
Es treffen zusammen: Als Gastgeberin eine Präsidentin, gegen die Hunderttausende auf die Straßen gehen; um die Korruptionsvorwürfe wabern; deren Zustimmungswerte in den einstelligen Bereich plumpsen, während die Arbeitslosenquote ständig hoch schnellt; deren Protokollbeamte in den vergangenen Tagen beinahe im Stundentakt in Berlin nachfragten, ob der hohe Gast aus Deutschland denn unter diesen Umständen wirklich anreisen wolle.
Als Gast wiederum: eine Frau, die zwar auf dem Zenit ihrer Macht steht, aber was ist diese Macht wirklich noch wert? Eine Regierungschefin, die darauf achten muss, dass jeder kleine Streit in ihrer Koalition ganz Europa erschüttert; die erst Griechenland retten muss, dann wieder die Ukraine; die gerade einmal 24 Stunden in ihrem Krisen-Terminplan für den Termin rausschlagen kann, sie verbringt viel mehr Zeit im Flieger als auf dem Boden des Landes.







Und doch macht diese 1. Regierungskoalition zwischen Brasilien und Deutschland, dieses Gipfeltreffen zwischen Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff und Kanzlerin Angela Merkel, sehr viel Sinn. „Der Besuch kommt genau zum richtigen Zeitpunkt“, sagt Merkel in der Hauptstadt Brasilia. Das stimmt, aus einer ganzen Reihe von Gründen. Nicht nur wirtschaftlich, weil Deutschland immerhin Brasiliens viertgrößter Handelspartner ist - 1.500 deutsche Unternehmen operieren dort.
Sie hoffen auf umfangreiche Aufträge etwa zur Medizintechnik, Infrastruktur und Agrar, deswegen hat Merkel auch Gesundheitsminister Gröhe und Verkehrsminister Alexander Dobrindt mitgenommen. Brasilien hat gemerkt, wie stark es von den Turbulenzen an den Rohstoffmärkten - wo hohe Preise jahrelang für einen brasilianischen Boom sorgten, deren Verfall nun aber die Malaise beschleunigt - durchgeschüttelt wurde. Und nun abhängiger ist von anderen Weltregionen und von freiem Handel.
Merkels Momentum
Dem Vernehmen nach ist daher etwa in Brasilia das Interesse an einem EU-Mercosur-Abkommen deutlich gewachsen. Dem Mercosur gehören Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela an. Seit 2000 verhandeln EU und Mercosur über ein mögliches Freihandelsabkommen, doch die Verhandlungen stockten immer wieder, unter anderem aufgrund des Streits um den Marktzugang für Agrarprodukte aus dem Mercosur zu europäischen Märkten. Nun soll es laut Merkel neues "Momentum" geben.
Die Visite macht aber auch politisch Sinn. Für die Brasilianer sowieso, so kann Präsidentin Rousseff zeigen, dass sie trotz ihrer Probleme daheim international noch keine Geächtete ist, sondern nach wie vor eine geschätzte Gesprächspartnerin. Merkels Leute haben ihr im Vorfeld der Reise den Gefallen getan, durchblicken zu lassen, dass es sich nicht nur um einen Pflichtbesuch handele, sondern dass auch Respekt vor Rousseffs Lebensleistung herrsche. Sie war Dissidentin unter der Militärdiktatur und wurde ins Gefängnis geworfen.
Außerdem bewegt sich außenpolitisch einiges in Brasilien. Das Land verfolgt unter Rousseff - anders als unter ihrem Vorgänger Luiz Inácio Lula da Silva - keine strikt amerikaskeptische Politik mehr.
Das Land, das rund die Hälfte der Fläche in Südamerika stellt, vermittelt durchaus erfolgreich in der Region. Es steht Seite an Seite mit Deutschland bei den Bemühungen um einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat. Im September soll dazu am Rande der Uno-Vollversammlung ein gemeinsames Treffen stattfinden.
Und zur Klimapolitik wollen sich beide Länder „anspruchsvolle“ Ziele vor dem Weltklimagipfel in Paris Ende des Jahres setzen – daran hat auch Merkel ein reges Interesse, will sie doch an die G7-Beschlüsse vom Gipfeltreffen auf Schloss Elmau im Juni anknüpfen.
Die Regierungskonsultation – von der in zwei Jahren eine Fortsetzung eingeplant ist – macht aber auch für Deutschland Sinn.
Natürlich ist sie kurz, sie ist gehetzt – aber dass sie überhaupt stattfindet, sendet auch ein Signal: dass eine deutsche Kanzlerin sich nicht nur mit Griechenland befassen kann.
In Brasilien blicke man gespannt auf die Entwicklungen in Europa, man sei „ersichtlich froh“ gewesen, dass die jüngste Kredittranche für Athen freigegeben werden könne, sagt Merkel. Auch sie wirkt durchaus froh. So hat sie wieder Zeit für Brasilien, immerhin fünftgrößtes Land der Welt in Bevölkerung und Fläche, siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt, ein Land, um das auch die Machthaber in Peking und Moskau derzeit buhlen.
An diesem Morgen wird in Brasilia klar, dass die Welt weiter reicht als bis Athen. Manchmal schärft eine noch so kurze Reise eben die Perspektive.