Wenn nichts Unvorhergesehenes passiert, wird am Donnerstag ein Mann Staatschef Kubas werden, der nicht zur „historischen Generation“ der Revolutionäre gehört und nicht einmal den Moment erlebte, als die Castro-Brüder, Ché Guevara und Dutzende Mitkämpfer am 1. Januar 1959 triumphierend in Havanna einmarschierten.
Miguel Díaz-Canel, den Raúl Castro schon vor fünf Jahren für seine Nachfolge ausgeguckt hatte, wurde mehr als ein Jahr nach dem Sieg der Revolution geboren, ist also eine Art revolutionärer Baby-Boomer. An diesem Freitag wird er 58 Jahre alt. Er war lange Jahre Parteifunktionär in seiner zentralkubanischen Heimatprovinz Villa Clara und später im Osten der Insel.
Als Kader wuchs Díaz-Canel also weit weg vom Machtzentrum Havanna heran, wo jede wichtige Entscheidung auf der kommunistischen Insel getroffen wird, die trotzig im kapitalistischen Meer dümpelt. Und so ist der studierte Elektroingenieur, der zum zweiten Mal verheiratet ist und aus erster Ehe zwei Kinder hat, den meisten Kubanern unbekannt.
Vielen sagt nicht einmal sein Name etwas. Selbst Experten fällt es schwer, ihn einzuordnen: „Díaz-Canel ist auch für uns ein Unbekannter“, sagt der kubanische Ökonom Pavel Vidal, Professor an der Universität Javeriana im kolumbianischen Cali. Menschen, die ihn noch aus seiner Zeit als Jugendfunktionär und Provinzsekretär der Kommunistischen Partei in Villa Clara kennen, erinnern ihn als intelligent, bescheiden und liberal. Damals habe der Politiker lieber das Fahrrad als das Auto genommen, die Haare lang getragen, Beatles und Rockmusik gehört und sich sogar gegen die Schließung eines Travestie-Clubs eingesetzt. Dabei galten damals lange Haare, die Beatles und Schwule in Kuba als subversiv.
Heute trägt Díaz-Canel die dichten Haare kurz und grau. Über seine inhaltlichen Positionen ist fast nichts bekannt. „Er hat sich in den Jahren, nachdem Castro ihn an den inneren Machtzirkel herangeführt hat, kaum aus der Deckung gewagt“, sagt Pavel Vidal. Díaz-Canel stieg 2003 als jüngstes Mitglied ins Politbüro der kubanischen KP auf. 2009 machte ihn Castro II. zum „Minister für Höhere Bildung“. Spätestens ab da schwamm der Politiker voll im Raúlschem Mainstream: vorsichtige wirtschaftliche Öffnung, politisch keine Experimente.
2013 kürte ihn Castro zu seinem Ersten Stellvertreter. In seinen wenigen öffentlichen Auftritten gab sich Díaz-Canel eher als Hardliner denn als Reformer zu erkennen. „Die kubanischen Präsidenten werden stets die Revolution verteidigen. Wir brauchen vor allem Kontinuität“, formulierte der designierte Nachfolger perfekte Politbürosätze. Was will er verändern, wenn er an der Macht ist? Was darf er verändern? Die Kubaner jedenfalls wollen mehr Chancen, sich selbständig zu machen und dabei weniger Restriktionen. Politische Freiheiten sind für sie zweitrangig.
Ausländische Unternehmer wünschen sich weniger Bürokratie und mehr selbstbestimmtes Wirtschaften. Und was wollen die Bündnispartner in China, Venezuela, Spanien und Kanada, auf die das klamme Kuba dringend angewiesen ist?