Merkel-Obama-Papier Globalisierung. Gemeinsam. Gestalten.

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Gewiss ist in der Ära Trump nur eins: Ungewissheit

Gleichzeitig ist der gemeinsame Auftritt innenpolitisch das bislang deutlichste Zeichen, dass die Kanzlerin - über deren Willen zur vierten Kandidatur so viele rätseln - es noch einmal wissen will. Wer mit dem Präsidenten derart die Welt vermisst, der will auch weiter die Läufe der Welt bestimmen. Merkel dürfte ihre neuerliche Bewerbung fürs Kanzleramt sehr bald offiziell machen.

Dass zwischen ihr und Obama so eine Symbiose entstehen würde, war keineswegs abzusehen. Merkel, die sich Charisma im Amt erkämpfen musste, beobachtete den Aufstieg des charismatischen US-Naturtalents wie die Physikerin, die sie ist – als spannende Versuchsanordnung. Doch bald musste sie feststellen, dass Obama vor Hunderttausenden Zuhörern liebenswert wirkt, im kleinen Kreis aber oft kühler noch als Analytikerin Merkel. An Europa zeigte er lange kein gesteigertes Interesse, und dann kamen die Mühen der Ebene hinzu, der NSA-Skandal, Libyen, das Gewürge um TTIP.

Aber Merkel hat fast ihre gesamte Amtszeit mit diesem einen US-Präsidenten verbracht, darunter die schlimmen Nachwehen der Weltfinanzkrise, das verbindet. Und Obama begann Merkels Unaufgeregtheit so zu schätzen, dass er sie gar mit der US-Freiheitsmedaille behängte, der höchsten amerikanischen Ehre. Auf Arbeitsebene funktioniert das Verhältnis besser als je zuvor.

Vor allem aber muss Merkel, die im Amt verbleibt, nach Trumps Sieg die Frage nach dem „Und jetzt?“ ganz anders umtreiben als unter einer möglichen Nachfolgerin Hillary Clinton. Denn gewiss ist in der Ära Trump nur eins: Ungewissheit. „Es geht ja nicht darum, unser Netzwerk neu zu stricken“, sagt ein hoher Berliner Beamter. „Es geht darum, dass von seinen Leuten keiner in einem unserer Netzwerke ist.“ Constanze Stelzenmüller von der Brookings Institution in Washington erwartet „einen Kulturschock“. Der war schon im Wahlkampf zu spüren, als Trump Merkel Versagen in der Flüchtlingspolitik vorwarf und von Massenvergewaltigungen durch Flüchtlinge auf deutschen Straßen fabulierte. „In Trumps Lager herrscht Freund-Feind-Denken vor“, sagt Expertin Stelzenmüller.

In dieser neuen Welt des starken Mannes sind starke Nerven gefragt. Denkbar ist etwa, dass Trump, der Außenpolitik vor allem als Interessenpoker versteht, Russland gegen Europa genauso auszuspielen versucht wie Großbritannien gegen den Rest des Kontinents. Und Grenzen nicht nur daheim, sondern überall eher dicht machen will, aus Angst vor den Begleiterscheinungen der Globalisierung. Auch dagegen stemmen sich Obama und Merkel in ihrem gemeinsamen Text. „Aus der gemeinsamen Überzeugung, dass Handel und Investitionen Lebensstandards anheben, setzen wir uns für das wichtige Projekt der Gründung einer Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) ein“, schreiben beide.

Obama, 55, ist bald politischer Rentner, vielleicht wird er eine Stiftung aufbauen. So weit ist Angela Merkel, 62, noch (lange) nicht. Sie muss jeden Tag raus in die Trump-Welt. Aber vorher bekommt sie noch a little help from her friend, Barack.

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Titel WirtschaftsWoche 48/2016

Trumponomics: Die Folgen der neuen Wirtschaftspolitik für Märkte, Kurse und Preise
Protektionismus: Warum Trump seine Pläne auch gegen politische Widerstände durchsetzen kann
Demoskopie: Interview mit dem einzigen Meinungsforscher, der den Wahlsieg Trumps vorhersagte
Deutsche Bank: Die Geschäftsbeziehungen zu Trump

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