Merkel in Chengdu China: Städtewachstum als Exportchance

China wächst und wächst. In Problemgebieten sollen neue Wohnungen, Verkehrssysteme und Umweltkonzepte entstehen. Deutschland soll helfen - und sieht seine Chance im Reich der Mitte Fuß zu fassen.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel kauft auf einem Markt in Chengdu ein. Quelle: dpa

Sage noch jemand, Angela Merkel habe es nicht so mit dem Markt! In der Millionenmetropole Chengdu, der ersten Station ihrer Chinareise, hat sie eigens einen Exkurs in Sachen Angebot und Nachfrage ins Programm einbauen lassen. Auf dem Wochenmarkt von Shenxianshu stromert die Bundeskanzlerin kurz zwischen den Gemüseständen umher, an denen die Bauern der Umgebung ihre Ware feilbieten. Danach lässt sich die deutsche Regierungschefin in der Kochschule eines Restaurants am Beispiel des Hühnergerichts Gongbaojiding schnell noch in die Geheimnisse der Sichuan-Küche einweihen – unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Die größten deutschen Arbeitgeber in China
Knorr-Bremse Quelle: Screenshot
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Während Merkel sich eine Momentaufnahme von der Gegenwart macht, kümmert sich die mitgereiste Wirtschaftsdelegation um die Zukunft der Stadt. Ein „Urbanisierungsforum“ soll die nächsten Chancen für die deutsche Wirtschaft im Reich der Mitte beleuchten. Nach der industriellen Revolution, an der deutsche Maschinenbauer maßgeblich beteiligt waren und in deren Gefolge vom Dax-Konzern bis zum Mittelständler 6000 Unternehmen aus der Bundesrepublik eine Fertigung in China aufbauten, will und soll Deutschland auch ein wichtiger Partner sein, die nächste Herausforderung für die kommunistische Partei zu bewältigen: Den steten Zustrom der Landbevölkerung in die Städte, der zu einem rasanten Wachstum der Metropolen führt. Mit gravierenden Folgen für die Menschen und die Umwelt. „Wir haben überall sauberes Wasser, saubere Luft und sichere Lebensmittel“, wirbt Hubert Lienhard, der Vorsitzende des Asien-Pazifik-für nach China bringen.“ Merkels Wirtschaftsdelegation trägt diesen Wünschen Rechnung. Angeführt von etlichen Dax-30-Vorstandsvorsitzenden wie Siemens-Chef Joe Kaeser und Deutsche Bank-Sprecher Jürgen Fitschen bemühen sich die deutschen Anbieter, Aufträge für die städtische Infrastruktur und neue Werke zu ergattern.

Die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen

Wanderarbeiter sind die größte Problemgruppe

Chengdu, eine 14-Millionen-Einwohner-Stadt im Südwesten des Riesenreiches, soll eine Musterregion für den menschen- und umweltfreundlichen Stadtausbau werden. Vier große strategische Ziele skizziert He Jian, Generaldirektor für Wohnungswesen und Stadtentwicklung der Provinz Sichuan. So sollten alle Menschen denselben Zugang zu den öffentlichen Angeboten erhalten, beispielsweise Anspruch auf die Arbeitslosenversicherung, unabhängig vom Wohnort. „Das verbessert die Situation von Wanderarbeitern“, verkündet He. Sie sind bislang die größte Problemgruppe der chinesischen Sozialpolitik. Eine Million bezahlbare Wohnungen sollen in Chengdu und Umgebung entstehen, außerdem neue Verkehrssysteme. Wichtig ist den chinesischen Planern auch, dass die wachsenden Städte zur Entwicklung der gesamten Region ausstrahlen und zudem Industrie und Bürger harmonisch auf engem Raum nebeneinander existieren. Mit Blick auf etliche Fabrik-Dreckschleudern der heutigen Metropolen eine ferne Zukunftshoffnung. Saubere Branchen wie Hochtechnologie, Forschung und Entwicklung, Finanzen, Versicherungen und andere Dienstleistungen sollen wachsen. Und schließlich gehe es darum, für den Schutz der Umwelt „wunderschöne städtische Landschaften zu schaffen“. Weil er Deutschland schon mehrfach besucht habe, wisse er um dessen „viele fortschrittlichen Konzepte“.

