Das Lächeln auf Rick Scotts Gesicht ist längst eingefroren, als der erlösende Blitz der Handykamera aufflammt. Sekundenlang hat der Gouverneur von Florida stillgehalten, den Arm mit dem akkurat hochgerollten Ärmel des blauen Button-Down-Hemds angespannt auf die Schulter seines Nebenmanns gelegt. „Mein Telefon hat sich aufgehangen“, sagt dessen Begleiterin. Nach quälend langen Augenblicken kann sie doch noch den Auslöser betätigen. Als das Foto im Kasten ist, lässt Scott kurz die Mundwinkel sinken, gönnt ihnen den Bruchteil eines Moments der Entspannung. Dann zwingt er sie wieder nach oben. Der nächste Selfiejäger wartet.
Lange muss sich Scott diese Tortur nicht mehr antun. In wenigen Stunden ist alles vorbei. Dann schließen im US-Bundesstaat Florida die Wahllokale. Die Midterm-Elections, die Zwischenwahlen, in denen große Teile des US-Kongresses neu gewählt werden, werden dann endlich vorüber sein – und Scott Klarheit über seine Zukunft haben. Der 65-jährige Republikaner und Noch-Gouverneur strebt ein neues Amt an. Er will Senator für den Sunshine State in Washington werden.
Deshalb steht er hier, in einer stickigen Produktionshalle eines Herstellers für Kühlanlagen. Es riecht nach Staub, Styropor und Schweiß. Scott schüttelt geduldig Hände, posiert für Fotos und hört sich Klagen und Lobpreisungen seiner potenziellen Wähler an. Auf keinen Fall will er gehetzt wirken oder einzelne Wähler vergrätzen. Er weiß: Es wird knapp.
Eigentlich sollte Rick Scott hier nichts zu befürchten haben. Der Republikaner regiert Florida seit acht Jahren. Während seiner Amtszeit hat sich der Staat prächtig entwickelt. Die Arbeitslosigkeit ist faktisch abgeschafft. Sie liegt mit 3,5 Prozent sogar noch unter dem sowieso schon niedrigen US-Durchschnitt. Die Baubranche boomt, die Steuern sind niedrig, die Löhne steigen.
Solche Entwicklungen verschaffen Rückenwind. Das spürt auch Scott. Eine satte Mehrheit der Bevölkerung ist mit seiner Amtsführung zufrieden. Trotzdem ist fraglich, ob ihm sein nächster Karriereschritt gelingt und er den erhofften Senatssitz erringen kann. Die letzten Umfragen prognostizieren ein ausgesprochen enges Rennen. Einige Institute sehen Scott sogar hinten.
Das hat weniger mit Scotts demokratischem Gegenkandidaten zu tun als mit seinem Parteifreund, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten. Donald Trump hat es geschafft, dass republikanische Kandidaten bei diesen Midterms kaum von der hervorragenden wirtschaftlichen Lage profitieren, in der sich die USA derzeit befinden.
Was Sie über über die Kongresswahlen wissen müssen
Die USA fiebern auf die Zwischenwahlen hin, die sogenannten Midterms finden am 6. November statt. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen die Wahlen zum Kongress in Washington. Nicht zur Wahl steht Präsident Donald Trump - dennoch könnte die Abstimmung auch über seine Zukunft entscheiden.
Der Kongress ist das Parlament der USA und besteht aus zwei Kammern: Dem Repräsentantenhaus mit 435 Abgeordneten und dem Senat mit 100 Sitzen. Jeder der 50 US-Bundesstaaten schickt Abgeordnete ins Repräsentantenhaus, deren Zahl sich nach der Größe der Bevölkerung des jeweiligen Staates bemisst. Unabhängig von seiner Größe entsendet jeder Bundesstaat zwei Vertreter in den Senat. Beide Kammern des Kongresses haben ihren Sitz im Kapitol in Washington.
ein. Zur Wahl stehen alle 435 Abgeordnete im Repräsentantenhaus, deren Legislaturperiode nur zwei Jahre dauert. Außerdem werden 35 der 100 Senatssitze vergeben. Senatoren werden für sechs Jahre bestimmt. Alle zwei Jahre wird rund ein Drittel der 100 Senatoren neu gewählt.
Die Präsidentenwahl findet alle vier Jahre statt und steht 2020 wieder an. Donald Trump wurde im November 2016 gewählt und will 2020 erneut kandidieren. Die Kongresswahlen in diesem Jahr sind also in der Mitte seiner ersten Amtszeit und heißen daher auch „Midterm elections“ oder „Midterms“ (Zwischenwahl).
Vor der Wahl haben Trumps Republikaner im Repräsentantenhaus mit 235 von 435 Sitzen eine komfortable Mehrheit. Im Senat stellen sie 51 der 100 Senatoren, also nur knapp mehr als die Hälfte. Die oppositionellen Demokraten wollen die Mehrheit in beiden Kammern erobern.
Die Wahlanalysten der Nachrichtenseite FiveThirtyEight rechnen den oppositionellen Demokraten gute Chancen aus, die Mehrheit im Repräsentantenhaus zu holen. Sie sehen aber nur eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass den Demokraten das auch im Senat gelingt.
Bei der Kongresswahl in der Mitte zwischen zwei Präsidentenwahlen bekommt meist die Regierungspartei einen Denkzettel verpasst. Auch Trumps demokratischer Vorgänger Barack Obama musste das bei den Zwischenwahlen vor vier Jahren schmerzlich erfahren: Damals blieben die Republikaner nicht nur stärkste Partei im Repräsentantenhaus, sondern eroberten die Mehrheit im Senat zurück.
