Migranten bringen Athen in Bedrängnis Flüchtlingskrise überfordert Griechenland

Brüssel droht Athen indirekt mit dem Schengen-Ausschuss, sollte Griechenland nicht Herr der Flüchtlingsflut werden. Das Land ist bei den geplanten Registrierungszentren weit im Rückstand. Woran liegt das?

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Seit Jahresbeginn sind aus der Türkei bereits 51.000 Flüchtlinge in Griechenland angekommen – mehr als 30 Mal so viele wie im Januar 2015. Quelle: Reuters

Athen Griechenland kommt in der Flüchtlingskrise in immer größere Bedrängnis – von allen Seiten: Seit Jahresbeginn erreichten bereits über 51.000 Menschen aus der Türkei die griechischen Inseln – mehr als 30 Mal so viele wie im Januar 2015. Die Hoffnung, die Türkei werde den Schleusern an der kleinasiatischen Küste das Handwerk legen und die Flüchtlinge daran hindern, in die Boote zu steigen, hat sich bisher als Illusion erwiesen.

Zugleich wächst der politische Druck der EU auf Athen: Die Brüsseler Kommission rügt „schwerwiegende Mängel“ bei der Registrierung der Ankömmlinge. Stellt Griechenland die Mängel nicht ab, könnte dem Land spätestens Anfang Mai der faktische Ausschluss aus der Schengenzone drohen.

Der griechische Migrationsminister Ioannis Mouzalas äußerte sich am Freitag „sehr besorgt“ angesichts dieser Aussicht. „Griechenland wird seinen Verpflichtungen nachkommen, und wir werden kämpfen, bis diese Vorschläge für einen Schengen-Ausschluss vom Tisch sind“, sagte Mouzalas im Fernsehsender Mega TV. Angesichts der Flüchtlingskrise, dieses „riesigen und historisch einmaligen Problems“, sei Europa „traumatisiert“ und „in seinem Kern gespalten“, beklagte Mouzalas.

Tatsächlich scheinen Regierung und örtliche Behörden in Griechenland mit der Flüchtlingswelle heillos überfordert zu sein. Die geplanten fünf Hotspots zur Registrierung der Ankömmlinge auf den Ägäisinseln sollten ursprünglich schon Ende Oktober vergangenen Jahres eröffnet werden. Später war von Dezember die Rede, dann von Januar. Jetzt verspricht der griechische Migrationsminister Ioannis Mouzalas: Anfang März werden zumindest vier Hotspots in Betrieb gehen.

In diesen Zentren sollen die Ankömmlinge eine Zeitlang untergebracht und überprüft werden. Dabei werden ihre Fingerabdrücke mit Daten internationaler Fahndungssysteme abgeglichen. Asylberechtigte Flüchtlinge sollen dann auf die anderen EU-Staaten verteilt, nicht asylberechtigte Wirtschaftsmigranten in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden. Soweit der Plan.


Bisher funktioniert nur einer von fünf geplanten Hotspots

Aber bisher ist erst ein Hotspot eingerichtet, auf der Insel Lesbos. Experten der EU-Grenzschutzagentur Frontex überprüfen dort unter anderem die von den Flüchtlingen vorgelegten Pässe auf ihre Echtheit. Die Registrierung kann einige Tage dauern. So lange leben die Ankömmlinge in beheizten Zelten. Der Platz reicht allerdings nicht für alle – an manchen Tagen kommen mehr als tausend Menschen an. Viele campieren im Freien, wärmen sich an Lagerfeuern.

Erschwert wird die Situation jetzt dadurch, dass wegen eines Streiks der griechischen Seeleute seit Mittwoch keine Fähren verkehren. Der Fährenstreik, der sich gegen die Rentenreform richtet, soll erst am Sonntagmorgen enden. Die registrierten Flüchtlinge können deshalb nicht zum Festland übersetzen. Zudem erschwert es der Streik den Hilfsorganisationen auf Lesbos, die Wartenden mit Lebensmitteln, Kleidung, Schuhen und Medikamenten zu versorgen.

