Mexiko Im Land der illegalen Waffen

Mexiko ist eines der gefährlichsten Länder der Welt. Viele wollen sich mit einer eigenen Waffe schützen. Doch der Kauf ist extrem kompliziert und kontrolliert. Ausgerechnet die USA können nun bei der Bewaffnung helfen.

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Kriminelle Banden oder Bürgerwehren: In Mexiko ist die Gewalt so eskaliert, dass sich nahezu jeder bewaffnen will.

Mexiko-Stadt In ganz Mexiko gibt es nur ein einziges legales Waffengeschäft. Es liegt auf einem Militärgelände und kann nur unter strengen Sicherheitsvorkehrungen betreten werden. Wer hier etwas kaufen möchte, muss hohe bürokratische Hürden überwinden. Da jede Art von Werbung für die Ware verboten ist, haben die meisten Mexikaner wohl auch noch nie von diesem Geschäft gehört. Trotzdem boomt der Verkauf, parallel zum Schwarzmarkt. Forderungen nach einer Liberalisierung sieht die Regierung aber weiterhin skeptisch.

Nach Angaben der mexikanischen Streitkräfte wurden in dem Geschäft am Rande der Hauptstadt noch im Jahr 2000 nur genau 549 Waffen verkauft. Im Jahr 2015 waren es demnach bereits 10.115. Besonders groß sei der Anstieg ab 2006 gewesen, als der damalige Präsident Felipe Calderón den Krieg gegen die Drogenkartelle ausgerufen habe, hieß es. Seit diesem Jahr wurden in Mexiko nach offizieller Statistik mehr als 164.000 Menschen getötet.

Bewaffnete Überfälle und andere gewaltsame Verbrechen gehören in Mexiko inzwischen zum Alltag. Auf einen wirksamen Schutz durch die Sicherheitskräfte können die Menschen in vielen Landesteilen nicht zählen. Um den kriminellen Banden nicht ganz und gar ausgeliefert zu sein, kaufen immer mehr Mexikaner selbst eine Waffe. Nicht wenige gründen gleich eine Bürgerwehr.

Die Behörden sehen diese Entwicklung nicht gerne. Auch der Leiter des einzigen offiziellen Waffengeschäfts würde am liebsten gar nichts verkaufen. „Es ist grundsätzlich besser, keine Waffe zu haben, auch nicht im eigenen Haus“, sagt Eduardo Tellez Moreno. Schließlich könne es durch falsche Handhabung leicht zu Unfällen oder gar zu Schlimmerem kommen. „Es ist so, wie wenn man einen Streichholz nah am Feuer aufbewahrt.“

Das Recht auf Waffenbesitz ist in Mexiko zwar in der Verfassung verankert. Die entsprechende Klausel räumt aber der Regierung die Entscheidung darüber ein, welche Arten von Waffen erlaubt sind und unter welchen Bedingungen. Formal kann jeder Mexikaner zum eigenen Schutz eine Handfeuerwaffe erwerben. Mitglieder von Jagd- und Schießsportvereinen können sogar bis zu neun Gewehre legal kaufen.

Voraussetzung ist allerdings die Vorlage von mindestens sechs Dokumenten: eine Geburtsurkunde, ein Nachweis über die berufliche Tätigkeit, ein vom Büro des Justizministers des Bundesstaates ausgestelltes Führungszeugnis, eine Abrechnung der öffentlichen Versorgungsbetriebe mit aktueller Adresse, eine Kopie des Personalausweises und eine Sozialversicherungskarte. Und im Falle eines positiven Bescheids darf eine registrierte Waffe nur innerhalb der eigenen vier Wänden aufbewahrt werden. Eine Erlaubnis zum Tragen der Waffe in der Öffentlichkeit zu bekommen, was in vielen Staaten des Nachbarlandes USA kaum ein Problem ist, gilt in Mexiko als fast unmöglich.


„Wir verteidigen unser Leben“

Aus Sicht der Behörden gibt es dafür einen guten Grund. „Es ist Aufgabe des Staates, für die Sicherheit der Menschen im Land zu sorgen, nicht die der einzelnen Bürger, das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen“, sagt der einzige offizielle mexikanische Waffenverkäufer Tellez. Doch ob der Staat dazu noch in der Lage ist, scheint vielen fraglich – so auch dem in Mexiko-Stadt lebenden Alejandro Lozano: Er habe sich gerade eine Waffe für zu Hause gekauft, sagt er. Angesichts der ständigen Raubüberfälle in der Stadt würde er sie aber lieber auch unterwegs tragen dürfen.

Dass dies in den meisten Fällen nicht erlaubt wird, ist aus Sicht der Befürworter von liberaleren Waffengesetzen angesichts der katastrophalen Sicherheitslage nicht nachzuvollziehen. „Man kann nicht für jeden einzelnen Bürger einen schützenden Soldaten abstellen“, sagt der Sportschütze Luciano Segurajauregui Alvarez. Ähnlich sieht es Hipolito Mora, Mitbegründer einer Bürgerwehr im Bundesstaat Michoacán: „Auf uns gestellt, ohne Schutz der Regierung, was können wir als Bürger tun? Wir greifen zu den Waffen und verteidigen unser Leben und das unserer Familien.“

Trotzdem gibt es auf politischer Ebene keine größeren Debatten über eine Aufweichung der Regeln. „Das ist absolut kein Thema“, sagt der mexikanische Sicherheitsexperte Alejandro Hope. „Die extrem liberalen Waffengesetze, die es in den USA gibt, werden als bizarres Phänomen betrachtet. Das Tragen einer Waffe als ein grundlegendes Menschenrecht zu bezeichnen, ist bizarr.“

Gerade die laxen US-Regeln sind in Mexiko auch Teil des Problems. Im einzigen offiziellen Waffengeschäft des Landes wurden von 2009 bis 2014 insgesamt 52.147 Waffen verkauft – im Vergleich zu den Dimensionen des Schwarzmarkts eine fast schon verschwindend geringe Zahl. Nach Angaben der in Genf ansässigen Forschungsgruppe Small Arms Survey waren im Jahr 2007 in Mexiko etwa 15,5 Millionen Waffen im Umlauf, von denen nur etwa 4,5 Millionen bei den Sicherheitskräften registriert waren.

Wo die vielen nicht registrierten Waffen herkommen, ist ein offenes Geheimnis. Offiziell ist zwar jeder Import ohne ausdrückliche Sondergenehmigung verboten. Die entsprechenden Kontrollen sind aber nachweislich nicht ausreichend: Von den insgesamt 104.850 illegalen Waffen, die in den fünf Jahren von 2009 bis 2014 in Mexiko beschlagnahmt wurden, stammten 73.684 aus den USA.

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