Michael Butter „Verschwörungstheorien sind ein Riesengeschäft“

Quelle: Getty Images

Viele Menschen hängen Verschwörungstheorien an. Und einige verdienen sehr viel Geld damit. Warum das so ist – und wie das Geschäft funktioniert, erklärt der Amerikanist Michael Butter.

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Herr Butter, 2008 tauchte im Internet ein Papier von Satoshi Nakamoto auf, in dem er zeigt, wie mit dem Bitcoin an den Zentralbanken vorbei weltweit Geld ausgetauscht werden kann. Wer Nakamoto ist, weiß bis heute niemand. Allerdings gibt es eine Theorie: Hinter Nakamoto steckt die NSA, die im Bitcoin-Code eine Hintertür versteckt hat, um die Zahlungsströme weltweit zu verfolgen. Sie kann so unbemerkt Revolutionäre in aller Welt finanzieren.
Michael Butter: Das hört sich für mich nach einer klassischen Verschwörungstheorie an. Da gibt es eine sinistere Gruppe im Hintergrund, die alles über Jahrzehnte hinweg geplant haben soll. Die breite Masse versteht das natürlich nicht, nur einige wenige Erleuchtete haben verstanden, was die Verschwörer vorhaben. Und sie argumentieren „von hinten“, wie Verschwörungstheorien das immer tun. Die NSA spioniert uns alle aus, wie wir seit 2013 wissen, ihr muss somit alles Böse zugetraut werden, also muss sie auch hinter dem Artikel fünf Jahre vorher stecken.

Glauben Sie nicht, Sie tun das zu leicht ab? 1997 haben drei Mitarbeiter der NSA einen Artikel zu Kryptowährungen verfasst, der findet sich immer noch online. Sie verweisen darin auf die Gefahren von Digitalwährungen. Was läge näher als eine eigene aufzubauen und so die Kontrolle zu bewahren?
Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie Verschwörungstheoretiker argumentieren. Sie gehen davon aus, dass die Beweise auf der Hand liegen, sie müssen nur ausmachen, wer hinter der Verschwörung steckt. Wer die erste Seite der Suchtreffer bei Google durchforstet, findet diesen Artikel. Im nächsten Schritt unterstellen die Verschwörungstheoretiker, dass die gesamte NSA homogene Interessen verfolgt und an einem Strang zieht. Verschwörungstheoretiker können sich gar nicht vorstellen, dass es Mitarbeiter der NSA gibt, die anderen Tätigkeiten nachgehen als die drei besagten Mitarbeiter. In ihrer Vorstellung agiert die NSA wie ein Monolith. Es gibt auch keine Zufälle oder Unabwägbarkeiten in ihrer Welt. Nur mithilfe solcher Annahmen können Menschen glauben, dass ein 20 Jahre alter Artikel beweist, dass alles von langer Hand geplant ist.

Verschwörungstheorien gehen stets von der Prämisse aus, dass nichts so ist, wie es scheint. Zudem sind Verbindungen zwischen absolut disparaten Ereignissen charakteristisch. Gerade ging es nur um die Verbindung eines Papiers aus dem Jahr 2008 und den Snowden-Enthüllungen von 2013, jetzt kommt noch ein Aufsatz von 1997 dazu.

Zur Person

Nun hat Edward Snowden ja gezeigt, dass der NSA einiges zuzutrauen ist.
Diese Enthüllungen werten Verschwörungstheoretiker im Nachhinein oft als Beleg dafür, dass sich eine Theorie als wahr herausgestellt hat. Das ist Unsinn. Wer sich mit der NSA befasst hat, den dürften die Enthüllungen Snowdens nicht gewundert haben. Snowden hat lediglich gezeigt, dass die NSA alles tut, um die amerikanischen Interessen zu schützen. Das mag man gutheißen oder nicht – aber die Enthüllungen haben nicht offengelegt, dass die NSA irgendwelche geheimen Ziele verfolgte, von denen niemand etwas wusste.

Hat die Verbreitung von Verschwörungstheorien zugenommen?
Wir haben heute den Eindruck, aber der trügt. Das Internet macht Verschwörungstheorien lediglich sichtbarer als das früher der Fall war. Die Zahl derer, die an Verschwörungstheorien glauben, ist aber heute weitaus geringer als noch vor 100 Jahren. Bis in die 1960er hinein galten Verschwörungstheorien in der westlichen Welt als völlig normal und unproblematisch und waren Teil des öffentlichen Diskurses. Eliten haben sie über Jahrhunderte bewusst gestreut – denken wir an die vermeintliche Kontrolle der Weltwirtschaft durch Juden. Das waren alles Verschwörungstheorien, die von oben gestreut wurden.