Im Hotspot auf Lesbos herrschen geradezu geordnete Verhältnisse, vergleicht man die Lage mit anderen geplanten Hotspots. Auf Chios, Leros und Samos werden gerade erst die Büro- und Wohncontainer aufgestellt, Wasser-, Strom- und Datenleitungen gelegt. Die Zentren sollen bis Ende Februar fertig sein.

Auf der Insel Kos tut sich bisher fast nichts, weil protestierende Einwohner die Arbeiten behindern. Sie fürchten negative Folgen für den Tourismus, von dem die meisten Bewohner der Insel leben. Bürgermeister Giorgos Kyritsis streitet sich mit der Regierung in Athen, wo das Flüchtlingslager und der Hotspot eingerichtet werden sollen.

Unstrittig ist: Es gibt erhebliche Verzögerungen bei den griechischen Hotspots. Das räumt auch Migrationsminister Mouzalas ein: „Wir sind im Rückstand.“ Wenn es um die Gründe für den Missstand geht, schiebt man sich allerdings gegenseitig die Schuld zu. So klagen Frontex-Beamte über die schlechte Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden; dort ist zu hören, die Frontex-Leute verbrächten mehr Zeit in ihren Hotels als bei der Arbeit.


Die Türkei weigert sich, abgewiesene Asylbewerber zurückzunehmen

Mouzalas kritisiert, dass von den 160.000 Flüchtlingen, die laut EU-Beschluss in den nächsten zwei Jahren aus Griechenland und Italien auf die übrigen EU-Staaten verteilt werden sollen, bisher erst 414 umgesiedelt werden konnten, weil die meisten anderen Staaten nicht kooperieren. EU-Diplomaten wiederum klagen, Griechenland und Italien zögen bei dem Programm nicht mit.

Es gibt auch logistische Schwierigkeiten: Bisher hat Griechenland nur 68 Eurodac-Geräte für die elektronische Abnahme von Fingerabdrücken. Das reicht bei weitem nicht. Erst Mitte Januar bewilligte die EU-Kommission Gelder in Höhe von 1,36 Millionen Euro für die Anschaffung weiterer 90 Geräte. Auch bei der Vernetzung einiger Hotspots mit dem Internet gibt es Verzögerungen. Am Standort Moria auf Lesbos funktioniert der elektronische Abgleich. In Kara Tepe, einem anderen Lager auf der Insel, werden dagegen die Fingerabdrücke noch immer mit altertümlichen Stempelkissen abgenommen.

Hinzu kommen politische Probleme: Der Plan, nicht asylberechtigte Wirtschaftsflüchtlinge gleich wieder zurückzuschicken, scheitert bisher in der Mehrzahl der Fälle an der Weigerung der Türkei, die Migranten zurückzunehmen. Nach griechischen Angaben hat die Türkei seit Jahresbeginn nur 123 Migranten wieder ins Land gelassen.

Das Verfahren ist kompliziert: Die Menschen können nicht einfach von den griechischen Inseln zurück zur türkischen Küste gebracht werden. Die türkischen Behörden bestehen darauf, dass sie am Grenzübergang bei Kipi in Nordgriechenland überstellt werden – eine Reise, die drei Tage dauern kann.

Auch Herkunftsländer wie Marokko, Algerien und Tunesien weigern sich häufig, ihre Bürger zurückzunehmen. So verwehrten die pakistanischen Behörden Anfang Dezember auf dem Flughafen von Islamabad 30 Migranten, die aus Griechenland abgeschoben werden sollten, die Einreise. Die Griechen hätten nicht nachgewiesen, dass es sich um Pakistaner handelte, lautete die Begründung. Die 30 Migranten wurden nach Athen zurückgeflogen. 

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