Merkel, Böhmermann und Erdogan Wer ist hier der Stärkste?

Der Fall Böhmermann ist kompliziert – wegen der seltsamen deutschen Rechtslage und der verworrenen Haltung der Bundeskanzlerin. Die Ironie: Der türkische Präsident Erdogan selbst könnte Merkel aus der Klemme helfen.

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Der Fall Jan Böhmermann (Mitte) erschwert das Verhältnis zwischen Kanzlerin Angela Merkel (links) und dem türkischen Präsidenten Erdogan (rechts).

Berlin Noch hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Fall Böhmermann etwas Bedenkzeit. Eine „Ermächtigung zur Strafverfolgung“ – wie es im Gesetzestext heißt – will sie erst dann prüfen, wenn die Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft Mainz vorliegen. Und eine entsprechende Unterrichtung soll nach Auskunft der Mainzer Behörden erst „in den nächsten Tagen auf dem Dienstweg“ erfolgen. Diese Bedenkzeit sollte Merkel nutzen. Denn sie hat sich in eine schwierige Lage manövriert.

In Mainz wird derzeit zum „Schmähgedicht“ des ZDF-Satirikers Jan Böhmermann über den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan ermittelt. Das Gedicht war am 31. März 2016 in der Sendung „ZDF Neo Royal“ ausgestrahlt worden – als harsche Kritik an einem Protest Erdogans über eine Satire der NDR-Sendung „extra 3“. Über Böhmermanns Inhalte lässt sich streiten. Das darin vorkommende Wort „Ziegenficker“ sagt einiges über die Qualität der Darbietung aus. Zur Not müsste das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob hier Grenzen überschritten und der türkische Präsident herabgewürdigt wurden.

Kompliziert wird der Fall durch zwei Umstände. Der erste Umstand: Im deutschen Strafgesetzbuch finden sich die Paragrafen 103 und 104a. Hier wird, grob gesagt, geregelt, dass jemand, der ein ausländisches Staatsoberhaupt beleidigt, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, im Falle der verleumderischen Beleidigung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft wird. Die Straftaten werden aber nur verfolgt werden, wenn ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt und die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt.

Man kann nun darüber philosophieren, ob solche Paragrafen noch zeitgemäß sind. Fakt ist, dass ein Strafverlangen der Türkei vorliegt und die Kanzlerin samt Bundesregierung über die „Ermächtigung“ wird entscheiden müssen.

Der zweite Umstand, durch den der Fall Böhmermann kompliziert wird, sind die verworrenen Befindlichkeiten der Bundeskanzlerin. Statt darauf zu verweisen, dass Satire hierzulande über die Kunstfreiheit sowie über die Meinungsfreiheit geschützt sein kann, bezeichnete sie das Schmähgedicht in einer ersten Reaktion als einen „bewusst verletzenden Text“. Die Presse- und Meinungsfreiheit habe einen hohen Wert, sei aber nicht schrankenlos. Damit kann Merkel kaum zurück. Es ließe sich schließlich kaum begründen, warum die Ermächtigung zur Strafverfolgung nun doch nicht erteilt wird.


Wie erpressbar ist Deutschland

Brisanz erhält die Angelegenheit natürlich durch den Türkei-Deal. Um die Flüchtlingskrise für Deutschland zu entschärfen und eine europäische Lösung zu forcieren, hatte Merkel einen EU-Türkei-Pakt durchgesetzt. Er sieht vor, dass alle Menschen, die seit dem 20. März illegal nach Griechenland gelangt sind, zwangsweise in die Türkei zurückgebracht werden können. Für jeden aus Griechenland abgeschobenen Syrer soll ein Syrer aus der Türkei legal in der EU aufgenommen werden. Auf diese Weise sollte der Zustrom von Flüchtlingen gedrosselt und Schleppern das Handwerk gelegt werden.

Die Flüchtlingszahlen in Deutschland gehen nun zwar zurück. Seitdem steht aber die Frage im Raum, wie erpressbar Deutschland durch den Deal geworden ist. Der Fall Böhmermann wird somit zum Lackmustest. Weicht Merkel vor Erdogan zurück, aus Angst, dass er das Flüchtlingsabkommen platzen lässt? Erteilt sie wirklich die Ermächtigung? Das dürfte in Deutschland einen Sturm der Entrüstung auslösen. Oder riskiert sie es mit einer Zurückweisung von Erdogans Strafverlangen, das deutsch-türkische Verhältnis zu belasten?

Erdogan scheint auszutesten, wie weit seine Macht nun reicht. Vielleicht hat er der Bundeskanzlerin aber auch einen Gefallen getan: Indem er nun zusätzlich durch eine Kanzlei einen eigenen Strafantrag wegen Beleidigung bei der Staatsanwaltschaft Mainz hat stellen lassen. Hier wird auf die „normalen“ Paragrafen 185 und 194 verwiesen.

Für Merkel bietet das einen Ausweg. Sie kann darauf hinweisen, dass nun der normale Rechtsweg eingeschlagen wurde, eine Ermächtigung zur Strafverfolgung also nicht mehr nötig ist. Damit könnte sie den aktuellen Fall – von einigem türkischen Protest abgesehen – vielleicht in den Griff bekommen. Der Knackpunkt aber bleibt: Der Vorwurf der Erpressbarkeit wird bei kommenden deutsch-türkischen Problemen immer im Raum stehen.

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