneten des Europaparlaments über das Angebot der Briten. Dann will er bei einem Mittagessen mit May in Brüssel eine Bilanz der bisherigen Brexit-Verhandlungen ziehen. May soll dabei klarstellen, zu welchen Zugeständnissen Großbritannien bei wichtigen Fragen des für 2019 geplanten EU-Austritts bereit ist. Wertet die EU-Kommission dies am Mittwoch offiziell als ausreichend, könnten Bundeskanzlerin Angela Merkel und die übrigen Staats- und Regierungschefs kommende Woche die Ausweitung der Brexit-Verhandlungen einläuten.

Der britische Außenhandels-Staatssekretär Greg Hands forderte, von dem Treffen müsse „das Signal ausgehen, die zweite Phase der Austrittsgespräche einzuleiten“ – also Gespräche über die Gestaltung des künftigen Handels zwischen der EU und den Briten. Die Briten erwarteten, dass der Europäische Rat Mitte Dezember den Anstoß für die Verhandlung der neuen Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU gebe, sagte der Tory-Politiker der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Klarheit ist absolut notwendig. Ich denke, wir sind in einer guten Ausgangslage dafür.“

May steht unter enormem Druck. Sie hat angesichts ihrer hauchdünnen Mehrheit im Parlament Revolten von mehreren Seiten zu fürchten. Zudem bereitet ihr ein Skandal um ihren Stellvertreter und Kabinettschef Damian Green Probleme. Gegen Green läuft eine Untersuchung wegen Belästigungsvorwürfen, zudem soll auf einem seiner Dienstrechner Pornografie entdeckt worden sein. Green streitet alle Vorwürfe ab.

Vor dem Treffen mit May will Juncker mit den EU-Parlamentariern unter anderem besprechen, welche Garantien Großbritannien für die dort lebenden 3,2 Millionen EU-Bürger abgeben muss. Auch die Schlussrechnung Großbritanniens für die während der EU-Mitgliedschaft gemeinsam eingegangenen Finanzverpflichtungen dürfte noch einmal Thema sein. In beiden Fragen hatte es nach EU-Angaben Bewegung in den Gesprächen mit London gegeben.


„Es ist nicht passiert, bevor es passiert ist“

Ungeklärt war indes bis zuletzt, wie eine feste Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland nach dem Brexit vermieden werden kann. Dublin fordert eine schriftliche Zusicherung Londons, dass es nach dem Brexit im März 2019 nicht zu Grenzkontrollen zwischen den beiden Teilen der Insel kommt. Bei allen drei Punkten will Brüssel „ausreichende Fortschritte“ erreichen, bevor über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien und eine Übergangsphase nach dem Brexit verhandelt wird.

Anhänger eines harten Brexits erhöhten indes weiter den Druck auf die britische Premierministerin. In einem offenen Brief forderten Mitglieder der Initiative „Leave means Leave“ (Gehen bedeutet Gehen) May am Sonntag auf, Brüssel mit Abbruch der Verhandlungen zu drohen, sollte die Kommission nicht auf Maximalforderungen Londons eingehen.

Unter anderem verlangen sie den Abschluss eines Freihandelsabkommen ohne Zölle bis zum März 2018 und ein abruptes Ende der Personenfreizügigkeit, wenn Großbritannien die EU im Jahr darauf verlässt. Unterzeichnet war der Brief von mehreren konservativen Parlamentsabgeordneten – unter anderem von Jacob Rees-Mogg, dem erzkonservativen Liebling der Brexit-Hardliner.

Ian Duncan Smith, ein weiterer prominenter Brexit-Enthusiast in der Regierungsfraktion, warnte May in einem Gastbeitrag im „Sunday Telegraph“ vor Zugeständnissen in der Frage der künftigen Rolle des Europäischen Gerichtshofes. Die EU fordert, dass die etwa 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien ihre Rechte weiterhin vor dem höchsten EU-Gericht einklagen können. London lehnte das bislang strikt ab. Medien berichteten aber, ein Kompromiss sei in Reichweite.

Sollte der Durchbruch für die Brexit-Gespräche beim EU-Gipfel Mitte Dezember nicht gelingen, wäre das ein herber Schlag vor allem für May, die seit der Wahlschlappe im Juni ohnehin als angezählt gilt. Am Sonntag musste sie zusehen, wie der Vorstand ihres Beratergremiums für soziale Gerechtigkeit geschlossen zurücktrat. Die Begründung: Die Regierung sei zu sehr mit dem Brexit beschäftigt, um sich wirklich um das Thema soziale Gerechtigkeit zu kümmern.

Der britische Ex-Premierminister Tony Blair sprach sich am Sonntag erneut dafür aus, die Austritts-Entscheidung rückgängig zu machen. „Es ist umkehrbar. Es ist nicht passiert, bevor es passiert ist“, sagte er der BBC. Die Ziele der britischen Regierung in den Brexit-Verhandlungen könnten nicht erreicht werden, sagte er voraus. Schließlich wolle die Regierung den gemeinsamen EU-Markt verlassen, aber alle Vorteile des Marktes behalten. Zudem hätten sich manche positive Berechnungen der Brexit-Befürworter als falsch herausgestellt. Wenn sich aber die Fakten änderten, sollten auch die Bürger die Möglichkeit haben, ihre Meinung zu ändern.

Der britische Staatssekretär für Außenhandel, Greg Hands, widersprach Blair. „Es wird kein zweites Referendum geben. Das wäre nicht durchsetzbar, und es wäre auch ein großer Fehler. Nach unserem Gesetz ist die Regierung verpflichtet, den Brexit durchzusetzen. Daran halten wir uns“, bekräftigte Hands im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung. „Ein Exit vom Brexit ist unmöglich. Die Briten haben sich entschieden.“

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