Merkel bei Anne Will „Nein, ich habe keinen Plan B“

Innerhalb von nur fünf Monaten erklärt sich Angela Merkel zum zweiten Mal in einem Solo-Interview ihrem Volk. Sie zeigt sich von ihrer Linie überzeugt und macht auch klar: Es gebe nichts, was sie davon abbringen könne.

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Die Bundeskanzlerin bleibt bei ihrer Linie, trotz aller Kritik: Sie will eine europäische Lösung, gemeinsam mit Ländern wie der Türkei. Das Publikum – zumindest im Studio – dankt es ihr. Quelle: dpa

Berlin Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Bürger in der Flüchtlingskrise um Geduld für ihren internationalen Lösungsansatz gebeten. Europa zusammenzuhalten und Humanität zu zeigen sei ihre Priorität in der aktuellen Situation, sagte Merkel am Sonntagabend in der ARD-Talkshow von Anne Will. „Ja, es ist ein schwieriger Weg“, sagte Merkel und fügte hinzu, es gehe um Deutschlands Ansehen in der Welt. „Das ist eine ganz wichtige Phase unserer Geschichte.“ Sie denke nicht über einen Plan B für eine nationale Lösung nach, sagte Merkel: „Nein, den habe ich nicht.“ Das mache keinen Sinn, wenn man sich parallel um eine Sicherung der europäischen Außengrenze gemeinsam mit den EU-Partnern und der Türkei bemühe. Dann mache man sich gegenüber den Partnern unglaubwürdig.

Moderatorin Anne Will drang zu Beginn der Sendung energisch auf eine Antwort auf die Frage, ob Merkel die Gesellschaft mit ihrer „Wir-schaffen-das“-Politik nicht gespalten habe. Merkel mochte das nicht erkennen. Sie sagte, die Regierung habe mit der Rente ab 63, mit der Mütterrente, mit einer Kindergelderhöhung und mit der Krankenhausreform viele wichtige soziale Projekte auch für die eigene Bevölkerung auf den Weg gebracht. Sie bezeichnete den von Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel zitierten Satz 'Für die macht ihr alles, für uns macht ihr nichts', als „schlimm“. Gabriel hatte zuletzt im ZDF gesagt, dieser Satz, den er auf allen seinen Veranstaltungen höre, sei „supergefährlich“. Er forderte daraufhin ein Sozialpaket für die deutschen Bürger, wofür er wiederum aus der CDU scharf angegriffen wurde. Merkel sagte mit Blick auf die angesprochenen Reformen: „Ich finde, die SPD und der Vorsitzende Herr Gabriel machen sich damit klein.“ Union und SPD hätten bisher gemeinsam Verantwortung gut wahrgenommen und machten das auch Schritt für Schritt weiter.

Die jüngsten fremdenfeindlichen Übergriffe in Sachsen kritisierte sie scharf. „Das sind Bürgerinnen und Bürger, die etwas tun, was ich zutiefst ablehne“, sagte Merkel. Wer Sorgen habe, könne friedlich demonstrieren. Artikel 1 des Grundgesetzes laute „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das gelte für jeden in Deutschland - für Deutsche und Flüchtlinge. Dennoch sei sie zu Gesprächen bereit. Voraussetzung sei die Fähigkeit und Bereitschaft des Gegenüber zum Zuhören. „Natürlich geben wir niemanden auf.“ (...) Ich mache für alle Menschen Politik.“

Auf die Frage, ob sich angesichts der teils gewalttätigen Proteste und des offenen Hasses gegen Flüchtlinge eine ähnlich demokratiegefährdende Situation wie in der Weimarer Republik entwickeln könnte, antwortete Merkel: „Das glaube ich nicht.“ Zwar müsse man entsprechende Warnungen ernst nehmen. Es sei aber ihre Aufgabe, „Probleme so zu lösen, dass wir zu unseren Werten stehen können“. Dennoch müsse sie dafür sorgen, dass weniger Flüchtlinge nach Deutschland kämen, dessen sei sie sich bewusst.

Zugleich hielt Merkel an ihrem Kurs der offenen Grenze fest: Niemand solle glauben, dass durch einseitige Grenzschließungen die Probleme beseitigt werden könnten. Sie leite auch der Gedanke, „dass Europa nicht kaputtgeht“. Als Merkel betonte, dass sie keine Obergrenze benennen könne, weil sie keine Lösungen versprechen wolle, die dann nur „drei Wochen“ halten, bekam sie spontanen Szenenapplaus vom Studio-Publikum. Würde sie solchen Forderungen nachkommen, habe sie vielleicht vier Wochen Ruhe, anschließend müsse sie sich aber dann vermutlich revidieren. Dann würde die Enttäuschung in der Bevölkerung „noch viel, viel größer“, so Merkel. Sie hielt dem Vorwurf, sie habe im vergangenen Jahr die Grenzen für Flüchtlinge geöffnet, entgegen: Die Grenzen seien damals offen gewesen, sie habe sie damals lediglich nicht geschlossen. Da sei es auch um eine Art „humanitären Imperativ“ gegangen.