China als größter Müllproduzent der Welt

Da kann Axel Schweizer anknüpfen, Vorstandschef des Berliner Entsorgungs-Giganten ALBA. China sei schon heute der größte Müllproduzent der Welt, und die Menge werde innerhalb der nächsten zehn Jahre noch einmal um 50 Prozent steigen. Das meiste werde einfach auf Deponien gekippt. „Wissen Sie, wieviel unseres Mülls unbehandelt bleibt“, lässt er seine Zuhörer raten. „Null Prozent!“ Die Rohstoffe würden vorab dem Abfall entzogen, und was übrig bleibe, werde als „Green Coal“ in Kraftwerken zu Strom und Wärme umgewandelt. ALBA, das sich zu den zehn größten Anbietern von „Umweltdienstleitungen“ zählt, bietet sich da als Kooperationspartnern an. Als zusätzliches Werbeargument bringt Schweizer die deutsche Einheit; da hätte die heimische Industrie gezeigt, was sie vollbringen kann.

Zuletzt erschienen scheinbar widersprüchliche Zahlen zu Chinas Wirtschaftswachstum. Die eigentlichen Probleme des Landes liegen ohnehin woanders.
von Philipp Mattheis

Joachim Faust, Partner bei HPP Architekten, zeigt zunächst als Kontrast deutsche Stadtidylle und grauenhafte Wohnsilos in Hongkong, gibt dann aber zu, dass auch in seiner Heimat in den 60er und 70er Jahren schlimme Bausünden begangen wurden. Es käme darauf an, durch Bezüge zur eigenen Geschichte und Verwendung heimischer Baustoffe den Bewohnern die Identifikation mit ihrer Heimat zu erlauben. Es brauche ein Nachbarschaftsgefühl. Dann präsentiert er futuristische Pläne seines Hauses für Bauprojekte in Shanghai und Nanjing, die an der Umsetzung dieser Philosophie zweifeln lassen. Aber Futurismus kommt im modernisierungshungrigen China an.

Deutsche Unternehmen in China

Und da ruhen die Hoffnungen in der Tat auf den deutschen Unternehmen – insbesondere jenen, die in der Kanzlerinnendelegation dabei sind. Ge Honglin, der Bürgermeister von Chengdu, hat sie sich alle genau angesehen und herausgefiltert, wer bereits in seiner Stadt präsent ist. Er lobt VW, schon seit einigen Jahren am Ort, das seine Fertigung weiter ausbaut. Er hoffe aber, dass „bald auch höherklassige Modelle nach Chengdu verlagert werden“.

Bosch sei bereits mit drei Sparten da. Insgesamt, preist Bürgermeister Ge in großen Worten, seien bereits „255 der 500 größten Unternehmen der Welt“ in Chengdu. Firmennamen um Firmennamen zählt Ge aus der Delegation auf. Der Landmaschinenhersteller Claas, die Deutsche Bank, die Commerzbank – sie alle sollten den Weg in seine Metropole finden. Seit dem vergangenen Jahr gebe es nun auch einen Direktflug nach Frankfurt. Die Lufthansa könnte doch eine Basis hier aufbauen, „so wie British Airways und United Airlines“. Der Verweis auf die Konkurrenz darf nicht fehlen. „Voith, die Deutsche Fußballliga und HPP sind alle führende Unternehmen in wichtigen Sektoren. Wir erwarten, dass Sie herkommen und sich die Möglichkeiten hier ansehen.“

Merkel, die zu Beginn des Forums mit einer Sieben-Minuten-Rede ihren Segen für die Veranstaltung gegeben hatte, nennt das Wuchern der chinesischen Städte eine „Riesenherausforderung“. Vor allem im Westen des Landes, den Merkel zum ersten Mal besucht, solle man doch jetzt „nicht alle Fehler noch einmal neu machen“, die bei der Entwicklung der gigantischen Agglomerationen im Osten passiert sind. Verkehr, Stadtplanung, Bau, Umwelttechnik, überall könnten deutsche Unternehmen einen – hoffentlich lukrativen – Beitrag leisten.

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