Militäroffensive im Irak "Der Islamische Staat wird nicht aufgeben"

Iraker, Kurden und Amerikaner wollen den IS aus Mossul vertreiben, der zweitgrößten Stadt im Land. Nahostexperte Stephan Bierling erklärt, warum der IS trotz einer möglichen Niederlage gefährlich bleibt und wie Deutschland sich einbringen kann.

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Irak: Kurdische Peschmerga bei der Offensive auf IS-Hochburg Mossul. Quelle: imago images

WirtschaftsWoche: Die Schlacht um Mossul hat begonnen. Geht es hier um Tage oder Wochen?
Stephan Bierling: Etwa 80.000 Soldaten, die zu den Koalitionsstreitkräften gehören, wollen Mossul befreien. Ihnen stehen rund 5000 IS-Kämpfer gegenüber, wobei es hier widersprüchliche Angaben gibt, wie viele es wirklich sind. Sollten sie erheblichen Widerstand leisten, dürfte die Schlacht Wochen dauern.

Droht ein blutiger Häuserkampf?
Möglicherweise. Wir wissen nicht, welche Strategie der IS verfolgt. Von Mossul aus hatte IS-Chef al-Baghdadi vor zwei Jahren das Kalifat ausgerufen. Wenn der IS Mossul jetzt widerstandslos aufgeben würde, wäre das eine große Propaganda-Niederlage.

Sollte der IS aus Mossul vertrieben werden – war es das dann mit der Terrororganisation insgesamt im Irak?
Falludscha und Ramadi haben sie bereits verloren, Mossul wäre ihre größte Niederlage. Sie hätten dann nur noch wenige Rückzugsorte. Komplett ausgeschaltet wäre der IS aber nicht. Die Grenze zu Syrien ist porös. Dort gibt es kaum noch staatliche Strukturen. Von Syrien aus kann der IS also weiterhin Anschläge im Irak durchführen – wie zuletzt in Bagdad.

Zur Person

Aber das Kalifat wäre in sich zusammengestürzt.
In der Tat. Das Kalifat war der Unique Selling Point, womit der IS viele ausländische Kämpfer mobilisieren konnte. Es wäre eine große militärische und eine propagandistische Niederlage. Aber was heißt das? Möglicherweise setzt der IS dann darauf, im Westen zuzuschlagen oder in Hauptstädten von schiitischen Staaten. Der Islamische Staat wird nicht einfach aufgeben – und wenn wird es sehr lange dauern.

Vor zwei Jahren feierte der Islamische Staat einen Sieg nach dem nächsten. Was hat sich geändert?
Damals übernahmen einige tausend IS-Kämpfer Mossul. Das war eine brutale, schnelle und konzertierte Aktion. Die zahlenmäßig überlegene irakische Armee ließ alles stehen und liegen und rannte davon. Der IS bekam moderne Waffen in die Hand und gigantische Dollar-Bestände aus der Zentralbank. So konnte sich die Organisation zunächst festsetzen und den Nimbus der Unbesiegbarkeit errichten.

Ein Trugschluss?
Jedenfalls war der Abnutzungskrieg gegen den IS erfolgreich. Und der Islamische Staat hat die Unterstützung der Menschen verloren. Denn dort, wo der IS an die Macht kam, sind eben nicht die goldenen Zeiten ausgebrochen. Auch für die Sunniten, die den IS zu Beginn unterstützt haben, ist es deutlich schlimmer geworden. Die Islamisten haben beispielsweise ein Rauchverbot verhängt. Das kam bei den historisch eher laizistisch geprägten Irakern nicht gut an.

Kann der Irak wieder ein funktionierender Staat werden?

Wenn überhaupt nur auf lange Sicht. Premierminister al-Abadi versucht auf Druck der USA, die Sunniten stärker einzubinden. Sein Vorgänger hatte sie noch systematisch ausgegrenzt – aus der Regierung, Polizei, Armee, dem gesamten öffentlichen Leben. Nur deswegen hatte der IS überhaupt erst Erfolg. Die Sunniten machen etwa 20 Prozent des Irak aus. Sie glaubten, dass sie es beim Islamischen Staat besser haben würden als unter einem schiitischen Premier mit seinen absoluten Machtansprüchen. Und deswegen hatten sie den IS zu Beginn unterstützt.

Wollen die Kurden da mitmachen?

