MH17-Abschuss Moskau stürzt sich auf zwei Schwächen des Berichts

Internationale Ermittler weisen Russland die Verantwortung für den MH17-Flugzeugabschuss zu. Der Kreml will davon nichts wissen und betont die Schwächen des Berichts. Dieser liefert dafür unfreiwillig eine Steilvorlage.

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Russland trägt die Verantwortung für den Abschuss einer Passagiermaschine vor zwei Jahren. Darauf deutet ein Bericht internationaler Ermittler hin. Quelle: AFP

Moskau Das Dementi kam schon vor dem Verdikt: Bereits zwei Tage vor der Veröffentlichung des lang erwarteten Abschlussberichts zum Abschuss der Boeing 777 über dem Donbass-Gebiets hatte das russische Verteidigungsministerium vorsorglich alle möglichen Anschuldigungen als falsch abgetan.

„Die Ukraine drückt sich offen vor der Bereitstellung von Daten und manipuliert den Gang der Ermittlungen, die einer falschen Spur folgen“, hatte Ministeriumssprecher Generalmajor Igor Konaschenkow. Das reiche „von widersprüchlichen Angaben über die Abschussobjekte bis hin zur fehlerhaften Bestimmung des Raketentyps und damit auch des Abschussorts“. Damit hatte Konaschenkow den Schuldigen für die aus Moskauer Sicht unbefriedigenden Ergebnisse der Expertengruppe schon im Vorfeld gefunden.

Tatsächlich sind die Aussagen des Abschlussberichts für Moskau äußerst unangenehm: Die mobile Abschussrampe für die Buk-Rakete sei aus Russland in die Rebellengebiete transportiert und von dort auch anschließend wieder zurückgebracht worden, teilte der niederländische Staatsanwalt Franz Westerbeke am Mittwoch mit. Damit wird Russland der direkten Beteiligung an dem Abschuss bezichtigt.

Auch den Abschussort lokalisierte das Expertenteam; ein Feld südlich der Stadt Snischne. Diese ist seit langem in der Hand der Separatisten. Die konkreten Schuldigen sollen erst noch benannt werden. Doch schon jetzt lehnen sich die Ermittler deutlich weiter aus dem Fenster als bei dem vorsichtig formulierten Zwischenbericht vor einem Jahr. Das Liefern von Luftabwehrsystemen in die Ost-Ukraine – das reicht weit über die Präsenz russischer Soldaten in der Region hinaus. Moskau hatte letzteres bereits indirekt eingeräumt – und von „Freiwilligen“ im Donbass gesprochen.

Als „Katastrophe für Image und Moral“ charakterisierte der Professor der Moskauer Diplomatenschmiede MGIMO, Waleri Solowjej, den Expertenbericht. „Aber die Propaganda wird die russische Gesellschaft vor der Erkenntnis bewahren“, wer Schuld am Flugzeugabschuss sei, prognostizierte er ironisch.

Solowjej sollte recht behalten: Die Reaktion fiel heftig aus: Der Gazprom-Sender NTW veranstaltete praktisch parallel zur Vorstellung des Berichts eine Talk-Show, in der der kremlnahe Militärexperte Igor Korotschenko die Untersuchung unter allgemeinem Beifall als „gefälscht“ bezeichnete. In der hitzigen Debatte wurde dem Westen die Schuld am Vorfall zugeschoben. Ziel sei die Diffamierung Russlands.


„Unwiderlegbare Fakten“

Kremlsprecher Dmitri Peskow war zurückhaltender, erklärte aber, es gebe „unwiderlegbare Fakten“, die die Unschuld der Aufständischen belegten. Demnach sollen die neuen russischen Radarbilder nun zeigen, dass die Rakete nicht von Separatistengebiet aus abgefeuert werden konnte.

Russland konzentriert sich in der Argumentation auf zwei offensichtliche Schwächen des Berichts: Geheim gehalten wurden bisher nämlich sowohl die US-amerikanischen Satellitenfotos sowie eine Reihe von ukrainischen Dokumenten, die zur Stützung der Abschussthese durch eine russische Buk beitragen könnten. Ihre Freigabe wäre nötig, um Verschwörungstheorien über den Tod der 298 Passagiere an Bord der malaysischen Maschine zu widerlegen.

Darauf wies auch der Moskauer Politologe Fjodor Lukjanow hin: „Ich kann Ihnen nicht sagen, wie unabhängig die niederländischen Experten sind. Aber ich frage mich auch, warum die Ukraine und die USA ihre Daten nicht öffentlich machen“, sagte er dem Handelsblatt. Es sei schließlich nicht das erste Mal, dass die Gegenseite erkläre, Beweise zu haben, diese aber nicht vorlege, fügte er hinzu.

Das Problem der russischen Argumentation besteht im Gegensatz dazu darin, dass sie in den vergangenen zwei Jahren nicht zu wenig, sondern zu viele einander widersprechende „Beweise“ für die Schuld der Ukraine geliefert hat. So veröffentlichte Moskau als erster Satellitenaufnahmen, um den Abschuss durch einen ukrainischen Kampfjet zu beweisen. Selbst einen Zeugen und einen angeblichen spanischen Fluglotsen, der den Luftraum überwachte, präsentierte der Kreml. Inzwischen sind sowohl das Kampfflugzeug von den Aufnahmen als auch Zeuge und Dispatcher verschwunden.

Das Panzerabwehrsystem Buk, das nun auch russischer Darstellung nach als Hauptverdächtiger gilt, hat derweil in den Darstellungen seinen Standort vom Norden Donezks in den Süden gewechselt. Ob die ukrainischen Truppen, wie von Moskau behauptet, überhaupt im Dörfchen Saroschenskoje waren, von wo aus die Rakete abgefeuert worden sein soll, ist fraglich. Gesehen hat sie keiner der Einwohner, auch laut operativen Karten war das Gebiet zur fraglichen Zeit in Separatistenhand.

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