Ja. Trump polarisiert, seine Gegner mobilisieren für die Wahl. Der Präsident selber hat die Midterms zu einer Abstimmung über seine Politik erklärt. Trumps Zustimmungswerte liegen nach den Berechnungen von FiveThirtyEight - bei denen mehrere Umfragen zusammengefasst werden - nur bei 42,1 Prozent. Das ist niedriger als bei den vier vorherigen Präsidenten zum selben Zeitpunkt in deren Amtszeit. So hatte beispielsweise Obama kurz vor den Zwischenwahlen 2014 Zustimmungswerte von 46,6 Prozent.
Sollten die Demokraten das Repräsentantenhaus erobern, könnten sie zahlreiche Untersuchungen gegen Trump einleiten. Schon jetzt beschäftigen sich mehrere Ausschüsse im Kongress - ebenso wie FBI-Sonderermittler Robert Mueller - mit der Frage, ob Trumps Wahlkampfteam 2016 geheime Absprachen mit Russland getroffen hat. Auch an anderen heiklen Themen mangelt es nicht. Die Ergebnisse könnten die Grundlage für ein Amtsenthebungsverfahren („Impeachment“) bilden, das mit der einfachen Mehrheit im Repräsentantenhaus beschlossen werden kann. Die Demokraten könnten auch versuchen, Trump zur Offenlegung seiner Steuererklärungen zu zwingen.
Sollten die Demokraten das Repräsentantenhaus erobern, könnten sie Initiativen der Republikaner blockieren, weil Gesetze wortgleich in beiden Kammern im Kongress verabschiedet werden müssen. Sollten die Demokraten auch im Senat eine Mehrheit holen, käme es noch dicker für Trump: Diese Kammer ist unter anderem für Personalentscheidungen verantwortlich. Wenn Trump einen Minister, Bundesrichter oder Botschafter ernennt, muss dieser vom Senat bestätigt werden. Bei der Besetzung wichtiger Ämter käme Trump nicht mehr an den Demokraten vorbei. Der Kongress legt zudem den Staatshaushalt fest, den der Präsident zum Regieren braucht.
Mit aussagekräftigen Ergebnissen wird am frühen Mittwochmorgen mitteleuropäischer Zeit (MEZ) gerechnet. Wenn das Ergebnis beim Senat knapp ausfällt, könnte es sich verzögern. Bei den Kongresswahlen 2014 stand gegen 3.15 Uhr MEZ fest, wer die Mehrheit im Abgeordnetenhaus hat, gegen 5.30 Uhr MEZ war klar, wer den Senat gewonnen hat. Die Wahl ist um diese Zeit noch gar nicht ganz vorbei, weil die USA sich über viele Zeitzonen erstrecken: Auf Hawaii schließen die Wahllokale erst um 6.00 Uhr MEZ am Mittwoch. An der Ostküste öffnen erste Wahllokale am Dienstag um 12.00 Uhr MEZ.
36 der 50 Bundesstaaten wählen ihre Gouverneure. Außerdem werden etliche lokale Ämter vergeben, etwa in Parlamenten der Bundesstaaten oder an Gerichten. Auch lokale Initiativen stehen zur Abstimmung, dabei geht es beispielsweise um die Legalisierung von Marihuana in bestimmten Bundesstaaten. In Florida stimmt die Bevölkerung außerdem darüber ab, ob eine Regelung abgeschafft wird, wonach verurteilte Straftäter auch nach dem Verbüßen ihrer Strafe nicht mehr wählen dürfen. Nach einem Bericht des Senders NPR sind wegen dieser Regelung fast 1,5 Millionen Menschen in Florida nicht wahlberechtigt - mehr als zehn Prozent der erwachsenen Bevölkerung.
Anstatt die fantastischen Wachstumszahlen und die niedrige Arbeitslosigkeit bei jedem Auftritt offensiv ins Fenster zu stellen, verkämpft sich der Präsident lieber beim Thema Zuwanderung und setzt auf teils offen rassistische Töne. „Manchmal ist es einfach nicht so aufregend über die Wirtschaft zu sprechen“, so Trump kurz vor dem Wahltag auf einer seiner zahlreichen Rallies.
Der Präsident sucht die Mehrheit nicht in der Mitte, sondern will vor allem seine Hardcore-Basis zum Wählen animieren. Das könnte ihm durchaus gelingen. Allerdings befeuert Trump damit auch eine Gegenreaktion unter demokratischen Wählern, die dem Präsidenten vor allem einen Denkzettel verpassen wollen.
Leidtragende dieses Kurses könnten Republikaner wie Scott sein. Die GOP war eigentlich mit großer Gelassenheit in die Zwischenwahlen gestartet. Im Repräsentantenhaus stellte man sich zwar früh auf Verluste ein, im Senat erhofften sich die Strategen jedoch deutliche Zugewinne. Schließlich stehen in zehn Bundesstaaten, die Trump 2016 gewonnen hatte, Demokraten zur Wiederwahl. Genug, um die knappe Mehrheit der Republikaner in der oberen Kongresskammer bequem aufzupolstern. Danach sieht es heute nicht mehr aus. Optimistische Umfragen erwarten noch zwei, vielleicht drei zusätzlichen Sitze für die Präsidentenpartei – eine deutlich schwächere Performance als erhofft.