Merkel in Davos Multilateralismus oder der Weg ins Elend

Angela Merkel in Davos: Internationale Ordnung ist alternativlos Quelle: dpa

Angela Merkel erneuerte beim Weltwirtschaftsforum ihre Botschaft: eine internationale Ordnung ist alternativlos – und muss reformiert werden. Überraschender waren die Auftritte zweier anderer politischer Stargäste.

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Es gibt zwei Varianten des Jahrestreffens des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos: mit oder ohne US-Präsident. Da das diesjährige Treffen wegen des Shutdowns in den USA zur zweiten Kategorie zählt, müssen zwei andere Spitzenpolitiker um den Ruf als wichtigster Stargast in der höchstgelegenen Stadt Europas streiten. Einerseits: Deutschlands seit 14 Jahren regierende Bundeskanzlerin Angela Merkel als letzte politisch überlebende Regierungschefin des Westens aus der Vorkrisenära und Bannerträgerin des Multilateralismus. Der zweite Aspirant für allerhöchste Aufmerksamkeit ist Brasiliens neuer Präsident Jair Bolsonaro, der schon am Dienstag seinen großen Auftritt hatte.

Merkels Rede war – wie nicht anders zu erwarten – ein erneutes großes Bekenntnis zum Multilateralismus und eine Aufforderung, eine globale Allianz zur Reform der internationalen Ordnung zu bilden. Sie wiederholte in Davos fast wörtlich, was sie in der jüngsten Generaldebatte im Bundestag gesagt hatte und offenbar als Leit-Narrativ ihrer Spätphase verstanden wissen will: „Ich glaube, wir sollten unsere nationalen Interessen jeweils so verstehen, dass wir die Interessen anderer mitdenken und daraus Win-Win-Situationen machen, die die Voraussetzung für multilaterales Handeln sind.“

Multilateralismus sei „unabdingbar für eine gedeihliche Entwicklung“. Alles andere, sagte sie an anderer Stelle, führe „ins Elend“. Die internationale Ordnung sei nun ein Menschenalter alt und bedürfe der Reform und der Anpassung an „reale Kräfteverhältnisse“. Besonders gelte das für drei ökonomische Bereiche, für die es noch keine „globale Architektur“ gebe: bioethische Fragen für die Gentechnik; „moralische Leitplanken“ für Künstliche Intelligenz und die Klärung der Eigentumsfrage für digitale Daten. In den USA läge die Macht über diese Daten zu sehr bei privaten Unternehmen, in China letztlich beim Staat.

Merkel strebt globale Allianz für multilaterale Weltordnung an

Merkel erklärte wirtschaftliche Stärke der EU zur Voraussetzung dafür, sich international mit ihren Ideen durchzusetzen. Die USA setzten ihre Wirtschaftskraft so ein, dass sie auch politischen Druck auf Unternehmen etwa im Streit um das Atomabkommen mit Iran einsetzen könnten. Die EU müsse dieselbe Stärke entwickeln. „Ansonsten werden wir steuerbar.“

Andererseits will Merkel die Industrieländer, also auch die EU und Deutschland, besonders für den Klimaschutz in Verantwortung nehmen. Hier, so könnte man sie interpretieren, wird ihre Forderung, nationale Interessen hintanzustellen, konkret: Die Industrieländer hätten die Fähigkeit und auch die Verantwortung, Technologien zu entwickeln, von denen andere dann profitieren könnten.

Beim Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums in Davos hat Bundeskanzlerin Angela Merkel vor einer Wiederholung der Bankenkrise gewarnt. Die Zinspolitik zeige, dass die Normalisierung noch nicht abgeschlossen sei.

Unter den Männern und Frauen der internationalen Davoser Eliten dürfte Merkel große Sympathien besitzen. „Viele sind besorgt, weil sie gesagt haben, dass Sie die politische Bühne verlassen“, sagte WEF-Präsident Klaus Schwab der Bundeskanzlerin zum Abschied. Vermutlich waren nicht wenige WEF-Mitglieder und -Gäste mindestens ebenso besorgt, als der ehemalige Fallschirmjäger-Offizier Jair Bolsonaro die politische Weltbühne betreten hat.

Bolsonaro gilt als Inkarnation des Rechtspopulismus und „Trump der Tropen“. Im Wahlkampf hatte er mit abfälligen Aussagen über Homosexuelle, mit der Ankündigung eines konsequenten Durchgreifens gegen Kriminelle und einem radikal marktliberalen Wirtschaftsprogramm für weltweite mediale Empörung (und Zustimmung der Mehrheit der brasilianischen Wähler) gesorgt. Doch sein Davoser Auftritt am Dienstag war erstaunlich milde, wenig nationalistisch und umso werbender für ausländische Investitionen. „Wir alle brauchen uns gegenseitig und Brasilien braucht Sie“, eröffnete er seine Rede. Vor allem zum Kampf gegen Korruption und zum Abbau investitionsfeindlicher Regulierung bekannte sich Bolsonaro. Auch zu Menschenrechten und zum Umweltschutz. Allein das Wort „Klimaschutz“ kam nicht über seine Lippen.

Ein dritter Stargast, Japans Premierminister Shinzo Abe, hatte seinen Auftritt kurz vor Merkel genutzt, um die Agenda des G20-Gipfels in Osaka im Juni vorzustellen: Klimaschutz und Handel, vor allem Data-Governance. Das Ziel sei der „Osaka-Track“, ein weltweites System des internationalen Datenverkehrs auf Basis der Welthandelsorganisation, das auf dem Prinzip „DFFWT“ beruhe - Data Free Flow With Trust (Freier Datenverkehr mit Vertrauen). Als Hauptrisiken für die Weltwirtschaft bezeichnete er den US-chinesischen Handelsstreit, den Brexit und das sich abkühlende Wachstum in China. „Japan ist entschlossen, die freie, offene und regelbasierte internationale Ordnung zu bewahren und weiterzuentwickeln“, sagte Abe. Das hätte auch aus Merkels Mund kommen können. Vielleicht deswegen wurde Abe auch explizit von Merkel gelobt.

Japan bekommt den Handelsstreit zwischen den USA und China sowie die Konjunkturabkühlung in der Volksrepublik zu spüren. Japans Exporte brachen um fast vier Prozent ein – der stärkste Rückgang seit mehr als zwei Jahren.

Auf anderen Feldern verbindet Merkel allerdings eher wenig mit Abe. Er ist Regierungschef eines Landes, in dem das nationale Eigeninteresse seit jeher meist weniger schrill und populistisch als anderswo, aber umso konsequenter praktiziert wird. Abes allein am ökonomischen Eigennutz orientierte Einwanderungspolitik – nur 300.000 ausgewählte Fachkräfte sollen in den nächsten fünf Jahren einwandern dürfen, politische Flüchtlinge nimmt Japan so gut wie gar nicht auf – ist deutlich restriktiver als diejenige der Trump-Regierung in den USA oder der neuen italienischen Regierung.



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