Die größten Verschwörungstheorien in der Finanzwelt
US-Präsident Donald Trump wollte eigentlich alle Akten zum Mord am früheren Präsidenten John F. Kennedy offenlegen. Im letzten Moment machte er einen Rückzieher: Zwar wurden Unterlagen veröffentlicht, aber längst nicht alle. Um die Frage, wer hinter dem Mord wirklich steckte, werden sich weiter wilde Spekulationen drehen. Nur einer der Fälle, die Verschwörungstheoretiker auch in Zukunft beschäftigen werden. Bei vielen Verschwörungstheorien spielen auch wirtschaftliche Interessen eine große Rolle. Quelle: AP
Theorie 1: Kennedy-MordDrei Schüsse auf Kennedy hat es nach den offiziellen Ermittlungen gegeben. Zeugen wollen jedoch vier Schüsse gehört haben. Das reicht als Futter für zahlreiche Theorien. Eine davon: Kennedy soll ermordet worden sein, weil er die US-Notenbank und die Geldschöpfung wieder komplett unter staatliche Kontrolle bringen wollte. Das passte der US-Hochfinanz natürlich nicht. Quelle: REUTERS
Theorie 2: US-NotenbankEine weitere Verschwörungstheorie schließt daran an - und hält sich bis heute. Demnach ist die US-Notenbank Fed nicht etwa unabhängig, sondern wird direkt von der Hochfinanz kontrolliert, etwa von der Investmentbank Goldman Sachs. Der reale Hintergrund: Die Fed hat private Anteilseigner. Doch die können – so zumindest die offiziellen Angaben - nicht frei schalten und walten. So werden alle, die in der Fed über die Geldpolitik entscheiden dürfen, politisch ernannt. Offiziell. Und inoffiziell? Quelle: Reuters
Theorie 3: GoldpreisEin steigender Goldpreis gilt als Indikator für sinkendes Vertrauen in Papierwährungen. Daran können weder Banken noch Regierungen Interesse haben. Weil vor allem viele Staaten auf hohen Goldreserven sitzen, können sie mit Käufen und Verkäufen durchaus Einfluss nehmen. Einige Branchenbeobachter gehen daher davon aus, dass der Goldpreis teils gezielt manipuliert wird. Auffälligkeiten in Handelsdaten reichen ihnen als starkes Indiz. Quelle: dpa
Theorie 4: BundesbankgoldEnde 2016 sollen es 3,4 Millionen Kilo Feingold gewesen sein. So viel wies die Deutsche Bundesbank an Gold und Goldforderungen aus. Manche Skeptiker glauben dennoch, dass es diesen Goldschatz nicht oder nicht mehr gibt. Tatsächlich lagerte ein großer Teil des Goldes in New York und London, ein kleinerer Teil in Paris. Nun holt die Bundesbank wieder mehr Gold zurück nach Deutschland. Solange nicht alles Gold hier ist, werden Verschwörungstheoretiker wohl kaum verstummen. Quelle: dpa
Theorie 5: Blackrock gehört die WeltUS-Vermögensverwalter Blackrock soll die Welt beherrschen. Tatsächlich sitzt Blackrock auf Billionen Dollar an Vermögen und Beteiligungen. Doch einen Großteil davon verwaltet Blackrock in Wirklichkeit für seine Kunden. So zählen dazu etwa auch die Gelder, die deutsche Sparer in Indexfonds von iShares, einer Blackrock-Tochter, stecken. Das relativiert die angebliche Weltenherrschaft zumindest teilweise. Quelle: REUTERS
Theorie 6: Plunge Protection TeamEine Sondereingreiftruppe soll in den USA dafür sorgen, dass ein Börsensturz wie im Oktober 1987 nicht noch einmal vorkommt. Mittlerweile ist unstrittig, dass es so ein Team, ursprünglich von der US-Regierung ins Leben gerufen, tatsächlich gibt. Wie oft und wie es eingreift, ist jedoch unklar. Meist erfolgen Eingriffe wohl indirekt: So soll das Team Banken in Krisensituationen zum Beispiel Gelder zur Verfügung stellen, mit denen diese dann Aktien kaufen. Quelle: AP

Was hat sich geändert?
Nach den verheerenden Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs wanderten die Verschwörungstheorien langsam ab in die Subkulturen. Dadurch änderte sich dann auch die Stoßrichtung – zumindest in der westlichen Welt. Entsprechend richten sie sich nicht mehr nur gegen Schwache und Außenseiter, sondern sind ein Mittel von Leuten geworden, die sich marginalisiert fühlen oder Angst haben, marginalisiert zu werden. Solche Theorien dienen heute der Elitenkritik. Durch das Internet sehen wir nun die Kommunikation von Teil- und Gegenöffentlichkeiten, die wir vorher nicht wahrgenommen haben. Diese Sichtbarkeit führt zwar zu einer Zunahme derer, die an Verschwörungstheorien glauben – zumindest gemessen an der Zeit nach 1960. Verglichen mit 1918 oder 1818 ist die Zahl derer, die solchen Theorien anhängt, aber sehr gering.

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