Geschäfte stehen und fallen in Russland mit der Qualität persönlicher Beziehungen. Also bequemt sich eine illustre Gruppe deutscher Top-Manager nach Russland. VW-Chef Martin Winterkorn ist dabei, BASF-Boss Kurt Bock, Siemens-Vorstand Peter Löscher, E.On-CEO Johannes Teyssen – hoch bezahlte Männer, die an einem Freitagnachmittag Besseres zu tun haben als sinnlos zu warten.
Diesmal bleibt ihnen nichts anderes übrig: Beim internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg empfangen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Russlands Präsident Wladimir Putin mit gehöriger Verspätung, denn es gibt Ärger. In Pavillon Acht wacht ein Gorilla vor Sitzungsraum 8.1. Die Konzernlenker debattieren über die Schlagzeile des Tages: Merkel hat den mit Putin geplanten Besuch der Eremitage kurzfristig abgesagt. In der Wirtschaftsdelegation fragt sich manch einer: Wie kann die Kanzlerin die Russen derart brüskieren und der Wirtschaft damit in die Parade fahren?
Dem Vernehmen nach ging es um Beutekunst. Im zweiten Weltkrieg erbeutete Kunstwerke sind in der Eremitage ausgestellt. Nachdem durchgesickert war, dass die Kanzlerin deren Rückgabe bei einer Ausstellungseröffnung ansprechen wolle, soll der Kreml die Ansprache aus dem Programm gestrichen haben. In der Folge verkündete die Bundesregierung noch vor Abheben der Kanzlermaschine, dass der Besuch der Ausstellung „einvernehmlich“ abgesagt worden sei. Der Eklat war perfekt, bevor das bilaterale Treffen begonnen hatte.
Mit Wirtschaft hat das alles reichlich wenig zu tun – ganz im Gegensatz zum eigentlichen Anlass des Merkel-Besuchs, dem Petersburger Wirtschaftsforum. Mehr als 5000 Geschäftsleute aus über 70 Ländern treffen sich dort für drei Tage, um über Weltwirtschaft, Chancen und Risiken im Russlandgeschäft zu beraten. Für Russland ist Deutschland der wichtigste Wirtschaftspartner: Das Handelsvolumen notierte 2012 auf der Rekordhöhe von 80 Milliarden Euro. Und umgekehrt ist Russland nicht nur größter Gas-Lieferant, sondern auch Destination deutscher Experte. Die legten vergangenes Jahr um 10,4 Prozent auf 38 Milliarden Euro. Russland ist damit nach USA und China der wichtigste Handelspartner der Bundesrepublik außerhalb der EU.
Zum ersten Mal überhaupt reist die Kanzlerin diesmal zum jährlichen Wirtschaftsgipfel. Von ihrer Teilnahme verspricht sich Unternehmer Rückendeckung für ihre Geschäfte, die zum Teil mit Milliardeninvestitionen verbunden sind. Kremlchef Putin selbst preist das Engagement von Volkswagen und Siemens' Verkauf von ICE-Zügen als Beispiel-Projekte der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen – Abschlüsse, die Merkels Vorgänger und Putin-Kumpel Gerhard Schröder (SPD) mit dem Kremlchef per Hand eingefädelt hatte.
Auch Merkel scheint aus Sicht der Wirtschaft nicht auf Radau aus. Mit öffentlicher Kritik an der sich verschlechternden Menschenrechtslage in Russland hält sich die Kanzlerin zurück. Ihre Rede vor dem Plenum gerät zu einer erstaunlich lockeren Road-Show für den Euro. Im Angesicht einer Vielzahl an Hochkarätern aus Politik und Wirtschaft versucht die Kanzlerin um Vertrauen in die Gemeinschaftswährung zu werben.
Es hätte also ein guter Tag werden können für die bilateralen Beziehungen. Wäre das nicht diese Absage des Eremitage-Besuchs gewesen. Medial detonierte der Affront aus Berlin sofort – und womöglich war das der Grund, weshalb sich die Spitzenpolitiker denn doch in die Ausstellung schleppen. In einem persönlichen Gespräch hat Putin die Kanzlerin offenbar umstimmen können. Vor der Presse geben sich beide größte Mühe, den Vorfall herunterzuspielen.
Unter Wirtschaftsvertretern indes, die nach einer geschlagenen Stunde kurz mit Kanzlerin und Kremlchef sprechen, hält sich das Unverständnis für die Holzhammer-Diplomatie des Kanzleramts. Ein kleiner Scherbenhaufen bleibt. Wie so oft, wenn sich die Politik in die Wirtschaftsbeziehungen einschaltet.