„Ich sehe nichts, was ein Umsteuern hervorrufen könnte“

Merkel war schon vor knapp fünf Monaten bei Anne Will, dann im November in der ZDF-Sendung „Was nun, Frau Merkel“. Drei solch große TV-Auftritte in nicht einmal einem halben Jahr sind viel für die Kanzlerin. Das zeigt, wie sehr sie in der Flüchtlingskrise unter Druck steht. In zwei Wochen sind Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Die Umfrage- Ergebnisse für Merkels CDU sinken. Der Wahltag gilt als Gradmesser für die Stimmung im ganzen Land.

Merkel wirkt an diesem Abend souverän, selbstsicher, überhaupt nicht geschwächt. Und das, obwohl sie in den vergangenen Wochen und Monaten nicht nur innerhalb der EU, sondern auch in der eigenen Koalition immer stärker isoliert wurde. Zuletzt hatten auch die beiden CDU-Spitzenkandidaten für die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, Guido Wolf und Julia Klöckner, mit einem Vorstoß gegen Merkels Politik auf sich aufmerksam gemacht: Sie forderten nationale Maßnahmen wie etwa Tageskontingente für Flüchtlinge und Grenzzentren. Merkel beschwichtigte nun bei Will, sie wisse, dass sie grundsätzlich die Unterstützung ihrer Kollegen aus den Ländern habe, und darüber sei sie sehr froh. Sie betonte, dass sie trotz Meinungsverschiedenheiten an ihrem Weg festhalten wolle.

Merkel gestand ein, dass die Flüchtlingskrise die größte Herausforderung ihrer Amtszeit sowie der letzten Jahrzehnte sei. Das sei ihr auch schon im vergangenen Frühjahr und Sommer klar gewesen. Aber es helfe nichts, sich als Politiker klein zu machen und zu versuchen, sich von Problemen abzuschirmen. Zu teils verzweifelt wirkenden Lösungsvorschlägen und Vorstößen europäischer Amtskollegen aber auch aus der eigenen Koalition sagte Merkel: „Ich bin manchmal auch verzweifelt, aber dann überlege ich, wie ich zum nächsten Schritt hin zu einer Lösung komme.“ Sie sagte, ihre Aufgabe als Politikerin sei es nicht, schwierige Situationen nur zu beschreiben. „Meine verdammte Pflicht und Schuldigkeit besteht darin, alles zu tun, dass dieses Europa einen gemeinsamen Weg findet“, so Merkel. Sie machte Ländern wie Österreich, die nun individuelle Obergrenzen und Beschränkungen einführten und Griechenland mit einem Ausschluss aus dem Schengenraum drohten, schwere Vorwürfe. „Das ist nicht mein Europa“, sagte Merkel dazu.

Ob sie die Menschen für ihr Plädoyer für eine europäische Lösung und eine Sicherung der EU-Außengrenzen erwärmen kann, wird sich wohl noch zeigen. Merkel selbst sagte, sie sei sich sicher, dass sie die Zweifler bald überzeugen könne.

Auf die Frage, was für sie ein Punkt sei, der ein Umsteuern hervorrufen könnte, sagte Merkel: „Ich sehe nichts, weil das alles logisch durchdacht ist.“ Selbst CSU-Chef Horst Seehofer, einer der schärfsten Kritiker ihrer Flüchtlingspolitik, wünsche ihr viel Glück auf diesem Weg. Er glaube nur nicht so wie sie daran, dass dies auch funktionieren könne. „Aber ich denke, wenn man an etwas fest glaubt, dann kann man auch Berge versetzen“, sagte Merkel. Man müsse in dieser Zeit Brücken bauen für Menschen, die in Not seien und deshalb nach Europa kämen. Wenn man nach grenzübergreifenden Lösungen suche, werde man auch mittelfristig erreichen, dass weniger Flüchtlinge nach Deutschland und in die EU kämen.

Merkel hofft nun auf den zweiten EU-Türkei-Sondergipfel am 7. März. Ein Woche vor den Landtagswahlen. Will fragt, ob Merkel persönliche Konsequenzen ziehe, wenn der Gipfel schiefgehe. „Nein“, antwortet Merkel blitzschnell. „Dann muss ich ja weiter machen.“ Sie betont das Muss. Wenn es in einer Woche nichts werde, gebe es den nächsten Gipfel.

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