Für viele ist ein föderaler Irak, der Minderheiten achtet, nichts als Wunschdenken.
Die Schiiten, die in der Mehrheit sind, müssen nun nachweisen, dass sie das tun, was sie den Amerikanern versprochen haben. Sie müssen eine Gesellschaftsform errichten, in der die Sunniten eine wichtige Rolle spielen können. Die Verfassung, die die Amerikaner vor über einem Jahrzehnt mitgeschrieben haben, sieht eine Teilung der Macht vor. Diese Verfassung muss nun mit Leben erfüllt werden.

Wollen die Kurden da überhaupt mitmachen?
Das wird schwierig. Die Kurden haben den Aufmarsch des IS dafür genutzt, ihr Herrschaftsterritorium im Norden zu stabilisieren. Ihre Peschmerga-Kämpfer sind auf dem neusten technischen Stand, auch weil wir sie mit Waffen beliefert haben. Und obwohl die Öl-Einnahmen etwas weggeschmolzen sind und es den Kurden nicht mehr so gut geht, ist der kurdische Staat insgesamt in einer guten Verfassung. De facto ist das kurdische Gebiet nicht mehr Teil des Iraks. Wenn Kurdistan Teil des Landes bleiben soll, dann nur mit großen Autonomierechten, also eigener Provinzregierung und eigenen militärischen Einheiten.

Und wenn die Kurden einen eigenen Staat ausrufen?
Dann könnte die Zentralregierung in Bagdad kaum etwas dagegen tun. Kurdistan wäre militärisch recht schlagfertig. Die irakische Armee wird diesen Kampf nicht suchen. Wenn die Kurden clever sind, rufen ihn aber nicht. Denn die völkerrechtliche Frage ist für viele Kurden zweitrangig.

Deutschland beteiligt sich mit Aufklärungs-Tornados in der Anti-IS-Koalition. Wird dieses Engagement nun unnötig?
Sobald irgendwer das Signal gibt, dass der Kampf endet, werden die Deutschen die Ersten sein, die den Abzug beginnen. Die Tornados waren ohnehin hilfreich bei der Aufklärung, weil sie keine für Angriffe verwertbaren Bilder und Fotos machen durften. Die Deutschen spielen also ihre alte Doppelrolle weiter. Sie wollen Teil der westlichen Allianz sein. Aber sie sind nicht bereit, die gleichen Risiken einzugehen, wie andere westliche Mächte in der Region.

Die Kanzlerin sagte kürzlich, sie wolle mehr Geld in die Bundeswehr stecken, damit die mehr Verantwortung übernehmen kann.
Im Vergleich zu anderen Nato-Staaten ist unser Niveau erbärmlich niedrig. Wir investieren zu viel in Personal und zu wenig in Waffen und kriegsrelevante Ausrüstung. Das zusätzliche Geld wird also kurzfristig kaum etwas bringen. Unsere Truppe ist und bleibt für solche Einsätze nur bedingt einsatzbereit.

Die gefährlichsten Krisengebiete der Welt
Syrien und IrakIn den Konflikten in Syrien und im Irak gehört die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu den stärksten Kriegsparteien. Sie beherrscht in beiden Ländern große Gebiete, in denen sie ein „Kalifat“ errichtet hat. Im syrischen Bürgerkrieg bekämpfen sich zudem das Regime und seine Gegner. Die Armee ist mit starker Hilfe von Kämpfern aus dem Iran, von der libanesischen Schiiten-Miliz Hisbollah sowie von der russischen Luftwaffe auf dem Vormarsch. Die moderate Opposition wird vom Westen unterstützt. Quelle: AP
Ukraine Quelle: dpa
Nigeria Quelle: dpa
Libyen Quelle: dpa
Spratly-Inseln im Südchinesischen Meer Quelle: dpa
Nordkorea Quelle: dpa
Afghanistan Quelle: dpa

Wie können wir dem Irak helfen, die Wirtschaft wieder voran zu bringen?
Ich fürchte, dass wir kaum etwas tun können, denn die Sicherheitslage bleibt kritisch. Deutschland müsste sich an einer Friedenstruppe beteiligen – egal ob von der UN, Nato oder EU – um die Lage im Irak zu stabilisieren. Aber die Idee, dass deutsche Unternehmen künftig in den Irak investieren, halte ich für abwegig. Es gibt keine Sicherheit, kein geschultes Personal und keinen Markt.

Aber das Öl- und Gasgeschäft ist schon lukrativ.
Der Irak braucht dieses Geschäft, um sich zu stabilisieren. Aber da spielen deutsche Unternehmen keine Rolle – mit Ausnahme von BASF vielleicht. In solche Krisenregionen gehen eher chinesische Unternehmen rein, aber keine deutschen.

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